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Ich
bin die Andere
Diesseits von Ödipus
Früher hatte man noch Gefühle: Margarethe
von Trottas Melodram "Ich bin die Andere" erzählt von einer Tochter,
die sich in drei Persönlichkeiten spaltet, weil sie ihrem Vater verfallen
ist - als wäre der Freud'sche Familienroman nie revidiert worden
Eine Anwaltskanzlei in Frankfurt am Main. Aus schwerem
Eichenholz ist das Mobiliar, dicht sind die Vorhänge, nächtlich die
Stimmung. Der Ingenieur Robert Fabry (August Diehl) und Dr. Maiser, der Chef
der Kanzlei (Peter Lerchbaumer), betrachten ein Foto. Abgebildet sind ein Vater,
eine Mutter, ein Verwalter, ein Kindermädchen, eine Tochter im Teenageralter:
die Winzerfamilie Winter. Dr. Maiser erklärt, was auf dem Foto nicht sichtbar
wird. Der Vater hatte ein Verhältnis mit dem Kindermädchen, die Mutter
eines mit dem Verwalter, das Kind hasste sein Kindermädchen und liebte
abgöttisch den Vater. "Und wo stehen Sie?", will Fabry wissen.
Dr. Maiser antwortet: "Ich stehe draußen, ich fotografiere".
Wenig später sagt er: "Früher hatte man noch Gefühle. Heute
hat niemand mehr Gefühle in diesem Land."
Es ist dies nur eine kleine Szene in Margarethe von
Trottas "Ich bin die Andere", und doch weist sie den Weg zu diesem
Film. Früher hatte man nämlich nicht nur Gefühle, man machte
auch Filme darüber, und zu diesem Status quo ante will die Regisseurin
mit "Ich bin die Andere" zurück: zurück zum Melodram, zurück
zu dessen Exzess an Pathologie und Passion, zurück zu den verlorenen Seelen
und dem entbehrungsreichen Dasein derer, die sich das Wünschen versagen.
Im Mittelpunkt des Filmes steht eine von Katja Riemann gespielte, in mehrere
Persönlichkeiten aufgespaltene Figur: Nachts ist sie der Vamp Carlotta,
tagsüber die Rechtsanwältin Carolin Winter, auf dem Weingut der Eltern
die dem Vater hoffnungslos ergebene Tochter. Das fragile Gleichgewicht zwischen
den drei Persönlichkeiten und dem übermächtigen Vater gerät
durcheinander, als der Ingenieur Fabry zunächst Carlotta, dann auch Carolin
verfällt.
Für von Trotta folgt aus dieser Figuren- und
Konfliktkonstellation die Rückkehr zu einer entsprechend exaltierten Filmgrammatik
- zu roten Farben und blauem Licht, zu einer blonden Perücke, zu Rebstöcken,
die in einer Totale wie Rasiermesser aufragen, zu großbürgerlichen
Interieurs, die daraus, dass sie ein Grab sind, kein Hehl machen. Kaum eine
Sequenz kommt ohne dramatische Zuspitzung aus. Entschieden wendet sich die Regisseurin
ab von den Augenblicken der Ruhe, des Leerlaufs, der Stagnation, wie sie etwa
in den Gefühlserkundungen jüngerer deutscher Filmemacher en vogue
sind. Wenn sich bei Ulrich Köhler oder Henner Winckler Gefühle kühl
und unterspielt artikulieren, so tun sie es bei von Trotta heiß. Dass
auf dem Grund ihrer Erzählung, in der schattenhaften Tiefe der Familiengeschichte,
ein Geheimnis liegt, nimmt vor diesem Hintergrund nicht wunder. Es hat die Gegenwart
zu fest im Griff, als dass ein Entrinnen möglich wäre. Wie bei Hitchcock,
wie bei Freud.
Das ist ein riskantes Experiment. Denn schnell rennen
die Zeichen, die sich bewusst dem melodramatischen Überschuss verpflichten,
wie trunken in die Irre. Wie leicht wird das versteinerte Gesicht des Gutsverwalters
zur Fratze, wie leicht die blonde Perücke zu einem Requisit aus dem Beate-Uhse-Shop,
wie leicht erscheint der alkolholschwangere Redefluss der Mutter als Denunziation
der Figur, der Flashback in körnig-exzessiver Farbigkeit als Lachnummer.
Von Trottas Film gleitet haarscharf an der Parodie seiner selbst entlang.
Man kann aber auch für einen Augenblick innehalten.
"Ich bin die Andere" beruht auf einem Drehbuch von Peter Märthesheimer
und Pea Fröhlich; der 2004 verstorbene Märthesheimer hat sowohl als
Autor wie auch als Produzent mit Rainer Werner Fassbinder zusammengearbeitet,
von ihm und von Fröhlich stammen die Bücher zu "Die
Ehe der Maria Braun", "Lola"
und "Die
Sehnsucht der Veronika Voss".
Diese drei Filme eint, dass sie die Seelenlandschaften der Protagonisten mit
der Topographie der BRD kurzschlossen. Das Wünschen und Wollen der Figuren,
ihr Scheitern, ihre Lügen und ihre Entsagungen hingen unmittelbar mit dem
gesellschaftlichen Feld zusammen, in dem sie sich bewegten. Es waren Filme,
die die Kraft des Melodrams voll ausschöpften, indem sie den Niederschlag
des Politischen im Privaten mit großer Geste explorierten.
Sich wie "Ich bin die Andere" an diesen
Vorbildern zu orientieren, mag unzeitgemäß erscheinen - verdienstvoll
ist es nichtsdestominder. Schließlich hat sich die melodramatische Form
nicht erübrigt, nur weil der cinephile Geschmack zurzeit einem entschlackteren
Kino zuneigt, schließlich hat sich der Wunsch nach den überdeterminierten
Zeichen nicht erledigt, nur weil die Zeichen andernorts so frei und kalt flottieren.
Doch eine Frage muss sich von Trotta gefallen lassen: Gelingt ihr die Vergegenwärtigung?
Gelingt "Ich bin die Andere" unter den Vorgaben der Gegenwart eine
Form der Verschränkung, wie sie für die Kooperation von Märthesheimer,
Fröhlich und Fassbinder kennzeichnend war - jene Verschränkung, die
das Private und das Gesellschaftliche eng führt?
Genau an dieser Stelle macht die Regisseurin den
verhängnisvollen Ausfallschritt. Statt nach einer Einbettung im Hier und
Jetzt zu suchen, wählt sie eine überzeitliche Anordnung; statt zu
schauen, warum und auf welcher Grundlage die Figuren zwischen dem Starnberger
See, dem Frankfurter Westend und den Weinbergen am Rhein pendeln, wie dabei
die Gefühle und die Ökonomien ineinanderschießen, ergeht sie
sich in Ausstattungskino - die Eskapaden in die marokkanische Wüste setzen
dem nichts entgegen. Die ödipale Aufladung ihres Filmes ist so allumfassend,
als wäre der Freud'sche Familienroman nie revidiert worden. Vermutlich
ist es das, was "Ich bin die Andere" zu einem altmodischen Film macht.
Bei von Trotta hört die Welt jenseits von Ödipus auf. Dabei fängt
sie dort doch erst an.
Cristina Nord
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Ich
bin die Andere
Deutschland
2006 - Regie: Margarethe von Trotta - Darsteller: Katja Riemann, August Diehl,
Armin Mueller-Stahl, Barbara Auer, Karin Dor, Dieter Laser, Bernadette Heerwagen,
Peter Lerchbaumer - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
104 min. - Start: 5.10.2006
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