Hollywood
Boulevard
>>Der
Inhalt eines Filmes ist ein anderer Film<<*
Die
Geschichte, eine oft erzählte: Ein junges, etwas naives Mädchen vom
Lande zieht es hinaus in die Welt, nach Hollywood um genau zu sein, wo sie den
süßen Versprechungen gemäß ein großer Star werden
möchte. Der Einstieg ist schnell gefunden, doch bald - nach einigen schlechten
Engagements, die sie von einem zweifelhaften Film zum nächsten bringen
- muss sie sich eingestehen, dass Hollywood eben nicht jene glitzernde Traumfabrik
ist, sondern ein Moloch aus geldgeilen Regisseuren, schlechten Agenten und Intrigen.
Ein Moloch, in dem die Unterschrift unter einem Vertrag beinahe schon mit dem
Verkauf der eigenen Seele, zumindest aber mit einem Verzicht auf elementare
Menschenrechte und die eigene Würde, gleichzusetzen ist.
Nein,
die Rede ist hier nicht etwa von MULHOLLAND DRIVE (USA 2001) von David Lynch,
sondern - witzigerweise ebenfalls nach einer Straße benannt - von HOLLYWOOD
BOULEVARD (USA 1976) von Allan Arkush und Joe Dante. Und nein, dieser Film ist
auch kein düsterer, postmoderner Psychothriller, sondern ein geradezu typisches
Machwerk aus der Filmschmiede Roger Cormans. Und er, der Film, treibt das Konzept
der möglichst rigiden, ökonomischen Produktionsweise, das seinen Hunderten
von Artgenossen zugrunde liegt, auf die konsequente Spitze: der gesamte Film
ist, was Erzählung, Ausstattung und Wahl der Drehorte angeht, rund um möglichst
knallige Szenen aus anderen Corman-Filmen (von der klassischen Poe-Ära
hin zu durchgeknallten Flicks wie DEATH RACE 200O (USA 1975)) herum gedreht
worden, um Stunts und teure Action-Sequenzen einzusparen, aber dennoch mit dem
altbekannten "Menschen, Tiere, Sensationen" ein zahlungswilliges Publikum
in die Auto- und Schmuddelkinos zu locken. Eine naheliegende Lösung, denn
der Fundus an bunten, exaltierten Szenen aus vorhergegangenen Filmen ist ein
ebenso großer wie weitgestreuter: wahnwitzige Verfolgungsjagden, blutige
Massen-Shoot-Outs, gruslige Nacht- und Nebelsequenzen, gothisch-romantische
Burginterieurs, Fallschirmsprünge aus hächsten Höhen, usw. usf.
HOLLYWOOD BOULEVARD präsentiert sich gewissermaßen als eine „Greatest
Hits“-Compilation, ein Pastiche des gesamten Corman’schen Schaffens, das zudem
in seiner Aneinanderreihung die Essenz, das Grundkonzept jener Filme zu Tage
fördert: die Story diene lediglich als Legitimation möglichst spekulativer
und – sofern das knapp bemessene Budget dies zu lässt – spektakulärer
Szenen, die sich allein auf den reinen Schauwert begrenzen, und ist dementsprechend
untergeordnet. Durch das Korsett der eigenen Produktionsweise, den Zwang, die
Geschichte um bereits existierende Szenen anzuordnen, erzählt HOLLYWOOD
BOULEVARD vor allem von den Bedingungen der Möglichkeiten des spekulativen
B-Kinos, der Exploitationfilme überhaupt.
Auf
diese Weise funktioniert HOLLYWOOD BOULEVARD – die selbstreflexive Erzählung
rund ums Produzieren drittklassiger B-Movies weist ja bereits in aller Deutlichkeit
drauf hin – auf stilistischer Ebene als ironische Bebilderung der eigenen Arbeitsweise,
als Darlegung ökonimisch bedingter ästhetischer Strategien und ferner
als Dokumentation eines ganz bestimmten Filmverständnisses, eines unbekümmerten,
wilden Kinos, das in dieser Form – der B-Movie hat schon längst, ausgestattet
mit entsprechend hohem Budget und damit einhergehend einem okönomischen
Interesse an einem „common sense“, die Kinolandschaft erobert – heutzutage kaum
noch finden ist. Ferner dient er, ich verweise nochmals auf einangs erwähnten
MULHOLLAND DRIVE, als bestes Beispiel dafür, dass es mitnichten alleine
darauf ankommt, was denn nun im Kern eines Filmes erzählt, welcher Mythos
bedient wird, sondern dass die gewählte Form für die Erzählung
das fertige Resultat mit am entschiedensten prägt.
Dies
macht HOLLYWOOD BOULEVARD auch heute noch auf filmtheoretischer Ebene interessant,
allein, der Film krankt – wie viele Filme dieser Machart – für heutige
Sehgewohnheiten an seinem eigenen Alter. Die Erben dieser Form der absurden
Gag-Filme haben ihre Vorläufer schon lange überholt, sind stellenweise
selbst schon wieder in der Bedeutungslosigkeit der Dritt- und Viertauswertung
im Nacht- und Vormittagsprogramm diverser Privatsender versunken.
Thomas
Groh, 2003
*In
Anlehnung an Marshall MacLuhan
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: F.LM - Texte zum Film
Hollywood
Boulevard,
(Hollywood
Boulevard)
USA
1976
Regie:
Allan Arkush, Joe Dante
Drehbuch:
Danny Opatoshu
Kamera:
Jamie Anderson
Schnitt:
Allan Arkush, Joe Dante, Amy Holden Jones
Produktion:
Roger Corman,
Darsteller:
Candice Rialson, Mary Woronov, Rita George,
Jeffrey
Kramer, Dick Miller, Richard Doran,
Tara
Strohmeier, Paul Bartel, John Kramer, u.a.