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Ich
war neunzehn
Fremd
in der Heimat
Es
gibt sie (leider), die vergessenen Filme, kleine Kostbarkeiten, wichtige Filme,
die dem – wie man so schön sagt – „kollektiven Gedächtnis“, wenn es
denn so etwas geben sollte, „entlaufen“ sind. Konrad Wolfs „Ich war neunzehn“
aus dem Jahr 1968 ist eine solche Kostbarkeit – eine DEFA-Produktion, aber kein
Parteifilm, kein Streifen, der vor allem Linientreue präsentiert, auch
wenn der berühmte Ernst Busch an einer Stelle ein „Kampflied der Arbeiterklasse“
darbietet.
Konrad
Wolf, der 1925 geborene Sohn des Schriftstellers, Arztes und KPD-Mitglieds Friedrich
Wolf („Cyankali“), viel zu früh 1982 verstorben, war SED-Mitglied. In „Ich
war neunzehn“ verarbeitete Wolf autobiographische Erlebnisse aus der Zeit kurz
vor Ende des zweiten Weltkriegs. Wolf musste 1933 mit seiner Familie aus Deutschland
emigrieren. Für viele KPD-Mitglieder gab es nur einen für sie in Frage
kommenden Zufluchtsort: die Sowjetunion. Dort kam Konrad Wolf mit dem Filmgewerbe
in Kontakt, spielte eine kleine Rolle in dem von deutschen Emigranten inszenierten
Film „Kämpfer“, trat mit 17 in die Rote Armee ein und gehörte 1945
zu denjenigen, die in Deutschland einmarschierten. „Ich war neunzehn“ trägt
stark autobiografische Züge und spielt zwischen dem 19. April und dem 3.
Mai auf dem Gebiet der späteren sowjetischen Besatzungszone, nahe Berlin.
Im
Film heißt Wolf Gregor Hecker, gespielt von dem phantastischen jungen
Schauspieler Jaecki Schwarz in seinem Filmdebut. Neben ihm sehen wir den blonden
Russen Wadim (Vasili Livanov), den Soldaten Dschingis (Kalmursa Rachmanov) und
deren Vorgesetzten Sascha (Alexej Ejbozhenko). Für die Rote Armee ist Gregor
eine Art Verbindungsoffizier zu den Deutschen, auch zu den deutschen Offizieren,
die nun allerorten den Kampf aufgeben müssen.
In
dem nahe Berlin liegenden Ort Bernau, in dem keine militärischen Operationen
stattfinden, erklärt der kommandierende General Gregor kurz entschlossen
zum Kommandanten, während der Großteil der Soldaten Richtung Berlin,
wo ein verbissener Kampf mit Tausenden von Opfern tobt, weiterzieht. Gregor
errichtet in einem beschlagnahmten Gebäude die sowjetische Militäradministration.
Später nimmt er einen deutschen Major (Rolf Hoppe, später bekannt
geworden u.a. als Göring in „Mephisto“) fest, wird mit einer verängstigten
und verzweifelten jungen deutschen Frau (Jenny Gröllmann) konfrontiert,
ebenso mit einem Landschaftsgestalter (Wolfgang Greese), der über die Natur
der Deutschen philosophiert, lässt sich von einem KZ-Aufseher die Funktionsweise
der Gaskammern in Sachsenhausen erklären und muss schließlich mit
Sascha versuchen, in Spandau die sich in einer Festung verbarrikadierenden Offiziere
und SS-Leute zur Kapitulation zu bewegen.
In
einer Art (vom Tagebuch Wolfs inspirierten) fast dokumentarischen Inszenierung
schildert Wolf in fast schon authentischer Art eine Zeitspanne, die durch ein
politisches und psychologisches Vakuum gekennzeichnet war. Ein junger Deutscher,
der – bedingt durch Erziehung und Flucht und die Kenntnis sowjetischer Verhältnisse
im Umkreis der KPdSU – nach Jahren des Exils wieder nach Deutschland kommt,
muss sich zurechtfinden. Er, der aus Köln stammt, gerät in eine Heimat,
die nicht mehr die seine ist, die ihm fremd ist, trifft auf Deutsche, die sich
plötzlich als Nazigegner begreifen, andere, die kapitulieren, wieder andere,
die in Verzweiflung um Hilfe bitten, denen er aber letzendlich nicht helfen
kann. Wie auch? Er selbst muss mit der Situation fertig werden, einer Situation,
die auf Seiten der deutschen Bevölkerung so gar nicht von einem Gefühl
der Befreiung charakterisiert ist.
Diese
Leere, die nichts mit der viel beschworenen „Stunde Null“ zu tun hat, sondern
mit einer Situation der Hilflosigkeit gegenüber einem Land, was zunächst
andere und dann sich selbst in jeder Hinsicht in den Abgrund gestürzt hat,
wird von den Schauspielern fast schon in verhaltener, zurückhaltender Weise
gemeistert. Wie eine Mischung aus Horrortrip, traumatischer Geisterreise und
der Notwendigkeit, immer wieder klare Entscheidungen zu treffen, um dazu beizutragen,
dass endlich die bedingungslose Kapitulation durch das Oberkommando der Wehrmacht
erklärt wird, gehen Gregor, Sascha und die anderen durch dieses Land –
wie durch einen Traum, dessen Alpdruck nur in Ansätzen zu spüren ist.
Sie
treffen auf einen Landschaftsgärtner, dem nichts besseres einfällt,
als in dieser Situation über den Nationalsozialismus zu philosophieren.
In seinem Haus, vollgestopft mit Büchern, hält er einen Vortrag über
den seiner Meinung nach schon vor Hitler grassierenden bedingungslosen Gehorsam
vieler Deutscher, der unter Hitler zu Sadismus geführt habe, und er glaubt,
dass jedes Volk nur ein unausweichliches Schicksal habe, weswegen man es nicht
vor den Richterstuhl der Vernunft zerren könne.
Wie
in Trance hören sich Gregor und die anderen sowjetischen Soldaten dies
an, während eine Schallplatte „Ännchen von Tharau“ hören lässt.
Oder
sie hören den KZ-Aufseher in Sachsenhausen, der in nüchternen, kalten,
technizistischen Worten erklärt, wie die Gaskammer funktionierte, wie lange
es dauerte, bis die Menschen tot waren und so weiter (diese Dialoge sind die
einzigen, die einer Dokumentation über die Worte eines wirklichen KZ-Schergen
entnommen sind).
In
der Festung Spandau scheint es Gregor und Sascha unbegreiflich, dass sich vor
allem die dort befindlichen SS-Leute, die immer noch an den „Endsieg“ glauben,
in völlig aussichtsloser Lage weigern zu kapitulieren, während der
deutsche Kommandant bereit wäre, die Waffen zu strecken. Gerade in den
Gesprächen zwischen beiden Seiten kommt zum Ausdruck, wie prekär unaufgeklärt,
unbeschreiblich die Situation eigentlich ist. Inzwischen weiß man, was
in Sachsenhausen und in anderen KZs passiert ist; aber eigentlich weiß
man es nicht, weil es in keiner Weise zu fassen, zu greifen oder gar zu begreifen
ist. Man spricht miteinander, gegeneinander, als ob es um eine „normale“ Kapitulation
gehe, wie sie in vielen Kriegen vorher stattgefunden hat. Das Grauen ist außen
vor, nur eine schwache, kalte Ahnung schleicht sich durch den Raum, den man
betreten hat.
Immer
wieder ergreift Gregor das Megaphon, um deutsche Soldaten, die hier und da in
der Ferne vorbeiziehen, zur Aufgabe zu bewegen. Auf einem Bauernhof machen Gregor
und seine Einheit Station. Etliche deutsche Soldaten folgen der Aufforderung,
ihre Waffen abzugeben, auch Zivilisten, die mit den Soldaten gegangen waren,
kommen. Alle essen miteinander, was die Bäuerin, die sich – wortlos, sprachlos
wie ihr Mann – auch um Verletzte kümmert, kocht usw. Man sitzt zusammen,
als wenn man nie etwas anderes getan hätte – bis einige skrupellose SS-Leute
den Hof angreifen und Wadim im Kugelhagel stirbt.
„Ich
bin Deutscher. Ich war neunzehn Jahre alt.“
Das
Gespenstische dieser Geschichte resultiert vor allem daraus, dass Wolf diese
Tage in nüchtern dokumentarischer Art und Weise erzählt, während
sich das Grauen der vergangenen Jahre bis jetzt nur hinter den Gesichtern der
Täter und Opfer verbirgt. Ein paar antinazistische KZ-Überlebende,
die von den Sowjets zu einer Feier am 1. Mai in einem alten Schloss eingeladen
werden, lassen ahnen, was sich Furchtbares abgespielt hat. Dieser atmosphärische
Schwebezustand zwischen schlimmen Ahnungen, Fassungslosigkeit, Tragikomik (etwa
wenn der deutsche Major sich bei seiner Berliner Dienststelle telefonisch in
die Gefangenschaft abmeldet) und Versagen des Verstandes angesichts dessen,
was geschehen, aber in seiner Tragweite noch nicht wirklich „entdeckt“ ist,
korrespondiert mit einer für DDR-Verhältnisse erstaunlichen Abkehr
von der offiziellen SED-propagandistischen Geschichtsklitterung, die in der
1949 gegründeten DDR eine kontinuierlich sich entwickelnde „antifaschistische
Demokratie“ sehen wollte, eine Gesellschaft, in der – nach Aburteilung einiger
weniger Nazis – plötzlich nur noch Millionen fröhlicher Antifaschisten
dem Morgenrot entgegen zogen. Die Brüche, das Vakuum, die Zusammenstellung
von kleinen und kleinsten Erlebnissen im Zusammentreffen zwischen einrückender
Roter Armee und Deutschen – fernab jeder Propaganda oder Ideologie – vermitteln
ein ganz anderes Bild der letzten Tage des Krieges vor dem 8. Mai 1945.
Wolf
selbst kommentierte dies so: „Eine Sache kann man aus unserem Film auf jeden
Fall für sich ableiten. Die klare politische Haltung, die klaren politischen
Erkenntnisse sind noch kein Garantieschein dafür, dass man jede Lebenssituation,
vor die man gestellt wird, von vornherein meistert.“
Ein
vergessener Film. Ein Film aus der DDR, der dem Vergessen entrissen werden sollte.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Ich
war neunzehn
DDR
1968, 121 Minuten
Regie:
Konrad Wolf
Drehbuch:
Wolfgang Kohlhaase, Konrad Wolf
Musik:
Ernst Busch
Kamera:
Werner Bergmann
Montage:
Evelyn Carow
Produktionsdesign:
Alfred Hirschmeier
Darsteller:
Jaecki Schwarz (Gregor Hecker), Vasili Livanov (Wadim), Alexej Ejbozhenko (Sascha),
Galina Polskikh (russisches Mädchen), Rolf Hoppe (Major), Wolfgang Greese
(Landschaftsgestalter), Dieter Mann (Willi Lommer), Jenny Gröllmann (deutsches
Mädchen), Kalmursa Rachmanov (Dschingis), Anatoli Solovyov (Starchina),
Johannes Wieke (Festungskommandant), Mihail Gluzskij (General)
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