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Hostel
2
"Glaubst
du, wir sind krank?"
Im 16. und 17. Jahrhundert lebte in der heutigen
Slowakei die ungarische Gräfin Elisabeth Báthory, die zahlreiche
Mädchen und junge Frauen auf ihrer Burg verstümmelte und zu Tode folterte.
Bei mindestens 80 bis möglicherweise gar über 600 Opfern bietet sich
ein Bild exorbitanter Mordorganisation, das seinesgleichen sucht. Nicht nur
die vermeintliche Anstellung als Dienstmädchen lockte die Frauen in die
Fänge der sogenannten Blutgräfin, auch ließ diese ihre Häscher
ausschwärmen, um in den umliegenden Dörfern Slowakinnen zu entführen.
Die ausgebluteten Leichen rollte man nach der Tortur unter die Betten und warf
sie irgendwann, wenn sie die fortschreitende Verwesung allzu sehr stinken ließ,
auf die umliegenden Felder, wo die Bauern sie fanden und für Vampiropfer
hielten.
Im 21. Jahrhundert sieht eine slowakische Provinz
immer noch aus wie im Mittelalter. In einer brachliegenden Industrieanlage floriert
das grausame Geschäft der Elite Hunting, einem Unternehmen, das nichtsahnende
Touristen aus dem hiesigen, eingeweihten Dorf in ihr Folterbordell verschleppt,
wo derjenige geldträchtige Kunde auf sie wartet, der für ihren Tod
am meisten auf den Tisch gelegt hat. Amerikaner, wissen wir aus dem ersten Teil,
sind am meisten wert. Entsprechend freudestrahlend lässt der Rezeptionist
die drei Kunststudentinnen im Hostel einchecken. Im Grunde folgte "Hostel
2" bis dahin nur seinem Vorgänger; was sich daraufhin anschließt: "Hostel
2" folgt seinem Vorgänger.
Es ist schon eine schrullenhafte Dreistigkeit von
Eli Roth: Er präsentiert den gleichen Film noch einmal. Dabei sieht es
zuvörderst so aus, als sei ihm tatsächlich daran gelegen, die Geschichte
um Paxton, dem Überlebenden aus "Hostel", weiterzuspinnen; doch
jäh ist gewiss, dass ihn für einen stimmungsvollen Opener das gleiche
Schicksal ereilt wie einst Laurie Strode im achten "Halloween". Fortan
nimmt das Déjà-vu seinen Lauf und lässt uns daran teilhaben,
wie im Gegensatz zu den drei männlichen Partytouristen des Erstlings nun
das weibliche Geschlecht auf den Folterbänken Platz nimmt. Dieser zweite
Anlauf jedoch macht es richtig und lässt den ohnehin unzulänglichen
Vorgänger nunmehr völlig wertlos erscheinen. An die Hinterwäldlerkulisse
samt Kindergang hat man sich mittlerweile gewöhnt und nimmt immerhin wohlwollend
zur Kenntnis, dass Bratislava keine namentliche Erwähnung mehr findet.
Der Substanzgewinn nun aber äußert sich
insbesondere in der sicherlich nicht ausreichenden, aber vorhandenen Beleuchtung
der Folterer. Im Fokus stehen zwei amerikanische Freunde, der eine ein Snob
und Golfspieler halt, der über den absoluten Männlichkeitsbeweis palavert,
der andere ein mitgeschleppter Mittelständler, der arge Zweifel an dieser
Art des vollwertigen Mannwerdens hegt. Auch wenn später die Motivationen
unglaubwürdig entrücken und sich verschieben - dem moralischen Bedenken
ob des Vorhabens wird endlich Zeit eingeräumt, noch dazu gelingt es, Motive
stärker zu erfassen. Denn ganz gleich wie unvorstellbar die Vorstellung
des Foltertourismus bleibt, wir können nicht leugnen, dass das Verlangen
dazu anthropologisch existiert. Dafür fusionierten Todestrieb und Lustprinzip
schon zu oft, in besetzten irakischen Gefängnissen, auf gräfischen
Burgen, manchmal im Nachbarshaus unserer Kleinstadtidylle. Der Film selbst beschreibt
die bereits sinkende Hemmschwelle, wenn die Judikative in weiter Ferne sei (in
slowakischer Provinz käme es einem Amerikaner nie in den Sinn, dass es
dort so etwas wie Gesetze geben könnte).
Über das kickende Adrenalin hinaus, den Selbstbeweis,
die "Eier dazu zu haben", dringt Roth ansatzweise ebenso zum sexuellen
Aspekt vor. In der ersten expliziten Folterszene hängt die schüchterne
Lorna kopfüber, nackt und gefesselt an der Decke, während unter ihr
eine Dame in eine Wanne steigt, inklusive Sichel. Der (historisch nicht belegte)
Báthory-Mythos (die sich im Blut suhlende Gräfin) wird augenblicklich
konkret, wenn das fürchterlich wimmende Opfer mit Sense bis zum Kehlenschnitt
malträtiert und in dessen herausspritzendem Blut gebadet wird. In ihrer
grotesken Ästhetisierung eine Schlüsselszene, die die Qual überdeutlich
mit Erotik und damit sexueller Lust konnotiert. Schmerzzufügung und Orgasmus,
de Sade'schen Vorstellungen und Machtausübung gewährt Roth hier Freilauf.
Mit selbstreflexivem Hintergedanken stellt sich der Film da schließlich
irgendwann die Frage: "Glaubst du, wir sind krank?"
Hier sind es keine siebenjährigen Jungen, die
auf dem Rücken liegende Käfer quälen, hier sind es Menschen,
die Menschen schänden. Bewusst nicht aus Geisteskrankheit und nicht entwickeltem
Moralverständnis heraus. Noch im Begriff, indem der Film die Frage stellt
und wir ihn sehen, richtet diese sich gleichermaßen ebenso an uns. Sind
wir krank, die wir uns nach immer härterem Tobak sehnen? Zur Auslotung
der Schmerzgrenze im justizfreien Raum? Zur Befriedigung sexueller Phantasien
und Perversionen? Zur reinen, nicht-sexuellen Unterhaltung? Fest steht, dass
voyeuristischer Sadismus und Torture-Porns, mit der "Saw"-Reihe allen voran, wieder vermehrt Einzug
in den Horrorfilm gehalten haben. Mitnichten sind diese Entwicklungen neu, doch
sind im Gegensatz zu ein paar Klumpen alter Schweinegedärme und in Dummies
montierten, robusten Blutsprengkörpern in den Siebzigern und Achtzigern
der technische Fortschritt und höhere Budgets heute imstande, eine neue
Special-Effect-Dimension aufzureißen. Immer seltener - für die "Hostel"-Filme
gilt dies ironischerweise nicht ausnahmslos - ist der Effekt in seiner hinter
der Illusion steckenden Funktionsweise zu entschlüsseln. Der Authentizitätsgrad
ist heutzutage ungleich höher und die Fiktion ungleich unfiktionaler. Beste
Voraussetzungen, um abgründige Sadismusphantasien noch erlebbarer zu machen.
Und noch ein Umstand führt zum ersten gehaltvollen
Film von Eli Roth: die Darstellung von Elite Hunting. Nun wird gezeigt, was
im ersten Teil überwiegend verwehrt blieb: der Apparat und sein Funktionieren.
Wer es auf die Spitze treibt, darf hier die vollendete Degeneration des Kapitalismus
betrachten. Die Moral ist tot. Für den zahlungskräftigen Kunden stellt
Elite Hunting wie auf einer Wellness-Farm das ganze Wohlfühlangebot zur
Verfügung. Im S/M-Look zur Tat schreiten oder doch lieber als Metzger?
Kreissäge oder Operationsbesteck? Extrawünsche? Auch kein Problem.
Alles ist straff durchorganisiert: von den Lockvögeln, die sich im ganzen
alten Europa herumzutreiben scheinen bis hin zum Hostelrezeptionisten, der noch
online eben schnell die Auktion freigibt, auf der die Eincheckenden sogleich
versteigert werden. Das anschließende Bieten ist auch flugs zynischer
Höhepunkt, in dem etwa Opa via Handy sein Gebot abgibt und nebenbei dem
Enkel auf dem Karussell zuwinkt. Eigentlich fehlt nur noch die passende Musik,
"Paint it black" von den Stones (ist ja egal, was sie singen, solang
es hip klingt), und schon könnte man bei all dem Liebreiz der Montage meinen,
den neuesten Ebay-Werbespot gesehen zu haben.
Daniel Szczotkowski
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: www.ciao.de
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Hostel
2
USA
2007 - Originaltitel: Hostel: Part II - Regie: Eli Roth - Darsteller: Lauren
German, Heather Matarazzo, Bijou Phillips, Roger Bart, Jay Hernandez, Richard
Burgi, Vera Jordanova, Stanislav Ianevski, Milan Knazko, Ivan Furak - Länge:
93 min. - Start: 14.6.2007
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