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Himmelsheim
Was der „alte" Heimatfilm nur scheinbar tat,
nämlich das Alte gegen das Neue zu verteidigen, das gelingt dem „neuen"
Heimatfilm, der dritten Welle dieses urdeutschen Genres, auf allerungefährlichste
Weise. Der alte Heimatfilm war unglaublich reaktionär und nur ein bißchen
konservativ; der neue ist unglaublich konservativ und nur ein bißchen
reaktionär. HIMMELSHEIM, mein Kompliment, gehört nicht ganz zu diesen
Filmen, die Kitsch für den neuen, ein bißchen linksgrünalternativen
Mittelstand aufbereiten, er gehört eher zu den Filmen, die gar nicht genau
wissen, wo sie stehen sollen, und daher auf mehr oder weniger sympathische Weise
vor allem die eigene Ratlosigkeit vorzeigen. Soll man den häßlichen
Dornröschenschlaf der Provinz, der vor allem aus lähmenden Macht-
und Sittenstrukturen besteht, zur Kenntlichkeit verzerren oder ihn doch viel
eher in Schutz nehmen gegen die modernen Drachen, die Caterpillars und Tunnelbohrer?
Himmelsheim ist ein oberfränkisches Dorf, indem
es noch gibt, was es eigentlich in keinem Dorf mehr geben kann: den kleinen
Laden - „Kolonialwaren" steht noch darüber -, einen Dorfbriefträger
mit dem Fahrrad und eine Dorfwirtschaft, in der sich ohne weiteres alle Bewohner
versammeln können. Freilich, das Drehbuch wäre nicht von Fitzgerald
Kusz, wenn die Bewohner dieses Dorfes nicht schon schwer an der Last ihrer Abhängigkeiten
trügen: Die Wirtin, die ohne Mann dasteht, weil sie zu viel gesoffen hat,
ihre Tochter Petra, die man nur deswegen nicht die „Dorfschöne" nennen
kann, weil es keine Konkurrenz gibt, und die sich vom aus Niederbayern stammenden
Tony ausführen läßt, der sein Geld als fliegender Video-Verleiher
verdient, die Kolonialwarenhändlerin, die fürsorglich ihren nicht
eben hellen Bruder tyrannisiert, der heimlich „Schundhefte" liest und Zigaretten
raucht und bei der Bundesbahn angestellt ist, der schollenbeschränkte Bauer
mit seiner innigen Beziehung zu Kirschbäumen und Spargel und seiner einfachen
Gleichung von Arbeit und Leben und der mit ihm verfeindete Nachbar, der dauernd
irgendwelche Eingaben macht, um sich an einer erahnten Modernisierung zu beteiligen,
die Frau des Bauern, die sich in einer Parallelwelt aus Soap Operas und „Dallas"
befindet und die Erzählungen davon schon längst an die Stelle des
Dorftratsches gesetzt hat (was gäbe es da auch schon zu erzählen)
- alle diese Menschen warten, das ist ein Thema des neuen Heimatfilmes, dumpf
darauf, daß „etwas" geschieht. Aber das, was geschieht, kann nur
das falsche sein.
In diesem „Himmelsheim" möchte man nicht
begraben sein, aber als dann der Fortschritt kommt, die Bundesbahn ihre Schnellstrecke
Hannover-Würzburg für eine Stunde Zeitgewinn durch die Landschaft
fräst, bleibt einem doch nichts anderes übrig, als dieses Dorf und
seine so zänkischen wie hoffnungslos miteinander verwachsenen Einwohner
gegen die Attacken dieser bewußtlosen Modernisierung zu verteidigen. Wie
sieht die aus? Die schweren Erdbewegungsfahrzeuge fressen sich durch die immer
unbenutzbarere Dorfstraße, zerstören die so hingebungsvoll geputzten
Schaufensterscheiben des Kolonialwarenladens und rollen schließlich über
das Dienstfahrrad des Dorfbriefträgers, der es resignierend dem gelben
Moloch vor die Räder wirft. Und dabei - das gehört zu den genauen
ökonomischen Beobachtungen des Films - verzehren die Arbeiter nicht einmal
etwas im Wirtshaus, kaufen im Kolonialwarenladen nichts ein, geben niemandem
Arbeit: Die durch den „Landschaftsverbrauch" weggefressene Provinz kann
nicht einmal im kleinen von diesem Fortschritt profitieren.
So weit, so gut der Film. Nun aber kommt „Handlung"
ins Spiel, und auf die versteht sich Stelzer lange nicht so gut wie auf die
geduldigen Beobachtungen; es ist wie bei einer Rocknummer, der ausgerechnet
in dem Moment die Luft ausgeht, wo sie versucht, so richtig loszugehen. Und
überdies fällt dem Drehbuchautor Kusz (der vielleicht noch lernen
muß, daß Film mehr ist als die Schnittstelle von Hörspiel und
Kameraaufnahmen) nun hauptsächlich dummes Zeug ein: Der Tony spielt den
Terroristen, entführt seine Petra, weil er, unter anderem, die Himmelsheimer
darauf aufmerksam machen will, daß als Nebeneffekt der Bahntrasse das
Tal unter Wasser gesetzt werden soll, es kommt noch ein lambsdorffelnder Landschaftsarchitekt
vor und eine Gruppe Wohnwagen-Nutten, dagegen gibt es keine Verfolgungsjagd,
kein richtiges Showdown, keine gescheite Prügelei. Als die Himmelsheimer
mit dem Feuerwehrfahrzeug die Tunnelbauer attackieren, sind sie wieder auf dem
Weg zu ihren Anfängen; zänkisch und miteinander verwachsen feiern
sie am Schluß die Verlobung von Tony und Petra, während das Wasser
in der Wirtsstube steigt.
Filme machen hat, denke ich, etwas mit der Haltung
gegenüber Menschen zu tun; die Haltung von Stelzer und Kusz, eine übermüdete
Mischung aus Mitleid und Spott, der sanfte Blick auf die Verlorenen, ist mir
sympathisch. Was sich allerdings jetzt in unserem Land abspielt, das zeigt man
auf diese Weise nicht (ist es überhaupt zeigbar?); da müßte
man wohl genug Grausamkeit für die radikale Komödie oder genug Zorn
für den radikalen Gewaltfilm haben. Das ist nicht drin in unserer Filmkultur.
Die Autoren von HIMMELSHEIM, die ihren Film leider auch noch eine „Ökomödie"
nennen zu müssen glauben, scheitern nett und symptomatisch auch noch an
diesem Kompromiß: Die Tempi, die Sprachen der Seelen im Film, finden sich
nicht zusammen; sie widersprechen einander weniger als daß sie sich aneinander
abschleifen. Nicht einmal die Musik von Rio Reiser, der doch zu schreien wußte,
findet einen Rhythmus gegen den Einbruch falscher Freundlichkeit.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als den Film
so zu mögen, wie er seine Figuren mag, mit müder Sympathie für
das Leben im Nichtmehr-weiter-Wissen und Immer-so-Weitermachen.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 7/89
Himmelsheim
BRD
1988. R: Manfred Stelzer. B: Fitzgerald Kusz. K: Frans Bromet. Sch: Dagmar Hirtz.
M: Rio Reiser. T: Horst Zinsmeister. A: Maciej Putowski. Ko: Ursula Welter.
Pg: Journal-Film Klaus Volkenborn/Maran Film. Gl: Nani Mahlo. P: Klaus Volkenborn.
V: Delta. L: 87 Min. FSK.- 6, ffr. St: 18.5.1989. D: Siegfried Zimmerschied
(Toni Spitzelberger), Hanns Zischler (Dr. Ehrenfried), Elke Sommer (Helga Münzel),
Gustl Augustin (Günter Münzel), Sofie Keeser (Margret Rosenhauer),
Anette Faverey (Petra Rosenhauer), Tilly Lauenstein (Frau Pokorny).
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