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Ich
bin ein Antistar. Das skandalöse Leben der Evelyn Künneke.
Die Sängerin Evelyn Künneke
erzählt aus ihrem Leben. Sie kramt in alten Fotos und empfängt Freunde:
alte (Kolleginnen von einst) und junge (aktuelle Liebhaber). Filmausschnitte
zeigen sie jung und schön. Der Film folgt ihr auf dem Weg in die Subkultur
und die eine oder andere Homobar. Dieser Weg führt sie wieder ganz nach
oben. Sie singt »Ich bin ein Antistar« und ist Praunheim dankbar.
Auf dem Bahnhof Bochum erwarten sie Ensemblemitglieder des Schauspielhauses.
Rüdiger Kuhlbrodt wirft ihr einen schmelzenden Blick zu: er ist ihr neuer
Partner (Baron von Geigern) in der Praunheim-Inszenierung Menschen im Hotel, in der sie, wie könnte
es anders sein, der Star ist (Eva Garden).
Eine lange Einstellung zeigt das
aufgequollene Gesicht der 57jährigen, knallrote Lippen zum Kußmund
verzogen, die Augen schwarz zugeschminkt, drum herum gelb (Locken) und weiß
(Boa). »Singen können viele Leute«, doch Evelyn Künneke
bekennt: »Ich bin ein Antistar.« Die Star-Zeiten sind Fotos zu entnehmen, von früher. »Sing,
Nachtigall, sing«. Ihr berühmtestes Lied (von Michael Jary). Es wurde
sechs Millionen Mal verkauft. Eine Schnittfolge aus Fotos und Filmausschnitten
führt zum großen Step-Auftritt im Film Karneval
der Liebe (1942. R: Paul Martin). Erst 1940 war
Evelyn Künneke als Sängerin entdeckt worden, von Michael Jary in Berlins
Ciro-Bar. Evelyn erzählt ihr Leben. Sie sitzt in der Badewanne, zusammen
mit dem Reporter. Sie hat Mühe, ausreichend Schaum auf ihrem großen
Busen zu verteilen, auch wird sie vom Knie des Reporters abgelenkt: »Ich
habe dein Knie gesehn, es war wunderschön.« Außerdem muß
sie den Regieanweisungen Praunheims gehorchen, der mehrfach vernehmlich in die
Szene spricht. Sie berichtet unter diesen Umständen, daß sie einerseits
mit fünfzehneinhalb Jahren von einem jüdischen Steptänzer begattet
worden sei, andererseits das Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern erhalten habe
und wiederum andererseits wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt worden
sei.
Die Goldenen Schallplatten-Jahre
der 50er verblassen. Die Kamera zeigt die Bilder, die sie, allein und depressiv,
gemalt hat. Ein Sonnenuntergang in Öl. Ein Pferd. Eine Katze. Und Rosa
von Praunheim. Evelyn, aufgekratzt: »Streit mal mit mir, Holgerlein.«
Dann kommt schon - »Mutter muß sich jetzt schminken« - der
Auftritt mit »Surabaja Johnny«. Sie steht direkt vor der Wand und
erzählt von Tabletten und Alkohol, aber schon werden rettende Fotos gezeigt:
Rosa von Praunheim tanzt mit ihr, 1973 auf dem berliner Tuntenball. »Seine
homosexuellen Freunde haben mir sehr geholfen.« Eingeschnitten wird
der Archediakon-Akt aus AXEL
VON AUERSPERG: »meine interessanteste Rolle«.
Der Film bringt sie zu Maurus
Pacher. Im Club David singt sie von den Maronen, die laut auf dem Ofen krachen,
und von Kikilala Hawai. Über Michael Jary führte der Weg zu Walter
Haas, und schon ist die Platte mit dem Clublied produziert: »Ich bin wieder
da.« Ein Besuch der Kollegin Angele Durand führt zum Duett »Die
Girls von Little Rock«: ein frisch inszeniertes Dokument deutscher Starkultur.
In ihrer Wohnung findet sie die
Tasche nicht. Man hört, wie sie einem, der nicht im Bild ist, entnervt
zuruft: »Röschen, es ist sinnlos, daß du mitsuchst.«
Dann erscheint auch schon Jürgen Hartmann, ihr Schneider und ihr Freund,
sowie Martin Jason, ihr Friseur und ihr Freund. Zum Männer-Striptease trägt
sie »Allerdings, sprach die Sphinx« vor. Schriftverkehr ist zu erledigen.
Als Libretto wird ihr »Frühling in Berlin« vorgeschlagen: »o
mein Berlin / du bist im Frühling wunderschön / wenn wir durch den
Frühling gehn / o Berlin, du wirst nie untergehn«. Sie lehnt ab (und
Praunheim hat den Titel für FRÜHLING IN FRANKFURT gefunden).
Eine Kartenlegerin sieht Unheil
nahen. Die Künneke trägt vor: »Ich bin nur ein armer Wandergesell«,
»Gute Nacht, liebe Freunde, gut Nacht«. Sie singt am Sarge von Dietmar
Kracht (er starb am 3. Juli 1976, dem ersten Drehtag von ICH BIN EIN ANTISTAR).
Die Aufnahmen sind dokumentarisch. Auch das rote Herz im Rosenkranz auf der
Grabkiste. »Auf Wiedersehn, Dietmar Kracht, in einer anderen Welt«,
spricht Evelyn Künneke. Dann sieht man sie - eine Sequenz aus ROSA
VON PRAUNHFIM ZEIGT
- mit ihm im Duett unter dem Symbol des flammenden Phallus: das noch unvollkommene,
wenig geprobte, aber herzliche »Haben Sie schon mal im Dunkeln geküßt«,
»Ich glaube, wenn wir deine Beerdigung filmen, daß das in deinem
Sinne wäre«, sagt Evelyn mit tränenerstickter Stimme. Ein kurzer
Blick auf den Unglückssee beschließt die inszenierte Dokumentarsequenz.
Die ostentative Sentimentalität
wird überführt in die Konzertsequenz. Edvard Lieber spielt das sonst
nie zu hörende Klavierkonzert Nr.2 von Eduard Künneke. Schlußbild
ist das Straßenschild »Eduard-Künneke-Str.«
in Emmerich. Stimmungswechsel. Die Badewannenszene setzt sich fort. Die Künneke
dementiert die Presseberichte über die Zahl ihrer Liebhaber. Wenn's 350
sind, dann sind es viel. Dann umringen sie schon die nächsten Liebhaber.
Auf dem Bahnhof. Es sind Ensemblemitglieder des Schauspielhauses Bochum. Dort
spielt sie die Sängerin Eva Garden in dem Stück Menschen
im Hotel, inszeniert von Rosa von Praunheim. Von
der Bühneninszenierung, die ein sehr lautes Presseecho ausgelöst hatte,
erfährt man so gut wie nichts. Doch ist dokumentiert, wie die Künneke
»Röschens Charme« beschreibt: »gähnt, wäscht
sich nicht, hört nicht, hat den Ausdruck eines störrischen Maulesels«.
Hingegen sie: ein rosaroter Elefant. Sie singt das Lied. Zuguterletzt antwortet
sie auf die Interviewfrage »Wie stellst du dir die Zukunft vor?«:
»Ich will gern Psychotherapeutin für Minderbemittelte werden.«
Der Film dokumentiert die Herstellung
eines Dokuments (des Porträts der großen Sängerin). Das geschieht
in der Form einer totalen Inszenierung. Den Einzelteilen (zum Beispiel der Schlußantwort)
ist ebenso viel und ebenso wenig zu trauen wie dem Titel des Films. Der Film
nimmt das, was er zeigt, wieder zurück; der Regisseur greift ein. Aber
dennoch bleibt dem Zuschauer überlassen, stets neu zu entscheiden, was
er glaubt (den Tränen am Grab von Dietmar, der Evelyns Hausgenosse gewesen
war) und was nicht (der beruflichen Zukunft des Stars). Sicherlich bewirkt der
attraktive Zwang, sich von den einzelnen Zügen des Porträts eine halbe,
dreiviertel oder gar ganze Überzeugung zu verschaffen, die Anteilnahme
des Zuschauers. Evelyn Künneke kann keinem gleichgültig bleiben. Übrigens
ist sie weder Antistar noch Star, sondern in all den offensichtlichen Klischees
höchst unklischeehaft, ganz gegenwärtig. Sie kommt zum Schluß
des Films so nah, wie der Minderbemittelte sich den Therapeuten wünscht.
Von diesem Film gibt es viel zu lernen. Hatte Praunheim nicht gesagt, daß
er sich Typen in seinen Filmen sucht (und eben nicht Schauspieler), damit er
etwas lernen kann (und nicht umgekehrt)?
ICH BIN EIN ANTISTAR ist der zärtliche
Versuch des Paares Künneke-Praunheim, sich gegenseitig zu übertölpeln.
Evelyn Künneke war zuvor vor Praunheim gewarnt worden, der sie reinlegen
wolle. Sie kehrte die Bedrohung mit Wonne um. Praunheim erzählt, wie sie
ihm - übrigens erfolgreich - die bochumer Theateraufführung »kaputtgemacht«
habe (dort verweigerte sie sich listenreich dem Antistar-Konzept und trat als
sich begnadet fühlende Schauspielerin auf die Bühne). Die gegenseitige
Ausbeutung war gleichzeitig gegenseitige Unterstützung. Künneke und
ihr Regisseur erscheinen im ANTISTAR-Film solidarisch. Trotz aller Zynismen,
Parodien, Entblößungen und vorsätzlichen Unvollkommenheiten
erscheint die Porträtierte respektiert. Das ist eine Frage der Ästhetik
des Films. Die Künneke, von engen Freunden in Szene gesetzt, verliert ihre
Funktion als ausgestelltes Porträtobjekt und wird Mensch, entspannt, selbstverständlich,
ernsthaft. Das Exhibitionistische, Exzentrische, Ferne schlägt in dampfende
Wärme um. Die naiv-listige Kunstlosigkeit des Films legt den Weg frei -
durch das Porträt hindurch auf die Porträtierte. Diese kann sich selbst
in Szene setzen: zum Selbstporträt. Sie kann dominieren, und sie tut es.
Praunheim erzählt, wie sie während der Proben zu Menschen
im Hotel hinter seinem Rücken ihre eigene
Regie führte. Während Praunheim die Stepkünste seines Darstellers
Christoph Eichhorn unverfälscht zeigen wollte (Eichhorn war Regieassistent
für das Theaterstück und spielte im Stück verschiedene sehr schöne
Rollen als Stubenmädchen und Putzfrau), versuchte die Künneke, den
Eichhorn-Step zu professionalisieren. Bei einer heimlichen Probe in der Kantine
kam zwar nicht Eichhorn, wohl aber seine heimliche Meisterin zu Fall und brach
sich die Hand. Das sorgte für Publicity, ohnehin angeheizt durch die Heiratsabsichten,
die Künneke und Praunheim kunstvoll bestätigten und dementierten.
Entwickelt hatte sich ICH BIN
EIN ANTISTAR aus dem praunheimschen Projekt der »mitbestimmten Operette«
für das TAT, das frankfurter Theater am Turm. Evelyn Künneke sollte
darin dem kulturpolitischen Teil Gegengewicht bieten. (Ihr Auftritt in ROSA
VON PRAUNHEIM ZEIGT ist das, was vom Projekt geblieben ist.) Der weitere Plan,
den »Operetten«-Teil des Projekts zur Künneke-Biografie auszugestalten,
sollte ursprünglich auf Videoband verwirklicht werden.
Der Film, der schließlich
gedreht wurde, und dessen Fernsehausstrahlung fanden in Deutschland wohlmeinende
Stimmen. »Was man von Evelyn Künneke auch halten mag: nach diesem
Film wird man doch Respekt empfinden für dieses manchmal so schrecklich
aufgedonnerte Weib, dessen neuerwachte Lebensstärke die Summe ihrer Schwächen
ist«, schrieb Peter Buchka (Süddeutsche Zeitung,16.November 1978). Helmut Schödel ließ sich zu einer »Ästhetik
der schwulen Subkultur« anregen und stellte einen literarischen Vergleich
mit Thomas Manns Tod in Venedig an: »Der falsche Jüngling, das alte
Kind, ist Aschenbachs wahres Spiegelbild. Der falsche Showstar, das alte Kind,
ist Rosa von Praunheims wahres Spiegelbild.«(Die Zeit,
17.August, 1979) - Im Gegensatz zum Film wurde die bochumer Theateraufführung
(Menschen im Hotel)
gnadenlos verrissen: »abstoßend, inhuman, unaufrichtig, zynisch«
(FAZ, 27.April, 1976),
denn Praunheim sei kein Regie-Profi, sondern Dilettant und treibe Schindluder
mit den Theatersubventionen, die immerhin öffentliche Gelder seien (Tagesspiegel, 21.April 1976).
In New York lief ICH BIN EIN ANTISTAR
im Museum of Modern Art. Das Publikum war durch eine Praunheim-Retrospektive
in den Anthology Film Archives sachkundig gemacht worden. Daryl Chin meinte,
daß ICH BIN EIN ANTISTAR von allen Praunheim-Filmen auf allen Ebenen am
meisten engagiert sei, und sie lobt die Integrität, die Rosa von Praunheim
in diesem Film gezeigt habe, der vorsätzlich ohne Kunst auskomme.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Rosa von Praunheim; Band 30 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1984, Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags
ICH
BIN EIN ANTISTAR. DAS SKANDALÖSE LEBEN DER EVELYN KÜNNEKE.
BRD
1976
Regie,
Drehbuch: Rosa von Praunheim. - Kamera: Edvard Lieber. - Schnitt: Gigi Hummel.
- Licht: Eckehard Heinrich. - Musik: »Antistar«, »Sing Nachtigall
sing«, »Karneval der Liebe«, »Stewardess«, »Surabaja
Johnny«, »Kikilala Hawai«, »Ich bin wieder da«,
»Als der Herrgott Mai gemacht«, »So lang noch die Hose am
Kronleuchter«, »Bei mir bist Du schön«, »Allerdings,
sprach die Sphinx«, »Ich bin nur ein armer Wandergesell«,
»Menschen im Hotel«, »I am Young«. »Ich bin ein
rosa Elefant«, gesungen von Evelyn Künneke; »Die Girls von
Little Rock«, gesungen von Evelyn Künneke und Angele Durand; »Haben
Sie schon mal im Dunkeln geküßt«, gesungen von Evelyn Künneke
und Dietmar Kracht; »Ich kann ganz ohne Menschen sein«, gesungen
von Christina Kracht; Klavierkonzert Nr. 2 von Eduard Künneke, gespielt
von Edvard Lieber. - Darsteller: Evelyn Künneke, Angele Durand, Christina
Kracht, Nicolai Rhein, Hilda, Dietmar Kracht, Dieter Hatje, Jürgen Hartmann,
Luminitia, Martin Jason, Rainer Beckmann, Maurus Pacher, Walter Haas. - Sprecher:
Rosa von Praunheim. - Produzent: Rosa von Praunheim im Auftrag des WDR. - Redaktion:
Joachim von Mengershausen. - Drehzeit: Sommer 1976. - Drehort: Berlin, Emmerich.
– Produktionskosten: ca. 40 000 DM. - Format: 16 mm, Farbe (Kodak). – Original-Länge:
81 min. - Uraufführung: 5.12. 1976, Kommunales Kino, Frankfurt/M; 2.7.
1977, Internationales Forum des jungen Films, Berlin. - TV: 28.5. 1977 (WDR
III). - Verleih: Filmwelt (16 mm).
Ausschnitte aus folgenden Filmen/Theaterinszenierung
wurden verwendet: Karneval der Liebe, 1942, R: Paul Martin; AXEL VON AUERSPERG, ROSA VON
PRAUNHEIM ZEIGT
; Stewardess (Fernsehshow); Menschen
im Hotel (Theater).
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