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Hostel
Frivole Freude
am Knacken der Knochen
Eli Roth führt mit "Hostel" die
große Tradition des amerikanischen Splatterfilms fort: Das Betreten der
falschen Gegend wird gnadenlos bestraft. Die Mischung aus nationaler Hybris
und latentem Selbstekel, die den "American Horror" der Siebzigerjahre
kennzeichnet, funktioniert heute wieder prächtig
Das Bild des Amerikaners-in-der-Fremde gehört
im Hollywoodfilm seit einigen Jahren zu den prekärsten Images. Im Grunde
ist es nur ein kleiner Schritt vom Slapstick der Familie Griswold in "Hilfe,
die Amis kommen" zu Eli Roths Backpacker-Horror "Hostel", der
heute in den deutschen Kinos startet. Auf die eine oder andere Art und Weise
bricht sich das Gefühl der Dislozierung und das Unbehagen vor dem Unbekannten
immer Bahn. Was Slapstick und Horror gemein ist, ist die Verwurzelung in einer
hysterischen Tradition, die Körper und Bewusstsein gleichermaßen
durchdrungen hat. Im hysterischen Körper sind die Übergänge zwischen
physical comedy
(wie in den frühen Filmen der Farelly Brüder) und dem body horror
des Splatterfilms ("splatter" hier auch als lautsprachlicher Ausdruck:
das schmatzende, pladdernde Auslaufen viskoser Flüssigkeiten) fließend.
Eli Roth hat mit "Hostel" nun eine eingängige
Metapher für diese Überlappungen im Hysterischen gefunden: die Folterkammer.
In der geschlossenen, in bösartige Schwärze gehüllten Folterwerkstatt
erfüllen die Verstümmelungen zweierlei Funktion: als rabiate Aneignung
des verdinglichten Körpers und gleichzeitig frivoler Lustgewinn am Knacken
von Knochen, dem Schlürfen und Mantschen und dem Sirren einer Bohrmaschine,
wenn sie in das geschundene Fleisch getrieben wird. "Hostel" spielt
recht plakativ mit dem Zeichenrepertoire des Splatterfilms, dringt darüber
aber zu seinem hysterischen Kern vor: dem Unbehagen vor dem "Anderen".
In "Hostel" verschlägt es eine Gruppe
von Rucksacktouristen - zwei amerikanische Studenten, ein Isländer - auf
der Suche nach billigen Sexabenteuern ins tiefste Osteuropa. Roth zeichnet seine
hormongesteuerten Fratboys als hässliche Karikaturen des amerikanischen
Tourismus/Imperialismus. Und ihr schlechtes Benehmen bleibt nicht ungesühnt.
In einem verschlafenen slowakischen Nest geraten sie in die Hände von Elite
Hunting, einer Art Dienstleistungsunternehmen, das für eine "Vermittlungsgebühr"
solventen Hobbysadisten frisches Menschenmaterial beschafft. Der Balkan zeigt
sich von seiner fiesesten Seite.
Das Hysterische am Sich-in-der-Fremde-Befinden und
die Furcht vor dem "Anderen", das in den bürgerlichen Alltag
eindringt, die Normalität sozusagen überformt und deformiert, gehört
zu den Schlüsselmotiven des amerikanischen Horrorfilms, wie ihn Tobe Hooper,
Wes Craven und David Cronenberg in den Siebzigerjahren populär machten.
Damals bezog der Horrorfilm seine Spannung vor allem aus den Gegensätzen
von Suburbia und (rückständigen) Südstaaten. Der Begriff des
"American Horror", den der Filmtheoretiker Robin Wood für diese
Goldene Ära des Splatterfilms prägte, war hier durchaus doppelt konnotiert:
als Bestimmung eines geografischen Ortes sowie als Umschreibung für ein
kollektives Unbehagen zwischen nationaler Hybris und latentem Selbstekel. "American
Horror" als gesellschaftliches Symptom.
Woods freudo-marxistische Lesart des amerikanischen
Splatterfilms als "Rückkehr des Verdrängten" unterschlug
jedoch ein zentrales Element dieses kleinen, überschaubaren Genres: eben
jene räumlich-geografischen Gewissheiten, die Filme wie Tobe Hoopers "The Texas Chainsaw
Massacre", Wes Cravens "The Hills have
Eyes" oder John Carpenters "Assault on Precint 13" mit sadistischer Lust über den Haufen
warfen. Der Splatterfilm handelte auch davon, dass jedes Eindringen in "fremde"
Lebensräume (der falsche Straßenzug/Bundesstaat etc.) gnadenlos abgestraft
wurde. Dieses Fremde war dem Landschaftsbild immer auch ästhetisch eingeschrieben.
Auch Roth filmt in "Hostel" den Balkan als farblose Einöde, ein
von Bauern bevölkertes Tarkowsky-Land. Es ist ein Reflex, der auf Hoopers
Hillbilly/White Trash-Diffamierungen zurückgeht. Das "Andere"
bleibt unverständlich, irrational: ein Witz.
So besitzt Woods Begriff des "American Horror"
auch im aktuellen Horrorfilm Relevanz; die Paranoia vor territorialen Ausschlusszonen
- dazu noch auf amerikanischem Boden - ist ein unglaublich zeitgemäßes
Sujet. Es kann kaum Zufall sein, dass Hollywood ausgerechnet jetzt wieder Interesse
an den Klassikern von Hooper, Craven und Carpenter zeigt - ganz zu schweigen
von Romeros "Dawn of the Dead", immer noch der beste Horrorfilm der
Siebziger. Für jüngere Regisseure wie Rob Zombie ("The Devil's Rejects") oder eben Roth dagegen fungiert die ambivalente
Haltung der Veteranen des "American Horror" gegenüber dem Amerikaner-in-der-Fremde
als cooles, postironisches Accessoire (nicht umsonst ist Roth ein Protegé
von Tarantino). Wenn ein Polizist in "Hostel" einem der Backpacker
vor Augen führt, wie weit er doch von zu Hause weg sei, ist aus seinen
Worten nicht Verständnis, sondern Belustigung zu vernehmen - natürlich
steht auch er auf der Lohnliste der Menschenjäger.
Wenn Woods psychoanalytische Analyse des „American
Horror“ auch an Aktualität eingebüßt hat, seine verhohlene Kapitalismuskritik
hat nichts von ihrer Bissigkeit verloren. In „Hostel“ sorgt sie, gekritzelt
auf die Rückseite einer Visitenkarte, für die beste Pointe. Es ist
die Preisliste von Elite Hunting, gestaffelt nach Herkunft. Ein russisches Opfer
ist schon für 5000 Dollar zu haben, ein Europäer kostet immerhin 10.000.
Amerikaner erzielen den besten Preis: 25.000 Dollar. Auch in der Wertschöpfungskette
ist der Amerikaner einsame Spitze.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Hostel
USA
2005
Regie
& Buch: Eli Roth; Musik: Nathan Barr, Kamera: Milan Chadima, Schnitt: George
Folsey Jr.
Darsteller:
Jay Hernandez, Derek Richardson, Eythor Gudjonsson, Barbara Nedeljakova, Jan
Vlasák, Jana Kaderabkova u.a.
Länge:
95 Minuten
Verleih:
Sony
Start:
27.04.06
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