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Hiroshima
mon amour
Danach ...
"Du
hast nichts gesehen in Hiroshima."
"Ich
habe alles gesehen in Hiroshima."
Zwei nackte Körper in der
Dunkelheit. Im Licht glänzen Staub und Asche auf den lebendigen Körpern.
Dann nur noch der Schweiß. Staub und Asche sind verschwunden. Schon in
dieser leisen, wunderschönen Eingangsszene werden Gegenwart und Vergangenheit,
Da-Sein und Erinnerung verschmolzen. "Du hast nichts gesehen in Hiroshima",
sagt die männliche Stimme immer wieder. Und wir hören die weibliche
Stimme sagen: "Ich habe alles gesehen in Hiroshima." Sie erzählt
von ihrer Begegnung mit den Lebenden und den Toten, von ihren langen Besuchen
im Krankenhaus, in dem die Überlebenden von Hiroshima warten - auf den
Tod oder auf das Weiterleben. Von ihren Besuchen im Museum, von den Filmen,
die sie gesehen hat über Hiroshima, von dem Versuch, alles so wahrheitsgetreu
nachzustellen, wie es war, von der Illusion, die dadurch geradezu perfekt geworden
scheint. Sie hat alles gesehen. Und sie hat nichts gesehen.
Die erste Viertelstunde lässt
uns Alain Resnais nur die Stimmen des Mannes und der Frau hören, die sich
lieben und die miteinander sprechen - über Hiroshima. Er zeigt uns Bilder
aus dem Museum, von Menschen auf der Straße, von den verkrüppelten,
zerschundenen Menschen, den Objekten, die durch den Atombombenabwurf fest zusammengeschmolzen
sind. Und so nahe uns Hiroshima in diesen fünfzehn Minuten wird, so fern
ist es doch, so ungreifbar wie Auschwitz, das Hiroshima vorausging. So wenig
fassbar wie begreifbar.
Sie - ist eine französische
Schauspielerin, die in Hiroshima eine Rolle in einem Film über das Unfassbare
mitgespielt hat und am nächsten Tag wieder nach Paris zurückfliegen
will. Er - ist ein japanischer Architekt, der sie kennen gelernt hat. Sie verbringen
die Nacht vor dem Abflug miteinander. Sie lieben sich. Er liebt sie. Sie liebt
die Erinnerung, sie liebt ihn aus der Erinnerung.
"So
wie in der Liebe die Illusion
da
ist, diese Illusion, nicht
vergessen
zu können, so hatte ich
die
gleiche Illusion bei Hiroshima.
Ich
werde nicht vergessen können,
genau
wie in der Liebe."
Ihm, dem japanischen Liebhaber,
erzählt sie als erstem von ihrer Liebe gegen Ende des Krieges zu einem
deutschen Soldaten. Sie war jung, vielleicht 18 Jahre alt. Uns sie liebte diesen
"Feind" - in Nevers, ihrem Heimatort -, bis er angeschossen wurde
und Stunden danach starb. Sie wurde kahl geschoren, eingesperrt in einen Keller, galt
als Kollaborateurin -
"Die
Gesellschaft rollt über meinen
Kopf.
Anstelle des hohen Himmels
gezwungenermaßen.
Ich seh' von der
Gesellschaft
nur die Füße. Abgehetzt
und
überstürzt in der Woche, ruhig
und
gemessen an Sonn -und Feiertagen."
- bis ihre Eltern sie mit dem
Fahrrad nach Paris schickten.
Immer wieder treffen sich Sie
und Er in Hiroshima; in den von Leuchtreklame überfluteten Straßen,
in der Teestube, im Hotel, in einer Bar. Er hört ihr zu, sie erzählt
alles, was sie weiß. Er will, dass sie bleibt, bleibt. Sie will gehen
und sie will bleiben.
Wenn sie erzählt, von ihrer
Liebe, wenn sie sich erinnert, dann wird einem Emmanuelle Rivas "Sie"
so nahe, so furchtbar nahe, und zugleich wird sie wunderbar schön. Es ist
diese Nähe und Schönheit, die in einen harten, unüberwindlichen
Kontrast zu dem mit dem Begriff Katastrophe eigentlich nicht Fassbaren gerät.
Es ist diese Liebe, die zugleich Erinnerung ist, es ist diese individuelle Katastrophe
einer Kriegsliebe, an die "Er" sie erinnert, es ist diese gnadenlos
schöne und zugleich ebenso gnadenlos schreckliche Erinnerung, die das individuelle
Schicksal mit dem der Geschichte verschmelzt.
"Hiroshima, das bist du",
sagt sie zu ihm. "Und du bist Nevers - Nevers in Frankreich", antwortet
er. Der Himmel ist seit Auschwitz und Hiroshima geschlossen. Die Religion scheint
ihre Berechtigung, ihre Rechtfertigung, ihre Stellung verloren zu haben. Es
ist nichts außer dem Unfassbaren, bei ihr wie bei ihm wie in der Geschichte.
Ihre Haare, die man ihr abgeschnitten hatte, sind wieder gewachsen; den Opfern
von Hiroshima, so sie denn überlebt haben, sind die ausgefallen. 14 Jahre
sind vergangen. Als das Leben für sie in Paris wieder zu beginnen schien,
hörte sie von Hiroshima, von den Abertausenden von Toten.
Resnais zeigt eine ganze Welt,
eigentlich "die" ganze Welt nach Auschwitz und Hiroshima in einer
Frau und einem Mann, die zusammenfinden und sich lieben, die nicht vergessen
können und nicht vergessen wollen, die die Erinnerung wach halten und damit
eigentlich nicht leben können. Man könnte auch sagen, er zeigt die
Unmöglichkeit, über Hiroshima zu denken, nach Hiroshima so zu leben
wie vor Hiroshima. Während der Tod ihres Geliebten ihr nur noch die Erinnerung
lässt, die immer wieder verblasst und doch immer wieder aufscheint, verblasst
auch die Erinnerung an Hiroshima und kommt doch immer wieder zurück. "Mein
Leben geht weiter. Dein Tod geht weiter", sagt sie ihm über ihren
deutschen Geliebten. "Mein Leben geht weiter. Euer Tod geht weiter",
könnte er antworten in Bezug auf die Opfer des Atombombenabwurfs.
"Hiroshima mon amour"
ist aber nicht in einem simplen Sinn ein Film gegen das Vergessen. Man kann
Hiroshima vielleicht verdrängen, sogar verleugnen, aber vergessen? Die
Erinnerung allerdings verändert sich mit zunehmender Zeit. Die Ereignisse
prägen sich ein, aber immer wieder anders, immer wieder neu, je nachdem,
wie sich das eigene Leben fortentwickelt - anders bei den Überlebenden,
und wieder anders bei denjenigen, die es nur gehört, über es gelesen
und Filme über Hiroshima gesehen haben.
Es ist diese wunderbare Poesie
von Marguerite Duras, die Resnais in seinem Film zu Wort kommen lässt,
eine Poesie der Liebe und des Todes zugleich, einer Liebe, die tief geht, und
das im Angesicht eines Todes, der das Bild vom Tod, vom Leben und von der Liebe
radikal verändert hat - durch Auschwitz und Hiroshima. Es ist diese wunderbar-schreckliche
Poesie und es sind diese ebenso wunderbaren und schrecklichen Bilder von Resnais,
der Verzweiflung ebenso nahe wie der Hoffnung, dem Tode ebenso nah wie dem Leben,
die diesen Film zu einem Erlebnis werden lassen - unterstützt durch die
beiden phantastischen Schauspieler Emmanuelle Riva und Eiji Okada.
"Hiroshima mon amour"
erzählt vom Leben und vom Tod und von der Liebe - vor allem aber von dem
lebendigen und verzweifelten Aufbegehren gegen eine Welt, die ihre eigene Selbstzerstörung
möglich gemacht hat.
DVD
Sprachen:
Deutsch (Dolby Digital 1.0) Französisch (Dolby Digital 1.0)
Untertitel:
Deutsch
Bildformat:
4:3
Dolby,
HiFi Sound, PAL
DVD
Erscheinungstermin: 15. Juli 2006
Der
Schwarzweiß-Film erschien als Nr. 72 in der Reihe der SZ-Cinemathek für
€ 9,99 in exzellenter Bild- und Tonqualität. Die Reihe enthält bekanntlich
kein Bonusmaterial, jedoch eine kurze Filmrezension im Innenteil des Covers
(hier von Rainer Gansera) sowie ein knappes Making Of in Textform.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist
zuerst erschienen in:
Hiroshima
mon amour
Frankreich, Japan 1959, 90 Minuten
Regie: Alain Resnais
Drehbuch: Marguerite Duras
Musik: Georges Delerue, Giovanni Fusco
Kamera: Michio Takahashi, Sacha Vierny
Schnitt: Jasmine Chasney, Henri Colpi, Anne Sarraute
Produktionsdesign: Minoru Esaka, Mayo, Petri, Lucilla
Mussini
Darsteller: Emmanuelle Riva (Sie), Eiji Okada (Er), Stella
Dassas (Mutter), Pierre Barbaud (Vater), Bernard Fresson (deutscher Liebhaber)
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