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Ich
habe Dir keine Liebesgeschichte versprochen
Lou
Doillon brilliert in einem Film ihres Vaters
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Spielfilme hat Jacques Doillon in den letzten 30 Jahren gedreht und er ist sich
in der Form wie bei den Themen erstaunlich treu geblieben. Doillon gilt als
Schauspieler-Regisseur, der auch und gerade mit nicht-professionellen jungen
Darstellerinnen und Darstellern ein Äußerstes an Intensität
und Differenziertheit erreicht. Ein Forschender: Forschungsobjekt sind die Menschen
und ihre Beziehungen, vor allem jugendliches Großstadtleben, dessen Vibrationen
er ohne Genrezwänge aufzeichnet. Es gibt Ausnahmen: Doillons langweiligste
Filme scheinen jene zu sein, in die sich die persönlichen Obsessionen des
Filmemachers allzu leicht hineinlesen lassen. Trop (peu) d'amour (1998) etwa,
wo ein Filmregisseur von einer jungen Verehrerin gestört wird, die eines
Tages in das südfranzösische Familien-Domizil hineinschneit. Auch
wenn Doillon immer wieder betont hat, dass diese Konstellation keineswegs autobiographisch
angelegt sei, scheinen sich im Umfeld dieses künstlerischen Alter Egos
doch mehr Projektionen zu tummeln als dem Film gut tut. Und dann spielte auch
noch Doillons eigene Tochter, Lou, als Filmtochter mit.
2001
ist Lou nun wieder da, diesmal in der Rolle der Intrigantin. Der umständliche
deutsche Titel lautet im Original "Carrément à l'ouest",
was in etwa "durch den Wind sein" meint. Und wirklich: Zwar ist jeder
Einzelne in dem Trio, das sich hier bald in einer Pariser Hotel-Suite zusammenfindet,
ganz unterschiedlich drauf, desorientiert aber sind sie alle. Alex ist ein kleiner
Drogendealer, der versucht, seine Unsicherheit mit Brutalität auszugleichen.
Fred, eine selbstgefällige Studentin, ist die Freundin von Alex' letztem
Schuldner, die probeweise die Seiten wechselt. Sylvia haben die beiden in einer
Disco aufgelesen. Warum aber ist Sylvia überhaupt mitgekommen? Warum besteht
Fred so penetrant auf diesem Ausflug? Worum geht es ihr, worum den anderen?
Abenteuerlust? Macht-Spielchen? Oder ist es wirklich der Mythos vom Luxus mit
großer Badewanne, Champagner aus der Minibar und vielleicht ein bisschen
wohlduftendem Sex?
Es
ist eines dieser hässlichen standardisierten Hotelzimmer der Business-Klasse,
eine so genannte Suite. Hier lässt es sich gepflegter herumhängen,
angenehmer als anderswo ist es aber auch nicht. Sylvia will bald abhauen, lässt
sich indes mit Geld zum Bleiben überreden. Viel Dramatisches passiert in
dieser Nacht nicht. Irgendwann kippen die Machtverhältnisse ein bisschen.
Natürlich geht es um den Sex und um die Liebe, wenigpraktisch allerdings
in den Wortfluten von Menschen, die auf diesem Gebiet noch wenig Erahrungen
haben. Vor allem Alex stachelt die doppelt verfügbare Weiblichkeit ebenso
an, wie sie ihn verunsichert.
Die
Besetzung sei fast alles bei einem Film, meinte Doillon einmal, das Casting
für das Gelingen von zentraler Bedeutung. Hier sieht es umgekehrt fast
so aus, als sei der Film seiner Hauptdarstellerin auf den Leib geschneidert.
Lou Doillon, die Tochter des Regisseurs mit Jane Birkin, erscheint wie deren
Reinkarnation als Luxus-Model, ein weiblicher Mick Jagger: Augen so groß
wie ein Mund, kaum Fleisch auf den Knochen, und das zur Rolle der Fred passende
erfolgsverwöhnte Gesicht. In Frankreich ist Lou Doillon ein aufstrebender
Star. Sylvia (Caroline Ducey aus "Romance") ist die sympathische bodenständige
Alternative, ein nettes Mädchen, das erst beim zweiten Hinsehen auffällt,
dann aber umso nachhaltiger wirkt. Und der junge Guillaume Saurrel in seiner
ersten Filmrolle spielt mit Bärtchen und jungenhaftem Grinsen einen Möchtegern-Macho
und dabei wohl auch zu einem guten Teil sich selbst. Wohl deswegen ist einzig
bei Alex eine soziale Grundierung spürbar, und auch deshalb, weil er als
einziger zumindest rudimentär mit Außenstehenden interagiert. Die
beiden Frauen dagegen bleiben trotz diverser verbaler Andeutungen im leeren
Raum. Wo sie herkommen, sehen wir nie. Auch sonst verlässt dieser Film
die klaustrophobische Kammerspiel-Atmosphäre nur zu kurzen Ausflügen
in die dunkle Nacht.. So liegt der visuelle Reiz einzig auf den Gesichtern und
Gesten der Protagonistinnen, denen die Kamera mit diskreter Indiskretion folgt.
Sie geben sich großzügig hin. Wir fühlen uns wie heimliche Zuschauer
bei einem spannenden Experiment. Doch was wurde eigentlich untersucht? Und:
Ist das wichtig?
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
epd Film
Ich
habe dir keine Liebesgeschichte versprochen
Carrément
à l'ouest
Frankreich
2001. R und B: Jacques Doillon. P: Richard Djoudi. K: Caroline Champetier. Sch:
Catherine Quesemand. T:
Frederic Ullman, Dominique Hennequin. Ko: Mic Cheminal. Pg: DIBA/ France 3 Cinéma/Canal
Plus. V:
Neue Visionen. L:
97 Min. Da: Lou Doillon (Fred), Caroline Ducey (Sylvia), Guillaume Saurrel (Alex),
Camille Clavel (François). Start:
15.8.2002 (D).
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