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The House is Burning
Bilder
aus Amerika
Was Holger Ernst in seinen Spielfilm-Erstling
“The House is Burning” an dramatischen Ereignissen hineinsteckt, hätte
locker für sechs abendfüllende Produktionen gelangt. Das ist immerhin
schon mal ein Hinweis darauf, dass Ernst nicht an Psychologie interessiert ist.
Der Zuschauer hat es in diesem „Haus“ mit einer fiktional erzeugten Wucherung
des Schlimmen zu tun. Welche Figuren auch vorgeführt werden, sie alle stehen
kurz vor dem Abgrund, der sie wie ein Magnet anzuziehen scheint. Und dieser Abgrund ist
eben nicht nur einer gesellschaftlicher Missverhältnisse, sondern auch
einer, der vom Drehbuch als Magnetverstärker miterzeugt wird. Paradoxerweise
bringt diese Verstärkung das gesellschaftliche Desaster wieder auf Distanz.
Es ist, als ob man sich befreien müsste von den abschließenden Litaneien,
Klagen, Tränen, Katastrophen der Figuren, die in ihrer unbarmherzigen Abfolge
eine Gegenreaktion wachrufen.
Es ist die berechtigte Flucht
vor negativem Kitsch. Denn nichts anderes ist es, was Holger Ernst dem Zuschauer
zumutet. Die gesellschaftliche Realität ist aber nicht nach der Logik des
Einakters strukturiert. Und diese Ausschließlichkeit, diese Fatalität
muss man dem Film vorwerfen. Nichts geht dabei auf das Konto der Schauspieler,
die alle großartig sind. Jeder für sich ist absolut glaubwürdig,
jede Situation könnte man sich genauso vorstellen, aber unter der Hand
wächst sich der Film zu einem Horrorfilm aus, und die tausend klagenden
und weinenden Augen, die am Ende am Stück gezeigt werden, möchten
den Zuschauer dazu zwingen, gleich am nächsten Tag zum Sozialamt zu gehen
oder gleich zum entsprechenden Minister, um die Missstände doch bitte möglichst
schnell abzuschaffen.
Es gäbe viel zu tun: Familien,
deren Mitglieder einander entfremdet sind, Teenager, die Drogen nehmen, Männer,
die zu lange arbeitslos sind und ihr Selbstwertgefühl verlieren, Kriegerwitwen,
die vom Alkohol und der Zigarette nicht loskommen, der zwiespältige Schönheitskult
nicht nur der amerikanischen Gesellschaft, die faschistische Inkulpationsstrategie
amerikanischer Kirchen. Dieser ganze Sumpf wird präsentiert, als Mike,
einer der Rekruten der Verliererrotte, dabei ist, seine Familie, Freunde und
Freundin zu verlassen, weil er sich entschieden hat, zur Armee zu gehen, deren
Opfer früher sein eigener Vater geworden war. Zum Abschied hat Valerie,
seine Freundin, ein Abschiedsfest für ihn organisiert, nur wird es für
Mike auch ein Abschied von Valerie, die Schluss macht mit ihm. Nutznießer
dieser Ablösung ist Phil, ein kleiner Drogenhändler, der behauptet,
gerade ein ganz großes Ding zu drehen. Dessen Freund Jason, der viel äußere
Ähnlichkeit mit Ronaldino hat, ist schon ganz zum bloßen Konsum von
Drogen übergegangen, da läuft nur noch Abhängen und Abhängen
vom Abhängen. Der junge Steve ist noch nicht in dieser Phase des Frührentnerdaseins
angelangt, er hat eine kleine Abrechung mit seinem Vater zu besorgen, der selber
schwerst gesellschaftlich angeschlagen ist, und der Zuschauer darf die Konklusion
ziehen, dass hier ganz falsch Opfer der Gesellschaft auf Opfer der Gesellschaft
aufeinander losgehen, anstatt die Probleme da anzupacken, wo sie entstehen.
Aber wo genau entstehen eigentlich
gesellschaftliche Probleme? Jedenfalls gibt es auch unschuldige Opfer, die noch
nicht selbst Dreck am Stecken haben wie die kleine Stella, deren Ohren etwas
näher dem übrigen Kopf angenähert werden sollen, was natürlich
in der dauerdramatischen Logik des Films nicht ohne Probleme abgeht. Jede Einstellung
zeigt so eine Fratze, verstümmelte Engel, angeschossene Hunde, lebensentsetzte
Gesichter, und was ganz wunderbar in einer Serie hätte entfaltet werden
können, packt Holger Ernst in einen knapp hundertminütigen Film, der
vor Schwere untergeht.
Dieter Wenk (11.06)
Dieser Text ist zuerst erschienen in: textem
The House is Burning
Deutschland 2006 - Regie: Holger Ernst - Darsteller: Joe Petrilla,
Nicole Vicius, Robin Taylor, Julianne Michelle, John Diehl, Melissa Leo, Harley
Adamas, Samantha Ressler, David Tennent - Prädikat: besonders wertvoll
- FSK: ab 16 - Länge: 97 min. - Start: 16.11.2006
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