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Miguel erwacht in einem Brunnenschacht. Er trägt einen dunklen Anzug und einen Ehering. Er hat keine Ahnung, wie er hier hergekommen ist. Die einzigen, die seine Hilfeschreie hören, sind zwei vermummte Männer, die ihm einen Eimer herablassen, die ihm in Alu-Folie verpackte Sandwiches herunterwerfen, Trinkwasser, ihre halbgerauchten Kippen. Keine Antworten, keine Gewissheiten, keine Hoffnung.
Monate,
vielleicht Jahre halten die zwei Männer Miguel in seinem Loch gefangen.
Der Dreck zehrt an ihm und die Enge und die Verzweiflung. Die Kamera beobachtet
seinen Verfall, sieht zu, wie die Hemmungen verschwinden, seine Notdurft in
einem Eimer zu verrichten, wie sein Bart wächst, wie seine Zähne verschimmeln,
wie er sich die Fingernägel abbeißt und die Fußnägel am
rauen Stein abreibt, wie er wie ein gefangenes Tier an den Mauern des Brunnenschachts
entlang rennt und schließlich nur noch da liegt, apathisch ins Leere starrend,
an die Wand.
Was
Zulo
zu
einem fragwürdigen Film macht, sind nicht kleinere dramaturgische Schwächen,
die man einem Regie-Debüt gerne nachsieht. So verlässt die Kamera
in zwei Szenen den Brunnenschacht und zeigt, dass dieser in einem verfallenen
Haus irgendwo im Wald liegt. Damit wird der klaustrophobische Rahmen, auf den
der Film so sehr beharrt, aufgesprengt und der Zuschauer bekommt einen – wenn
auch unbedeutenden – Wissensvorsprung gegenüber dem Protagonisten, mit
dessen Unwissenheit er sich doch gerade identifizieren soll. Die Kameraarbeit
und das Spiel des Hauptdarstellers überzeugen durchweg, allerdings rückt
die Inszenierung manchmal mit wild rotierender Kamera und hektischen Jump-Cuts
in fragwürdige Nähe zur Ästhetik von Video-Clips.
Am
Ende erwacht Miguel erneut, diesmal in der Wüste, deren helle Weite die
dunkle Enge des Brunnenschachtes konterkariert. Noch immer gibt es keine Antworten,
keine Gewissheiten. Ob die Motivation der Täter politisch war oder es um
Lösegeld ging, wie und warum Miguel frei gelassen wurde, bleibt ein Rätsel.
Dadurch dass Ferrera der Gefangenschaft, die der Film beschreibt, allen Kontext
nimmt, versucht er eine möglichst vieldeutige Parabel zu schaffen. Es geht
ihm, um die Frage nach Gefangenschaft und Freiheit des Menschen an
sich,
ebenso sehr wie um die Folgen des „War on Terror“. Mindestens in einer Szene,
wenn einer der beiden Entführer filmt, wie der andere Miguel ohrfeigt und
ihn auffordert, „Hallo“ in die Video-Kamera zu sagen, sucht der Film explizit
Anschluss an die Folterdebatte um die Gefängnisse in Abu Ghuarib und Guantanamo
Bay.
Tatsächlich
aber bewirkt die Aussparung jeglichen Kontexts genau das Gegenteil: Die Geschehnisse
bekommen einen metaphysischen Anstrich. Gleißend fällt weißes
Licht von oben in den Schacht, in dem es so dunkel ist, dass den Bildern alle
Farbe entzogen zu sein scheint. Die zwei Entführer, als deren Motivation
nicht einmal reiner Sadismus gelten kann, haben etwas von gesichtslosen Dämonen,
die den Menschen heimsuchen und so plötzlich und grundlos verschwinden,
wie sie aufgetaucht sind. Für das Böse, das Zulo
beschreibt,
scheint es keine Erklärung zu geben. Es ist
einfach,
wie der Stein und der Sand. Damit ist Zulo
gerade
das Gegenteil eines politischen Films.
Zulo
Spanien
2005; ca. 87 Min; Drehbuch: Pep Garrido; Regie: C. Martín Ferrera; Produzenten:
Adriá Gómez Marco, C. Martín Ferrera; Darsteller: Jaume
García Arija, Isak Ferriz, Enric López.
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