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Hexen
"Broeder
Johannes is behekst!"
(aus
den niederländischen Untertiteln)
Häxan ist
ein aufregender Film, von charmanter inszenatorischer Eleganz und voller bezaubernder
Schönheit. Ein kleines Fest zudem für Freunde gruseligen Filmhandwerks,
für jene exploitativer und spekulativer Ware obendrein, denn diese finden
in Häxan eine
Art "Ur-Film" der Hexenjäger- und Nunsploitationfilme. Hier,
an diesem Punkt, trifft sich Schmuddel-, Sensations- und Kunstkino. Man könnte
auch sagen: Von hier gehen die Richtungen aus. Waren sie je getrennt?
Der
Habitus entspricht dem Lehrfilm. Anschaulich wird eine Kulturgeschichte des
Hexentopos gezeichnet (und natürlich vor allem: der Hexenverfolgung). Man
blickt in Fuchs' Sittengeschichte (eine reiche, schöne Sammlung größtensteils
trivialer Illustrationen aus allen Epochen mitteleuropäischer Geschichte,
zu der, dies sollte nicht unerwähnt bleiben, auch zum Zeitpunkt ihres Erscheinens
nicht nur für historische Zwecke gegriffen wurde...), zeigt mannigfaltige
Illustrationen, entwirft Schaubilder und Modelle. Was im Bild wichtig ist, zeigt
der Stock des körperlos bleibenden Lehrers an. Und dann gibt es gestellte
Inseln im Film, kleine und größere Dramen, die, vor wunderschönen
Kulissen drappiert, verdeutlichen sollen, wie es dereinst gewesen ist, als Frauen
um ihr Leben fürchten mussten.
Natürlich
geht es dabei (auch) um Sensationalismus. Die Folterwerkzeuge werden oft schon
mit dem zärtlich-wehmütigen Blick eines praktizierenden Sadisten (Masochisten?)
in ihrer physischen Beschaffenheit und in direkter Anwendung ausgestellt (natürlich
blendet man ab, bevor das Blut spritzt, die Knochen brechen). Das lüsterne
Treiben des eindrucksvollen Satans wird lange für den Film ausgeweidet.
Alle satanischen Rituale, alles, was die Hexen treiben, wenn der Blick der Moralität
sie aus den Augen verloren hat, werden in voller Länge und länger
ausgespielt. Hie und da blitzt eine nackte Brust auf, mancher entblößter
Hintern wird vom Schatten nicht ganz so verdunkelt, wie es in sittsameren Filmen
der Fall wäre. Natürlich hat dies System: Bei aller guter Intention
steht Häxan zum
beträchtlichen Teil auch in der Tradition von Jahrmarkt und Rummelplatz.
Das
ist nun natürlich gar nichts Schlechtes. Schon gar nicht, wenn der Budenzauber,
wie in diesem Falle, in ein Fest der Filmgestaltung mündet. Atemberaubend
ist, mit welcher Präzision, mit welcher Verve hier in der Tat wohl jedes
zur Verfügung stehende, filmische Mittel effizient eingesetzt wird. Der
Schnitt, bewusst eingesetzte Doppelbeleuchtungen, überhaupt die wunderbare
Ausleuchtung bis auf den Millimeter genau, die grandiose Maskenarbeit, die noch
bis ins Detail liebevoll gestaltete Sets, undsoweiterundsofort ergeben im Konzert
reinsten Zucker für cinephile Sinne. Und Eunice Martins unterstützte
das bunte, nicht immer frohe, aber wunderschön anzusehende Treiben wie
schon bei Broken Blossoms kongenial am Klavier.
Zum
Ende hin mündet der Film in eine Szientifizierung des Hexentopos. Reinster
Modernitätsglaube, zu jener Zeit noch ungebrochen. Entsprechend wehmütig
sieht sich das an, wenn als letztes Bild eine selbstbewusst lachende, junge
Frau einen Doppeldecker besteigt und in den Himmel davonfliegt. Ohne Hexenstiel,
ohne Repressalien fürchten zu müssen. Das Mittelalter liegt hinter
uns, sagt dieses letzte Bild, wir fliegen davon, die moderne Technik, die Aufklärung
machts möglich. Eine Zuversicht, die Auschwitz und Treblinka allenfalls
achselzuckend als kleinere, polnische Ortschaften bezeichnen würde. Eine
verloren gegangene Unschuld, zu schnell in den Himmel geflogen vielleicht.
Thomas
Groh
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Hexen
HÄXAN
Schweden
- 1920/22 - 102 min. - schwarzweiß
Historienfilm
Erstaufführung:
17.11.1969 ARD
Fd-Nummer:
16433
Produktionsfirma:
Svensk Filmindustri
Regie:
Benjamin Christensen
Buch:
Benjamin Christensen
Kamera:
Johan Ankerstjerne
Musik:
Daniel Humair
Darsteller:
Tora
Teje
Alice
Frederiksen
Oskar
Tribolt
Emmy
Schönfeld
Karin
Winther
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