zur startseite
zum archiv
Die Hochstapler
Ja, könnte hinkommen. Der
erste Dokumentarfilm über Schwerkriminelle, Betrüger und Hochstapler,
die im Knast sitzen, gern in der Sicherungsverwahrung, und vor der Kamera locker
und für Interessierte lehrreich über ihre große Zeit, die kriminelle,
erzählen. Vier sind es. Wie haben Sie das gemacht, Jürgen H.? 600
Millionen aus der hanseatischen Haute Volée herausleiern? – Die Selbstdarsteller
geben Auskunft, anekdotisch, faktenreich, wahrhaftig in ihrem Sinne. Man hört
ihnen zu. Sie sind unglaublich präsent.
Alexander Adolphs erster Kinofilm
funktioniert besser als die vielen Spielfilme zu diesem Thema; diese enden gern
mit einer Hauptverhandlung des Strafgerichts, einem eifernden Staatsanwalt und
der verdienten Strafe. Im Film „Die Hochstapler“ – nichts davon. Jeder der Vier
ist Einzeltäter. Mit Wirtschaftsverbrechen hat das nichts zu tun. Wohl
aber damit, sich eine Gegenwelt oder eine Parallelexistenz zu dem aufzubauen,
was man als existentielle Pauperisierung bezeichnen könnte. Torsten S.
aus Bitterfeld, Heimkind und schnell Insasse der Jugendstrafanstalt Torgau,
findet seine wahre, aber falsche Identität nach der Wende als US-Major,
der in Mecklenburg-Vorpommern eine Nato-Sicherheitskonferenz organisiert und
behufs dessen eine Kleinstadt aufmischt – und ausnimmt.
Mark Z., begnadeter Textilkaufmann,
nutzt die frisch erworbene Menschenkenntnis, um im Parallelleben als freier
Unternehmensberater private Vermögen einzustreichen. Wie mache ich Geld?, ist schließlich
Wirtschaftsideologie. Er tut nichts anderes, wenn er körperliche Signale
seines Gegenübers zu lesen vermag. Schau mir in die Augen, Kleines. Wir
können das lernen, wenn wir zuhören.
Jürgen H., Sonderschüler,
testet bei den Hamburger Topmanagern aus, wie weit er gehen kann mit den abgefahren
Lügengeschichten. 600 Millionen für einen Trip zum Mond zur Jahrtausendwende?
Das Geld fließt. Er sagt jetzt vor der Kamera, dass er das „Gierkapitel“
der reichen Hanseaten vollstreckt habe. – Der Interviewer fragt nicht nach,
er kommentiert nicht, er hört zu, und deswegen können wir diese Sätze
hören. Ab und zu fügt der Film stark aufgelöste Bilder ein, Schemen:
Golfer beim Golfen etwa. Niemals aber wird etwas reportiert. Obwohl in Hamburg
jeder weiß, dass Jürgen Harksen die Bosse beeindruckte, wenn er sie
zu einem Mallorca-Trip einlud – im eigenen Learjet. Milliardär Harksen
verbrachte noch neun schöne Jahre in seinem Luxuspalast in Kapstadt, dann
wurde er ausgeliefert. Wo ist das Geld? Das Finanzamt Schlump schickt ihm einen
Steuerbescheid über 140 Millionen Euro in die Vollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel.
Dort sitzt er immer noch, und im Film erzählt er nichts vom Prozess. -
Es ist gemein, dass ich mit diesen Fakten evtl. ein Anliegen des Films ruiniere,
aber in Hamburg weiß eben jeder, wer Jürgen H. ist, der im letzten
Jahr seine Autobiografie geschrieben und sich die übliche Bewährung
versaut hat. Dabei hat er ebenso wie die anderen drei Helden des Films nur getan
„was man unter anderen Umständen Erfolgsmenschen zuschreiben würde:
nämlich aus nichts Geld zu machen“ (Alexander Adolph).
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: Konkret 4/2007
Die Hochstapler
Deutschland 2006 - Originaltitel: Mein anderes Leben - Der Hochstaplerfilm - Regie: Alexander Adolph - Darsteller: (Mitwirkende) Torsten S., Marc Z., Peter G., Jürgen H. - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 84 min. - Start: 26.4.2007
zur startseite
zum archiv