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Hitlerkantate
Blut und Hoden
Gottseidank sind die
Zeiten vorbei, in denen der Gebrauch eines Wortes wie „Faszinosum“ im Zusammenhang
mit Hitler hierzulande für Irritationen sorgen und Karrieren zu einem jähen
Ende verhelfen konnte. Dass deutsche Vergangenheitsbewältigung nicht nur
freudlos sein muss sondern auch liebe Erinnerungen wachrufen kann, haben uns
Filme wie „Der Untergang“ vorgeführt, mit einem Führer, der nicht nur bös’
sondern auch endlich menschlich und sogar ein wenig bemitleidenswert gezeigt
wurde, mit einer Führer-Sekretärin, die (wie wir wohl alle ?) doch
auch eine große Bewunderung und heimliche Liebe für diesen männlichen
Mann in ihrem Busen trug, eine Liebe, die doch so bitter enttäuscht wurde.
Hätte Traudl Junge nur schon vor dem April 1945 gewusst, dass Hitler keine
Juden mag, der Mann hätte wahrlich einen schweren Stand gehabt!
Als eine Mischung
aus Traudl Junge und Leni Riefenstahl erscheint endlich mit dem Film „Hitlerkantate“
jetzt auch ein deutsches Mädel namens Ursula im Kanon der kollektiven Vergangenheitsbewältigung,
welches dem Führer eine Kantate (aber eigentlich ihren jungen, burschikosen
Leib) schenken will. Sie trägt einen Stahlhelm aus ultrablondem Haar, sieht
auch sonst in ihren strengen weißen Klamotten ultrauncool aus und hat
zunächst nichts Besseres im Sinn, als in Gegenwart des mit phallischen
Handgrüßen inflationär herumfuchtelnden Quadratschnurrbarts
in eine tiefe Ohnmacht zu stürzen. Dabei ist ihr eigentliches Problem der
unvorhandene Vater und wahrscheinlich eine schmutzige Abtreibung, die sie wiederum
der Fähigkeit beraubt hat, eine vorhandene deutsche Mutter werden zu dürfen.
Verlobt ist sie mit einem ach zu harmlosen jungen Mann namens Gottlieb, der
zwar erst frisch (Presseheft:) „bei der SS arbeitet“, aber dem hurtig nichts
Geringeres als die Planung der (Film:) „stilvollen“ Erledigung des „Judenproblems“
anvertraut wird und der sich (Abgründe tun sich auf) doch heimlich auf
ein Softerotikfilmchen mit der „Jüdin“ Gisela als Hauptdarstellerin einen
von der Palme wedelt. Dabei war das schlüpfrige Filmchen eigentlich nur
für einen guten, also militärischen, Zweck gedreht worden, nämlich
für die Demoralisierung des kompletten Polenlandes. Heimlich soll der Streifen
ins Land geschmuggelt werden, und dann wird der Pole schon sehen. Wer wixen
muss, kann nicht schießen. Raffinierter Plan! Ausgerechnet SS-Gottlieb
muss uns demonstrieren, wie todsicher das funktioniert. Wenn das nur Ursula
wüsste.
Doch während
Gottlieb in der ins trostlos Eisengraue zurechtdigitalisierten Reichshauptstadt
hoffnungslos vor sich hin menschelt, beruft sie ihr Schicksal ins nordische,
graugrüne Finnland, zu Höherem. Die musisch Begabte soll Hanns Broch
(Hilmar Thate), dem umstrittenen aber großen Komponisten, bei der Erstellung
jener titelgebenden „Hitlerkantate“, einem Geschenk zum 50. Führergeburtstag
(„Sie wissen schon: mit allen verfügbaren Chören und illuminiert mit
einem Lichtdom von Albert Speer“), assistieren. Ihr Lebenstraum Nummer Zwo,
die sublimierte, die tonale Hitler-Hingabe, steht kurz vor der Verwirklichung,
doch was ist das? Broch heißt nicht nur so ähnlich und sieht nicht
nur so aus wie ein verkappter Bertolt Brecht, er ist auch einer. Undeutsche,
schwarzgraue Borsten trägt er auf dem Schädel, dünne Zigarren
im Mundwinkel, krause Gedanken im Kopf. Eine jüdische Freundin hat er auch.
Kein Wunder, dass so einer früher mal Kommunist war. Nicht der Führer,
nur die ihm für die Kantate versprochene Reputation im nazideutschen Kulturbetrieb
bewegt ihn zum Komponieren.
Da muss Ursula aber
ganz schnell eine arische Schnute ziehn und ihre sehnige Windhundstatur verkrampft
zum Grammophon-Schubert auf dem Rentierfell zerdehnen, so dass es beim bolschewikischen
Vaterlandsverräter schnackelt. Natürlich mit Erfolg, denn so schnell
vergisst auch der verjudetste Deutsche die Schöße nicht, aus denen
er einst kroch: Das deutsche Lied, das deutsche Loch, das deutsche Glied, das
deutsche Joch. Und Verdun war schmählich, schmutzig und schlammig. Schlamm,
in dem er einst den besten Freund (rein zufällig auch Vater unserer Ursel)
liegen lassen musste. Schlamm, der ja so viel schmutziger war, wundert er sich
laut, als die schönen Reichsparteitage. Auch die deutschen Soldaten in
Berlin sehen unter Hitler irgendwie straffer, ordentlicher, gepflegter aus als
die halbtoten damals vor Verdun. Aber merkwürdig dieser kollektive Hang
zum Untergang, darüber möchte Broch eine komplette Oper komponieren.
Und er will, sagt er ihr deutlich, der Ursula den Hitler aus dem BDM-Leib vögeln.
„Das kannst du gar nicht, er ist ganz tief in mir drin.“ So ihre Replik.
Ein Film mit Figuren,
die an lauter Ambivalenzen leiden, bis sie stagnieren, bis der Film stagniert.
Irgendwie hat dieser böse Hitler allen wohlmeinenden Deutschen die Fähigkeit
zur Liebe geraubt und gegen einen ganz verrückten Sexus eingetauscht. So
kann Broch Ursulas NS-Erotik nicht widerstehen, und gleichzeitig muss er leider
das „hysterische Nazi-Flittchen“ verachten (was seine Geilheit natürlich
nur steigert). So muss sie dem faltenreichen Charme des Maestro und Vaterersatzes
erliegen, aber seine ewige Krittelei am Reich ist ihr unerträglich. Sie
kann so nicht leben. Kann sie so sterben? Sie radelt mittenmang in den finnischen
Weiher hinein. Ein dilletantischer Selbstmordversuch? Oder ist sie nur zu deutsch zum Radfahren?
Wahrscheinlich hat sie es nur auf Unterkühlung, Fieber und Doktorspiele
abgesehen, Nazischlampe, die! – und doch verwirrtes, armes Kind zugleich!
Ein Film über
Demagogie, Sex und Hysterie im „3. Reich“. Und ein Versuch, die Gefühle
von Nazis zu verstehen. Nazis, die eben doch keine richtigen Nazis waren, weil
sie hin- und hergerissen, sprich: weil sie Opfer waren einer sexuell aufgeladenen
Propagandamaschinerie. Alles nicht so schlimm, könnte man sagen, der Film
tut ja selbst schon sein Bestes, um nicht ernst genommen zu werden. Der Skandal
ist nur, dass er es ernst meint. Er zeigt Nazi-Aufmärsche und er zeigt
den bellenden Hitler und er glaubt anscheinend wirklich, das alles sei sexy.
Er zeigt ein naives BDM-Mädchen, bis zur Lächerlichkeit authentisch,
und will uns davon überzeugen, dass ihrem stumpfen Ariergehabe etwas subtil
Geheimnisvolles, eine magische Erotik innewohne.
Zunächst mal
zur Erinnerung: Die Ästhetik des „3. Reichs“ ist eine Ästhetik für
Arschlöcher. Punkt. Das war damals so und das ist heute so. Das haben auch
damals schon einige gemerkt, aber komischerweise haben diese Hellseher Nazi-Deutschland
entweder frühzeitig verlassen oder sie wurden von Nazi-Deutschland ermordet.
Nur ein klein wenig Aufmerksamkeit und ein klein wenig Empathie der RestdeutschInnen
hätte genügt, um Hitler zumindest unerotisch zu finden. Aber unsere
Eltern und Großeltern fanden es in Ordnung, wenn die jüdischen Nachbarn
abgeholt wurden, und sie machten, jeder auf seine Weise, dabei irgendwie mit,
denn irgend jemand hat’s ja schließlich doch getan. Das mag schon tiefe seelische
Schäden hervorrufen, speziell hinterher, wenn der Krieg verloren ist, hinterher,
nach dem „Untergang“. Natürlich, die deutsche Nation kann einem schon ganz
schön leid tun: All die unbeabsichtigten Orgasmen bei den Reichsparteitagen
und beim Aufgeilen daran, zur Herrenrasse zu gehören, und hinterher die
ekligen Leichenberge, die man nicht mehr schaffte, durch die Schornsteine zu
entsorgen. Was für ein Gefühlsgefälle!
Daran wird auch nichts
ändern eine von Regisseurin Brückner insinuierte (und für sie
von Filmen wie „Der Untergang“ inspirierte) „education sentimentale“, wie sie
sie in einem Artikel im „Freitag“ (vom 15.10.2004) beschreibt. Ihre Phantasie, die „Erstarrung
im Trauma“ und die damit entstandenen Mythen über das 3. Reich mittels
eines „erneuten Durchlebens“ zu durchbrechen. „Eine nationale, mit einem Trauma
beladene Geschichte wirkt ähnlich wie eine individuelle traumatische Biografie“,
schreibt Brückner. Das „gefühlte“ „3. Reich“ sei die mögliche
neue Form einer Überwindung von „Trauma, Tabu, und Faszination“. Das Kino
sei für diese Aufgabe „der privilegierte Ort“.
Die durch Brückner
vom Kino eingeforderte Herstellung eines „distanzlosen Dabeiseins“ ist ja schon
aufgrund der dem Spielfilm impliziten (und übrigens auch in der „Hitlerkantate“
deutlich durch Überstilisierungen vorangetriebenen) unvermeidbaren Fiktionalisierung
von Geschichte und Handlung ein Ding der Unmöglichkeit (und eine Illusion,
der z.B. auch oft die Rezeption des „Untergangs“ erlegen ist: „Endlich konnten
wir Hitler erleben, wie er wirklich war“). Zum Anderen erforderte diese Art der Rekonstruktion
von „Geschichte zum Nacherleben“ (wäre sie überhaupt praktikabel)
eine Eliminierung von über sechzig Jahren Rezeption und Bewusstsein der
NS-Zeit. Verlangt also wäre Verblödung, um Verblendung zu verstehen.
Gefühlt wurde auch unter den Verblendeten allerdings reichlich, aber nur
in eine Richtung. Gedacht wurde weniger. Heute auch? Eine neuerliche Eins-zu-Eins-Empathie
fürs Sentiment von Nazideutschland jedenfalls würde nicht über
dieselbe Nazi-Blödheit hinaus
gehen (und wenn die Seifenoperndiva Nazi-Ulla im
Film tausendmal unerwartet schnell begreift, wie böse doch leider das Faszinierende
am Faschistoiden ist).
Dass für Brückner
nun auch ausgerechnet die hollywoodeske Serie „Holocaust“ und der im TV-Format
gedrehte Film „Der Untergang“ Hilfen zu einer „tieferen Erkenntnis des Dritten
Reiches“ darstellten, dass sie bei ihrer Aufzählung Filme wie der über
achtstündige Dokumentarfilm „Shoah“ von Claude Lanzmann (ein Film, der bewusst versucht, jede Fiktionalisierung
zu vermeiden, indem er nichts „nachstellt“, sondern lediglich Zeitzeugen über
den Holocaust berichten lässt) und „100 Jahre Adolf Hitler - Die letzten Tage im Führerbunker“ von Christoph Schlingensief
(ein Film, der bewusst und gezielt und höchst „emotional“ seine eigene
Fiktionalität einsetzt, um Mythen und Tabus des „3. Reichs“ zu überzeichnen
und durchbrechen) schlicht vergisst, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass es
Brückner womöglich weniger um eine künstlerische, der cineastischen
Selbstbeschränkungen bewusste, Reflexion der Phänomenologie des „3.
Reichs“ gegangen sein muss, sondern um etwas anderes. Nur um was denn eigentlich,
wenn nicht um eine fragwürdige Reputation derer, die an sich schon unübersehbar
fragwürdig waren?
Erkenntnis setzt Distanz
voraus, sei es die Distanz durch künstlerische Überhöhung oder
die Distanz durch Berichtetes, also etwa durch die Subjektivität der Überlebenden
(und damit sind keine mit Musik aufemotionalisierte Interviews a lá Knopp
gemeint). Nazi-Deutschland - und die „Hitlerkantate“ ist dafür nur ein
weiterer Beweis - ist filmisch so wenig reproduzierbar wie die „Passion Christi“. Also erübrigt sich auch hier die naive Frage nach dem „Wie
hat es sich angefühlt?“. Was uns vom „3. Reich“ bleibt, sind historische
Daten, überlieferte Erfahrungen und z.B. seine Spiegelungen im Kino, das
sich seiner Eigenschaft als Kunstform (also auch als „künstlicher“ Form)
bewusst ist. Schlimm genug, wenn das Kino seine eigenen Mittel verkennt, aber
in mir ruft es Übelkeit hervor, wenn es nicht nur behauptet, Authentizität
herzustellen, sondern mittels derselben auch noch angetreten ist, die „deutsche
Neurose“ zu kurieren.
Abgesehen davon, dass
nun dieser Gefühls-Therapie-Film von Brückner den „Deutschen“ das
Gleiche antut, wie der Zahnarzt dem Patienten nach seiner Blendax-Prophylaxe
(„Mutti, Mutti, er hat überhaupt nicht gebohrt“), schlage ich vor, jenen
unheilbar arischen Deutschen, um die es dem Film ja vornehmlich zu gehen scheint,
unbedingt ihre „Traumata“ zu erhalten – wenigstens etwas, woran sie zu knabbern
haben - und dass wir (ja wir!) uns ganz gefühlsmäßig und empathisch
und final bitte ab sofort nur noch dem Schicksal der Deutschen und der Europäer
zuwenden, die während des „3. Reichs“ aufgrund ihrer „Rasse“, ihrer Religion
oder ihrer Nationalität verfolgt oder ermordet wurden. Würden wir
nämlich genau das tun, was unsere verbrecherischen Vorfahren im Faschismus
tunlichst vermieden haben, müssten „wir Deutschen“ dieses ekelhaft selbstmitleidige
„Trauma“, das doch immer nur nach einer Relativierung von Verantwortung riecht,
wohl am schnellsten überwinden können, weil wir dann andeutungsweise
ahnen würden, was ein echtes Problem ist und wer das echte Problem hatte.
Um die (deutsche) Welt in Zukunft vor faschistoiden Tendenzen zu bewahren, ist
es unbedingt angezeigt, nicht den Nazis nachzufühlen sondern ihren Opfern.
Wir waren darin schon einmal weiter als heute.
Andreas Thomas
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Hitlerkantate
Deutschland
2005 - Regie: Jutta Brückner - Darsteller: Lena Lauzemis, Hilmar Thate,
Rike Schmidt, Arnd Klawitter, Krista Stadler, Dirk Martens, Christine Schorn,
Andreas Guenther, Christiane Lemm, Armin Dillenberger - FSK: ab 12 - Länge:
114 min. - Start: 18.5.2006
DVD
Bild: 1,78:1 (anamorph) - Sprache: Deutsch (DD 2.0 Stereo) - Untertitel: Englisch
- FSK: ab 12 Jahren - Verleih: absolut MEDIEN; http://www.absolutmedien.de/main.php?view=film&id=1584
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