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Ich
beichte
Verborgenes
Es
ist Nacht. Ein Mann in einer Soutane schleicht aus einem Haus, dreht sich kurz
um und verschwindet im Dunkeln. Ein Priester wundert sich, was sein Bediensteter
noch so spät in der Kirche macht. Otto Keller (O. E. Hasse) scheint nervös,
aufgerieben, ängstlich. Er will beichten, jetzt, um diese Zeit. Der junge
Priester, Michael William Logan (Montgomery Clift), der seit zwei Jahren in
dieser Kirche in Quebec sein Amt ausübt, erfährt, dass Keller einen
Mord begangen hat. Keller tötete den Anwalt Villette (Ovila Légaré)
und stahl ihm Geld, um mit seiner Frau Alma (Dolly Haas) woanders ein neues
Leben zu beginnen. Er sagt Logan, er könne es nicht mehr mit ansehen, wie
hart seine Frau arbeiten müsse. Und immer wieder fleht, bettelt und fordert
Keller von Logan, er solle sein Beichtgeheimnis nicht brechen. Von Gott habe
er nun die Absolution, von den Menschen werde er sie nie bekommen. Deshalb müsse,
müsse Logan schweigen.
Wir
befinden uns in einer katholischen Umgebung. Katholischer kann es eigentlich
nicht zugehen. Es hat alles seinen Sinn und Zweck, seinen Gang der Dinge, und
über das, was daneben, außerhalb dieser geordneten Wege passiert,
sozusagen am Wegesrand, verborgen, soll geschwiegen werden; es soll dort bleiben
und nicht ans Tageslicht gelangen. Logan ist tief getroffen, entsetzt, aber
er beherrscht sich. Er weiß, dass er das Beichtgeheimnis nicht brechen
darf. Es bedeutet mehr als die ärztliche oder anwaltliche Schweigepflicht,
denn es kommt von Gott. Und er, Logan, ist als Beichtvater nur Mittler zwischen
Gott und dem sündigen Menschen. Er stellt diese Beziehung bloß her,
um die Vergebung der Sünden zu bewirken, die Schuld abzutragen.
Aber
Logan ist auch Mensch. Und ein Mensch ist ermordet worden. Logan schweigt. Gegenüber
der Polizei, gegenüber allen anderen. Man könnte es Schicksal nennen,
dass zwei junge Mädchen dem untersuchenden Kriminalbeamten Inspektor Larrue
(Karl Malden), der nichts von Glauben und alles von Fakten und deren Verknüpfung
zu einem vorzeigbaren Ermittlungsergebnis zu halten scheint, dass diese beiden
ihm erzählen, dass sie in der Nacht des Mordes einen Mann aus dem Haus
des Opfers gehen sahen, der eine Soutane getragen habe. Und Larrue deutet auch
das Schweigen Logans und die Tatsache, dass Logan sich mit einer Frau am Morgen
nach der Tat vor dem Haus des Anwalts getroffen hat, als Verdachtsmoment, weil
Logan die Identität dieser Frau nicht preisgeben will. Pierre Grandfort
(Roger Dann) ist ein angesehener Bürger der Stadt, und es war seine Frau
Ruth (Anne Baxter), die Logan liebt und ihren Mann nicht, mit der sich der Priester
getroffen hatte. Für Larrue, der Zwei und Zwei zusammenzählt, ist
es nur eine Frage der Zeit, hinter die Dinge zu kommen, die man ihm verschweigt,
dahinter nämlich, dass Logan und Ruth vor dem Krieg ein Paar waren, dass
Villette beide nach dem Krieg erpresst hatte, weil Ruth sich mit Logan getroffen
hatte, obwohl sie inzwischen mit einem anderen verheiratet war, und Logan sich
entschlossen hatte, Priester zu werden.
Wie
in anderen seiner Filme ("Der
falsche Mann"
etwa oder "Der
Fremde im Zug"
und "Der
unsichtbare Dritte")
interessierte Hitchcock sich auch in "I Confess" für eine Situation,
in der ein Unschuldiger in Verdacht gerät und sich der Strick um seinen
Hals immer enger zusammenzieht. Hitchcock interessiert, wie sich "normale"
Menschen in solchen Situationen in einer bestimmten sozialen Umgebung verhalten,
was sie empfinden, was sie denken. Und so nimmt es nicht Wunder, dass Hitchcock
in der ursprünglichen Version des Stücks ein Ende vorsah, bei dem
Logan sein Leben lassen muss. Nicht nur das. Aus der Beziehung zu Ruth vor dem
Krieg sollte in dieser Fassung ein uneheliches Kind hervorgegangen sein. Beides
sollte die Tragik des Geschehens unterstreichen - und beides wurde von der Zensur
gestrichen.
Für
das Hollywood der 50er Jahre musste es immer eine Art Ausweg, ein für das
Publikum gedachtes Glücksmoment geben, einen in diesen Fällen schmählichen,
trügerischen, ja betrügerischen Akt der "Befreiung" von
Druck, Tragik und Endgültigkeit (so auch in "Der falsche Mann",
ein Film der nicht damit enden durfte, dass die Frau eines unschuldig verfolgten
Mannes in einer Heilanstalt in geistiger Umnachtung lebt).
Trotz
dieser Eingriffe der Zensur ist "Ich beichte" ein an Dramatik kaum
zu überbietender Film, in dem Hitchcock nicht nur das Dilemma eines Priesters
schildert - beeindruckend dargestellt von Montgomery Clift - zwischen seinem
Gelübde als Priester (hier: Beichtgeheimnis) und seinen menschlichen Gefühlen
für irdische Gerechtigkeit. Logan befindet sich einer viel verzwickteren
personellen Konstellation. Er bewegt sich, ohne dies entschieden zu haben oder
zu wollen, in einem Geflecht zwischen
- Ruth,
die ihn immer noch liebt und nicht akzeptieren kann, dass Logan sich einem anderen
Leben verschrieben hat, über deren beider Vergangenheit er schweigt, um
Ruth als Frau eines angesehenen Mannes nicht zu gefährden, UND
- dem
Täter, Keller, dessen Verhalten er verabscheut (eigenes besseres Leben
durch Mord an einem anderen), UND
- dem
Mordopfer, das ausgerechnet der Mann ist, der ihn und Ruth erpresst hatte, UND
- Inspektor
Larrue, dem Repräsentanten der irdischen Gerechtigkeit, dem er durch sein
Schweigen die Wahrheit vorenthält, UND
- Gott,
dem er sich voll und ganz mit seinem "Beruf" und seinem Menschsein
verschrieben hat, UND
- nicht
zuletzt in einem drastischen Sinn der Öffentlichkeit, die all das, den
Mord, die "Verfehlungen" des Priesters und der Frau eines angesehenen
Bürgers, wenn es denn herauskommen sollte, nie und nimmer dulden würde
(ein Verhalten, was im letzten Teil des Films eine brutale Praxis hervorbringt).
Logan
schweigt, und ihm wird der Prozess gemacht. Er würde, schuldig gesprochen,
aufs Schafott steigen und bis zu seinem Tod schweigen, die Wahrheit, die in
dieser Umgebung nichts zählt, mit ins Grab nehmen. Und niemand, außer
Ruth, die vor Verzweiflung möglicherweise zugrunde gehen würde, hätte
angesichts der unglaublichen Gefasstheit Logans, die in seinem Glauben wurzelt,
irgendwelche Zweifel, dass der Gerechtigkeit Genüge getan worden sei.
Man
kann sich, zumindest in dem, was wir "zivilisierte Gesellschaft" nennen,
kaum eine tragischere Situation für einen Menschen vorstellen, der zwischen
katholisch-kleinbürgerlicher Mentalität, Doppelmoral (Villette, der
Erpresser; Keller, der Mörder, der vorgibt, für seine Frau gehandelt
zu haben), Glauben, Verbrechen, Vergangenheit usw. eingesperrt ist. Das Verborgene,
Versteckte, Zugedeckte beherrscht die Szenerie, in der bestimmte Dinge einfach
nicht passieren dürfen, und wenn sie passieren, nicht ans Tageslicht gelangen
dürfen, und wenn sie ans Tageslicht gelangen, skrupellos gemaßregelt
werden.
Montgomery
Clift war einmal mehr eine exzellente Wahl für die Rolle Pater Logans,
und auch die übrige Besetzung lässt nichts zu wünschen übrig.
Anne Baxter spielt eine Frau, die gegenüber ihrem Mann kein Geheimnis aus
ihrer Liebe zu Logan macht, und die beider Vergangenheit preisgibt, um Logan
zu helfen - auch wenn sie damit das Gegenteil bewirkt. Vor allem aber O. E.
Hasse in der Rolle des Otto Keller leistet (wie gewohnt) überzeugende Arbeit
als Mann, der zwar vorgibt, durch den Mord seiner Frau zu helfen, in Wahrheit
sich aber selbst meint. Vor allem in der Schlussszene, in der Keller Logan gegenübersteht,
beweist Hasse all das, was einen guten Schauspieler ausmacht, indem er als Keller
in einer für ihn ausweglosen Situation nochmals versucht, den anderen und
sich selbst etwas vorzumachen.
Daneben
verkörpert Karl Malden einen intelligenten Polizisten - in Hitchcocks Filmen
eher eine Seltenheit angesichts seines kritischen und distanzierten Verhältnisses
zur Polizei -, der sich allerdings in seinen eigenen Ermittlungen maßlos
verstrickt, weil er die Bedeutung der Umgebung, in der er arbeitet, für
das Ermittlungsergebnis nicht erkennt. Zu erwähnen ist schließlich
Dolly Haas als Frau Keller, für die im Laufe der Ereignisse die Spannung
zwischen der Treue zu ihrem Mann und der Wahrheit unerträglich wird.
• D
V D •
Sprachen:
Deutsch (Dolby Digital 1.0), Englisch (Dolby Digital 1.0)
Untertitel:
Deutsch, Englisch, Dänisch, Finnisch, Portugiesisch, Hebräisch, Norwegisch,
Schwedisch, Tschechisch, Griechisch, Ungarisch, Polnisch, Türkisch
Bildformat:
4:3, 1.37:1
Dolby,
HiFi Sound, PAL
DVD
Erscheinungstermin: 12. November 2004
Wie
bei den anderen Filmen Hitchcocks, die am 12.11.2004 von Warner Bros. als einzelne
DVDs und in der Alfred Hitchcock Collection (€ 52,-) herausgebracht wurden,
überzeugt auch diese Edition (neben den Filmen "Die
rote Lola",
"Der
Fremde im Zug",
"Bei
Anruf: Mord",
"Der
unsichtbare Dritte"
und "Der
falsche Mann")
wieder durch die 20 Minuten lange Dokumentation "Ein Blick auf ,Ich beichte'",
eine Art Making Of, das durch die Mischung von zeitgenössischen Aufnahmen
und Stellungnahmen der Filmhistoriker Robert Osborne und Richard Schickel, Regisseur
Peter Bogdanovich, Bill Krohn (der über Hitchcock geschrieben hat), Jack
Larson (Schauspieler und Freund Montgomery Clifts) und nicht zuletzt Patricia
Hitchcock Spannendes zu berichten weiß. Daneben befindet sich noch ein
kurzes zusätzliches Featurette auf der DVD, das Hitchcock und einige Schauspieler
bei der Premiere des Films in Kanada zeigt.
Während
an der Tonqualität der DVD-Edition nichts zu kritisieren ist, weist das
Bild leichte Gebrauchsspuren auf, was dem intensiven Genuss des Films aber keinen
Abbruch tut. Die Einzel-DVD bekommt man bei amazon und jpc derzeit für
€ 14,99.
Wertung
Film: 10 von 10 Punkten.
Wertung
DVD: 9,5 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Ich
beichte
(I
Confess)
USA
1953, 95 Minuten (DVD: 91 Minuten)
Regie:
Alfred Hitchcock
Drehbuch:
Paul Anthelme, George Tabori, William Archibald
Musik:
Dimitri Tiomkin
Kamera:
Robert Burks
Schnitt:
Rudi Fehr
Produktionsdesign:
Ted Haworth, Georges James Hopkins
Darsteller:
Montgomery Clift (Pater Michael William Logan), Anne Baxter (Ruth Grandfort),
Karl Malden (Inspektor Larrue), O. E. Hasse (Otto Keller), Brian Aherne (Willy
Robertson), Roger Dann (Pierre Grandfort), Dolly Haas (Alma Keller), Charles
Andre (Pater Millars), Judson Pratt (Det. Murphy),
Ovila Légaré (Villette), Gilles Pelletier (Pater Benoit)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0045897
©
Ulrich Behrens 2005
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