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House
of Flying Daggers
„Action-Arthouse“
nennt Zhang Yimou augenzwinkernd seine Ausflüge ins klassische Genre der
Martial-Arts. Hero, sein
erster Schwertfilm, hat nicht nur in China Rekordergebnisse eingespielt, sondern
schaffte es in den USA bis an die Spitze der Kinocharts. Dank tatkräftiger
Unterstützung der Regierung übertraf House
of Flying Daggers
in China sogar den Erfolg von Hero: Für
ausländische Produktionen gab es eine offizielle siebenwöchige „Sommerpause“.
Harry
Potter,
Shrek und
Spider-Man mussten
warten.
In
seinem Brückenschlag von Kampf- und Kinokunst ist Yimous erneuter Abstecher
in die Welt der „Wuxia Pian“ ein Stück hochartifizielles Überwältigungskino.
Attraktive Schauspieler verhandeln vor grandioser Naturkulisse und in farbenprächtiger
Ausstattung die ewigen Themen von Liebe und Hass, Freundschaft und Verrat, Opferbereitschaft
und Rache. Die tragische Liebesgeschichte macht dabei immer wieder Platz für
eine hyperbolische Nummernrevue, in der visuelle Details und originelle Einfälle
dominieren. Zeitliche Dehnungen, multiperspektivische Blicke: Es regiert der
Wille zum nie gesehenen Bild. Gekämpft wird zu Fuße, zu Pferde und
in den Wipfeln der Bäume, mit Stöcken, Dolchen und Schwertern, im
Birken- und im Bambuswald, bei Nebel und im Schnee.
Dramaturgisch
folgt das einer episodischen Spieleästhetik, bei der Level für Level
neue Konstellationen entstehen. Yimou nimmt nicht nur Bezug auf den klassischen
Schwertkampfroman, sondern orientiert sich am Stil moderner Videospiele, zappt
sich durch Landschaften, Wetterlagen und Farbstimmungen. Wer unter Kino vor
allem ein von jedem Realismus losgelöstes Spiel der Farben und Formen versteht
und den virtuosen Umgang mit allen nur denkbaren ästhetischen Mitteln schätzt,
für den kommt die neue Arbeit des chinesischen Starregisseurs einer Offenbarung
gleich. Faszinierend und vergnüglich anzusehen ist das allemal. Und nährt
doch umgekehrt (zumindest anfangs) den Verdacht, nur berechnendes, seelenloses
Kunstgewerbe zu sein.
Dass
Yimous Film sich nicht auf pure Oberflächeneffekte kapriziert, verdankt
er einer kühnen Doppelstrategie. Er will nicht nur schön sein, sondern
auch von der impliziten Gewalt erzählen, die jedes durchästhetisierte
Bild regiert. Natur ist hier immer schon vom Auge bewunderte Textur. Und er
hält sein Thema von Künstlichkeit und schönem Schein auch auf
erzählerischer Ebene konsequent durch. Dass die Geschichte im Jahr 859,
zur Zeit der Tang-Dynastie spielt, ist selbst bloße Oberfläche. Dass
in dieser Zeit eine geheime Rebellenbewegung, das House
of Flying Daggers,
im Stile Robin Hoods gegen das korrupte Kaiserreich kämpft, ist für
Yimou lediglich Anlass, ein komplexes Beziehungsdreieck und verwirrendes Täuschungsspiel
in Gang zu setzen.
Hauptmann
Leo (Andy Lau Tak Wah) und Hauptmann Jin (Takeshi Kaneshiro) wurden beauftragt,
den unbekannten neuen Anführer der Rebellen aufzuspüren. Ihr Verdacht
fällt auf die blinde Mei (Zhang Ziyi), die im Luxusbordell „Pfingstrose“
als Tänzerin arbeitet. Mit einem Trick gelingt den beiden ihre Festnahme,
doch Mei schweigt. Eine weitere List soll sie zum Reden bringen: Jin gibt sich
als Überläufer zu erkennen und befreit Mei aus dem Gefängnis.
Damit beginnt eine romantische und letztlich tragische Abfolge überraschender
Enthüllungen. Verliebt sich Jin wirklich in Mei? Oder geht es ihm lediglich
darum, Meis Vertrauen zu gewinnen? Natürlich ist nichts so, wie es scheint.
Hinter den öffentlichen Masken verstecken sich private Interessen und umgekehrt.
Für Mei, Jin und Leo wird Betrug irgendwann zum Selbstbetrug. Ihr Spiel
von Camouflage und Lüge erlaubt kein Wissen mehr um wahre Gefühle.
„Wer weiß schon, was Spiel und was Wirklichkeit ist?“ fragt Jin, als Mei
an seiner Liebe zweifelt. Und doch geschieht das Wunderbare: Aus dem Spiel entspringt
Realität, aus der Lüge Wahrheit. Dem Film passiert in diesem Moment
dasselbe wie seinen Figuren. Unter seiner märchenhaft-stilisierten Oberfläche
brodeln plötzlich die Gefühle. Gerade sein artifizieller Stil, selbst
eine Form der Maskerade, erlaubt ihm, zur Wahrheit vorzustoßen.
Wenn
man will, liegt hier eine politische Dimension im privaten Drama verborgen.
Im Falle von Hero haben
chinesische Intellektuelle und westliche Kritiker Yimou zu Recht vorgeworfen,
ein ideologisches Anliegen zu verfolgen und Gewaltherrschaft zu legitimieren.
Die Ansprüche des Individuums hatten hinter die Anforderungen des Gemeinwohls
zurückzutreten. House
of Flying Daggers
singt ebenfalls das hohe Lied der Opferbereitschaft, aber diesmal – Yimou betont
es selbst im Interview – wird alles, auch die Politik, der Liebe geopfert. Das
Individuum steht trotzig gegen das große Ganze. Konsequenterweise hat
Yimou den Film weit weniger martialisch als Hero gestaltet.
Es fehlen die monumentalen Riefenstahl-Tableaus, die penibel symmetrischen Bildachsen.
Das wird viele versöhnen, die Yimou bereits als politischen Opportunisten
abschreiben wollten.
André
Götz
Zhang
Yimou wagt erneut die rauschhafte Symbiose von Kampf- und Kinokunst. House
of Flying Daggers
ist nicht nur exzessives Überwältigungskino auf der Höhe der
Zeit, er funktioniert zugleich als Parabel über das janusköpfige Gesicht
der Täuschung und erzählt die tragische Geschichte einer unmöglichen
Liebe.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd film
1/2005
House
of Flying Daggers
Shimian
Maifu
Hongkong/China
2004. R:
Zhang Yimou. B:
Li Feng, Zhang Yimou, Wang Bin. P:
Bill Kong, Zhang Yimou. K: Zhao Xiaoding. Sch: Cheng Long. M:
Shigeru Umebayashi. T:
Tao Jing. A: Huo Tingxiao, Han Zhong. Ko:
Emi Wada. Pg:
Edko/ Elite Group/Beijing New Picture. V: Constantin. L: 120 Min. FSK: 12, ff.
Da: Takeshi Kaneshiro (Jin), Andy Lau Tak Wah (Leo), Zhang Ziyi (Mei), Song
Dandan (Yee).
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