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Identifikation
einer Frau
IDENTIFICAZIONE
DI UNA DONNA (IDENTIFIKATION EINER FRAU) ist eine lakonische Re-Vision von Antonionis
Kino. Er erzählt unmögliche Liebesgeschichten wie in den frühen
Filmen, aber aus der Sicht eines Mannes. Niccolo Farra (Tomas Milian) ist ein
bekannter Filmregisseur auf der Suche nach einem neuen Projekt. Wie der Fotograf
in BLOW-UP und der Reporter in PROFESSIONE: REPORTER frustriert ihn die Kluft zwischen den Bildern und seiner Vorstellung.
Niccolo kann seinem Drehbuchmitarbeiter Mario (Marcel Bozzufi) sein Thema nennen:
eine Frau, - aber es gelingt ihm nicht, in den Frauenporträts über
seinem Schreibtisch die Konturen einer Geschichte zu entdecken. Immer mehr Fotos
kommen hinzu; einmal heftet er auch ein Bild von Louise Brooks gegen die regennasse
Fensterscheibe: sie war Antonionis Ideal-Schauspielerin für die Rollen,
die Lucia Bose in CRONACA DI UN AMORE und LA DONNA SENZA CAMELIE spielte; aber es fallen ihm keine Schauplätze und Aktionen
dazu ein, keine Geschichten. Farra will eine Liebesgeschichte drehen, aber die
einzige Idee, die ihn fasziniert, steht mit den Fotos nur indirekt in Verbindung.
Er hat die Steckbrief-Bilder eines Terroristenpaares an der Wand und fabuliert
über ihre Liebe, er projiziert eine romantische Idee vom Zusammenhalt in
der Untergrundexistenz, von totaler Gemeinsamkeit der Gefühle, Ziele und
Gefahren in die verschlossenen Gesichter hinein.
Ein Grund für Farras Blockade
ist sein Mißmut über die Geschichten, die die Leute im Kino mögen:
da werde immer geredet, während für ihn die Idealfrau wie eine Begegnung
mit der Natur sei, wie eine Landschaft, die ihn schweigen mache. Der andere
Grund ist die Frau, an die Farra immer denken muß. Mavi Luppis (Daniela
Silverio) ist eine unbestimmte Zeit lang der Mittelpunkt erotischer Faszination
in seinem Leben, das Objekt seiner Ordnungsversuche. Die von ihm mißtrauisch
beäugte Angehörige der römischen Bourgeoisie sagt, sie habe mit
dieser Gesellschaft nichts mehr zu tun, aber sie bewegt sich doch wendig und
angeregt auf einer Soiree, flirtet und provoziert Niccolos Hohn. Ihm sind die
Spielregeln fremd, er verhält sich komisch ungeschickt, streift die Zigarettenasche
in einem, auf der prachtvollen Speisetafel abgelegten Armreif einer Dame ab.
Die Personen dieses Films gehören
nicht mehr wie in den frühen Antonioni-Filmen einer Clique an, die als
vitaler, pointiert banaler Chor die melancholischen Einzel-Dramen indirekt kommentiert.
Sie leben vereinzelt, betonen redend ihre Dissidenz und führen in ihrer
Existenz den Verlust von Kohärenz fort, den sie allgemein diagnostizieren.
Ihre Sätze sind beliebig und oft der Situation unangemessen, - so wenn
Mavi auf der Soiree den Mangel einer Idee von Gesellschaft in Ita!ien konstatiert.
Farra beobachtet die statuarische Eleganz der Anwesenden, bei denen sich die
Generationen kaum unterscheiden und die gleiche somnambule Trägheit alle
in den Räumen arrangierten Schönheiten umgibt (keine ausgelassene
Verspieltheit mehr wie in LA
NOTTE). Er bemerkt, daß immer weniger Reiche,
Mächtige sichtbar präsent seien, sie sind verschwunden, emigrieren
aus Angst, wozu früher die Armen aus Not gezwungen waren. Die Identität
von Präsenz und Repräsentation ist gelöscht.
Farra wird wegen seiner Verbindung
zu Mavi bedroht und verfolgt, ein Mann warnt ihn, mysteriöse Autos warten
vor dem Haus, Farras Schwester verliert ihre Arbeit als Gynäkologin im
Krankenhaus. Er konstruiert einen Zusammenhang zwischen diesen Vorfällen
und Mavis Hintergrund. Vage Indizien verweisen auf einen unbekannten Mächtigen,
der annimmt, ihr Vater zu sein. Abstrakte Angst, Unsicherheit und unerfüllte
Emotionalität im kriminalistischen Muster eines Komplotts verschmelzen
mit Farras Aversion gegen die reinen Nichtstuer und seinem hilflosen Haß
auf die Verfolger. Am Ende hat er das Interesse an der unlösbaren Geschichte
verloren und träumt sich allein in die Sonne. Aber solange ihn die Drohung
fasziniert und er Spuren sucht »wie die Lösung in einem Film«,
Mavi ausforscht und den bulligen Bedroher auf der Straße stellt, sind
diese Ereignisse die einzigen, die Affekte abnötigen.
Mavi verschwindet, entzieht sich
ihm nach einem Streit, weil er sie nicht liebe, sondern zum Leben und Überleben
brauche. Farra sucht andere potentielle Idealfrauen und begegnet Ida (Christine
Boisson). Anders als Mavi lebt sie auf dem Land, ist Schauspielerin in einer
Off-Theatergruppe, erzählt von frühem Zwang zum Arbeiten und Vagabundieren.
Beide Frauen sind wesentlich jünger als Farra, tragen Hosen, Lederjacken
und Kurzhaarfrisuren.
Daniela Silverios schmale Hände
werden durch die Bildführung betont, wie ein pars pro toto gezeigt, wenn
sich ihre Finger angstvoll verkrampfen, die Arme sich Farra sehnsüchtig
entgegenstrecken. Darin lebt ein Relikt von Monica Vittis sensitivem Spiel nach
und zugleich ist dieses Signum grotesk überpointiertes Handlungselement,
weil der mysteriöse Anonyme, dem Mavi auf der Treppe während des Besuches
der Soiree begegnet war, seine Vaterschaft damit beweisen will, daß er
die gleiche Form der Hände habe. Idas anderes Verhältnis zu Farra,
ihre größere Distanz beschreibt Boisson mit einer forcierten Art,
in Position zu gehen, bevor sie etwas sagt, sie verlagert ihr Gewicht auf eine
Körperseite und schwingt daraus in raumgreifende Schritte, wirkt entschieden
und burschikos. Beide Frauen haben Szenen, in denen sich in einem Bild ihre
Trauer um das Ende ihrer Beziehung zu Farra mitteilt. Ida entscheidet sich gegen
Farra für das Kind, das sie erwartet und für ihren Freund aus der
Schaupiel-Truppe, von dem sie behauptet, er sei der Vater. Sie optiert für
eine andere Existenz, die sich Farras Wahrnehmung und der des Films entzieht.
Die Verkettung der Beziehungen
ist distanzierter als in L'AVVENTURA: Ida und Mavi haben weder eine gemeinsame Vorgeschichte noch
kennen sie sich. Ida ist nicht eifersüchtig und beginnt selbst, Mavi zu
suchen, die sich Farra entzogen hatte und hinter der er immer noch her ist.
Eine Kennerin seiner Obsessionen.
Alle Motive und Sujets aus Antonionis
filmischem Vokabular sind in IDENTIFICAZIONE DI UNA DONNA ins Absurde und Komische
verschoben: die brüchigen Liebesgeschichten, die schwarzen Löcher
von Verfolgung und Verschwinden, die wenigen Schauplätze in Rom und Venedig
als kontrapunktische Rahmungen für das Verhalten der Personen, Nebellandschaften
und Wasserwüste, Ausflüge und Spiralkonstruktionen der Handlung, die
die Personen am Ende einem desillusionierten neuen Anfang aussetzen. Die Differenz,
die Zitat-Fragmente zu einem ganz anderen Film bindet, entsteht aus der Spannung
zwischen Farra und den Frauen einer neuen Generation und eines anderen Lebensstils,
aus der offenen Analogie zwischen den Berufskrankheiten eines Filmregisseurs
und seinen Erfahrungs-Eskapaden und aus den zwei formalen Mitteln Lichtführung
und Dialog-Gestus, die ironische Verfremdungen und Verschiebungen übertragen.
In IDENTIFICAZIONE DI UNA DONNA wird viel gesprochen, Affekte und Erlebnisse
haben Namen und Werte, die zugleich permanent angezweifelt werden. Es gibt einen
sprachlichen Analyse- und Beschreibungsapparat, der aber bei den drei Hauptfiguren
wie veraltet und ungenügend erscheint im Vergleich zu den komplexen Wünschen
und Wirklichkeiten, mit deren vereinzelten äußeren Zeichen sie sich
gegenseitig verwirren und enttäuschen.
Die Farbe dieses Films ist Blau.
In subtiler Übersteigerung dringt in fast alle Szenen der helle Blau-Effekt
ungefilterten Tageslichts, und er wiederholt sich changierend im Kunstlicht
nächtlicher Straßenbeleuchtung, in Dekors und Kleidung, - das Blau
gibt eine Tiefe ohne Konturen, das Reale wird zur Szenerie der Begegnung mit
dem Unbekannten.
Farras kleiner Neffe Lucio (Itaco
Nardulli) - ein Kind, das wie Valerio in DESERTO ROSSO die Gefühlskonfusionen der Erwachsenen überholt - bringt
den Regisseur auf die Idee, einen Science-Fiction-Film zu drehen. Der Junge
ist nur einmal zu sehen, aber immer wieder akustisch präsent, weil er per
Anrufbeantworter die versprochene Briefmarkensammlung anmahnt. In Farras Wohnung
interessiert ihn am meisten das mysteriöse Gebilde am Baum vor der Terrasse,
- ein Wespennest vielleicht -, das auch der Regisseur neugierig beobachtet,
ohne es identifizieren zu wollen.
Das Kind zeigt Farra ein Astronauten-Motiv
auf einer Briefmarke und fragt nebenbei, warum er keinen Science-Fiction-Film
drehe. Die zündende Idee wird gleich in einem kurzen inneren Monolog von
Farra festgehalten - solche kurzen Selbstgespräche sind ein neues, ironisch
verdoppelndes Mittel bei Antonioni, um einen monadischen, nicht mehr jungen
Mann zu charakterisieren -, am Ende nach der Affäre mit Ida beobachtet
er die Sonne und fabuliert eine Astronauten-Geschichte über eine Reise
in die Sonne, die der Film im Farbkontrast einer gelb-roten Animation als Phantasie-Ausflug
inszeniert. Musik von Steve Hillage, Tangerine Dream, Orchestral Manoevres in
the Dark u. a. versetzt immer wieder die Liebes-, Arbeits- und Phantasie-Fragmente
des realen Untergrunds in eine synthetische Atmosphäre.
Der Film beschreibt vereinzelt
intensive Begegnungen in einer elliptischen Zeitstruktur, aber so, als ob die
Personen sich wie Planeten umkreisen und nur der Augenschein für Momente
eine Berührung vortäuscht. In der ersten Geschichte mit Mavi sind
Szenen, in denen Sex - die stumme Begehrlichkeit der Frau - die Hauptrolle spielt,
von den Situationen getrennt, in denen über Gefühle, Ängste,
Erinnerungen und Unzufriedenheiten gesprochen wird. Analog zu Farras Spekulationen
über ihren undurchschaubaren Hintergrund provozieren die Reste dieser Vorgeschichte
später Idas Fragen, Recherchen nach Mavi und immer deutlicheren Abgrenzungen
von der fremden Welt Farras. Diese zweite ist eine direktere Frage- und Antwort-Geschichte,
ein Rede-Verhältnis von Anfang an: »Ich habe über dich sagen
hören, du bist ein berühmter Regisseur.« Während der Treffen
von Ida und Niccolo tauschen sie immer Partikel ihrer Vergangenheit aus, die
den Gegenwartsmoment auffüllen, aber die Fremdheit zwischen ihnen bestätigen.
Sie besichtigen jeweils die Wohnung des anderen: sie fordert ihn in ihrem kleinen
Bauernhaus förmlich zum Platznehmen auf, er arrangiert sie in seiner Wohnung
im Fensterrahmen zu einem attraktiven Bild. Sie generalisieren ihre gegenseitigen
Eindrücke: er unterstellt Ida, aus reicher Familie zu stammen, weil sie
Pferde liebt, sie spricht ihn an als »ihr italienischen Regisseure«,
wenn sie seinen Pessimismus als Kälte und Ignoranz attackiert. Die Benennungen
schließen Identifizierungsversuche ab, Worte wiederholen und bestätigen
die Trennung zwischen Männern und Frauen. Es gibt keine Mitleids-Gesten
mehr wie in L'AVVENTURA und in LA NOTTE, nur Trauer in den Gesichtern der Frauen
gegen die Starre im Gesicht Farras, und in beiden eben erwähnten Sequenzen
erscheinen die Körper voneinander getrennt gemeinsam im Bild.
Was bleibt, sind die ironischen
Übersteigerungen der Phantasie-Ausflüge des Regisseurs. Am Anfang
wie am Ende des Films kommt er mit der Reisetasche nach Hause, die absurde Realität
zu Beginn löst sich am Ende auf in der realen, d.h. sichtbar inszenierten
Phantasie eines Weltraumflugs als der Traum des kleinen Lucio, den Niccolo für
sich träumt.
In der ersten Sequenz muß
Farra unterhalb der unsichtbaren Lichtbarriere, die die Alarmanlage auslöst,
in seine Wohnung hineinkriechen, weil er den Schlüssel zur Entsicherung
vergessen hat. Wie von weit her wird diese Szene kommentiert durch einen knappen
Off-Text: Farras Ehefrau ist ängstlich gewesen, sie hat sich scheiden lassen,
aber die Alarmanlage ist geblieben. Die Sirene heult los und bis Farra den Schlüssel
gefunden hat, um sie abzustellen, ist schon der Hausmeister erschienen, vorsorglich
bewaffnet mit einer Pistole.
Der genießerische Solipsismus,
mit dem Farra auf der Treppe einer entfernten Schlagermusik lauschte, wird forciert
zum Slapstick, - die anonyme Technik ist für Farra wie eine Antriebsfeder
(nur zuhause für sich sieht man den eher behäbig daherkommenden Milian
als Farra so behende in Bewegung), das untergründig Bedrohliche eher lästig.
Wenn er allein ist, beschäftigt
sich der Regisseur mit Technik und Phantasie-Objekten. Telefon-Stimmen bevölkern
zu Anfang die nächtliche Wohnung: Lucio hat seine Briefmarken-Mahnung auf
dem Anrufbeantworter hinterlassen, der anonyme Bedroher klingelt Farra aus dem
Bad. Sein darauffolgender Anruf bei Mavi führt diese Frau über ihre
Stimme in den Film ein und zugleich wie eine Projektion von Farra: er lehnt
sich im dunklen Zimmer gegen das Fenster zu seiner Terrasse, draußen bauscht
sich ein nachtblau beleuchteter Vorhang im Wind, Farras Silhouette davor und
das Kompakt-Telefon, das er gegen die Scheibe hält, sind das surreale Dekor,
über dem in einer Blende Mavi erscheint.
Farras weitläufige Wohnung
in einer alten Villa ist kühl elegant ausgestattet in Blau-Grau und Brauntönen.
Sie wird ausschnitthaft gezeigt, wenn die Kamera in Achsensprüngen und
schnellen Schwenks die Bewegungen und Auftritte Farras oder Mavis ins Zentrum
setzt. Die gerade, markante Linienführung dieser Szenerie rahmt die Figuren
ein, der Ort dekoriert sie, alles wird darin zum Bild. Die Übergänge
zur Phantasie-Vorstellung fließen, sind montiert über Bilder im Bild
(die Fotos an der Wand, die Briefmarken aus der Truhe, pur illustrierende Rückblenden
in den Rückblenden, z.B. im Bild von Kajaks auf den Wellen, wenn Mavi Farra
im Bett von ihrer sportlich-asexuellen Elite-Erziehung in einem englischen College
am Meer erzählt). Andere visuelle Transportmittel zwischen den Erlebnis-Zonen
sind technische Apparate: das Telefon ohne Leitung, ein Teleskop zur Beobachtung
des mvsteriösen Gebildes am Baum und später für den Blick auf
die Sonne.
Mavi wird in einer schnellen Folge
von Rückblenden und Präsensszenen als Besucherin in Farras Wohnung
gezeigt. Die Inszenierung betont ihr Fürsichsein, zeigt sie immer eilig
beim Ankommen, Aufbrechen, Zurechtmachen. (Es gibt eine einzige Reminiszenz
an Monica Vittis frühere Kommunikation mit den Dingen: Mavi berührt
versonnen eine Südseemuschel.) Die Rückblenden-Träume Farras
bieten ihren Körper an, wenn sie z.B. im - durch Weitwinkel verzerrten
- Badezimmer-Dekor steht, aber parodieren das Poster-Arrangement durch einen
beiläufigen Satz von ihr über ihre Cellulitis. Die Sex-Szenen mit
Farra und Mavi sind ganz direkte Blickfänge ihrer Nacktheit, präsentieren
vor allem sie als erotische Attraktion. Aber diese Szenen treiben den ewigen
Widerspruch solcher Bilder, bloß voyeuristischen Ersatz mit dem Fetisch
Frauenkörper und obszön schockhafte Wollust offen auszustellen, um
einige Grade weiter. Sie setzen unmittelbar ein, lassen die legitimierenden
Ablauf-Dramaturgien aus, konzentrieren die Blicke ganz auf Mavis auto-erotischen
Genuß: sie streichelt ihre Brüste, sucht ihr heißes Gesicht
im Spiegel, ihr Atemgeräusch macht die orgasmischen Kurven hörbar,
während Farra ihre Lust bedient, immer im Hintergrund der Bilder bleibt
und die Körper-Positionen masturbatorische Sensationen beschreiben.
Der Film nimmt sich keine Zeit,
Prozesse von Annäherungen, Zweifeln, psychischen Schwankungen expressiv
nachzuemptinden wie in den Filmen mit der Vitti. Er kombiniert mit Tempo Erlebnisse,
vorwärts als narrative Kette von Handlungs-Fragmenten, rückwärts
als Farras Gedächtnis-Bilder (soweit sie die Plastizität einer spontan
abzurufenden Rückblende haben) und als simultan daran angelagerte Splitter
seiner, aus heterogenen Ordnungssystemen herrührenden Ideenwelten: sein
Traum von der idealen Naturfrau gegen den vom raumerobernden Astronauten. Einer
geht bruchlos und wertfrei in den anderen über, es gibt keine emotionale
Verarbeitung, keine Geschichte mehr. Rhetorik, Gedächtnis, Bilder und die
Erlebnis-Kette in der Realzeit des Films sind analoge energiepotenzierende Drogen
jenseits von Gefühls-Involvierungen, plakativ faßbar unter dem Etikett
»Begegnung mit dem Unbekannten«. (Das ist der Titel eines anderen
abgelegten Filmprojekts, das Farra unter den Briefmarken für Lucio in der
Truhe findet.)
Es gibt in den Bildern nichts
mehr, das auf eine ideelle und moralische Orientierung, eine Utopie jenseits
des Films schließen ließe wie noch in den Filmen der »Trilogie«.
Darin reklamieren die Frauen die Integrität von Gefühl und Verstand
und brechen die Kommunikation durch Gesten des Mitgefühls nie ganz ab.
In IDENTIFICAZIONE DI UNA DONNA geht es statt dessen um Oppositionen,
um die Suche nach dem Moment, in dem die Gegensätze unversöhnlich
klar gegeneinanderstehen und Korrespondenzen diffus neue Bewegungen durch Trennung,
Unterscheidung, Kontrast provozieren.
Die Leerstellen finden kein erzählerisches
Schlußbild mehr wie in L'AVVENTURA, in LA NOTTE, in der Schlußmontage
von L'ECLISSE und den beiden Phantasie-Schlüssen der verwandten Männer-Filme
BLOW-UP und PROFESSIONE: REPORTER; sondern sie wiederholen sich in Mavis letztem
Blick auf Farra und Idas Abschiedsworten, um dann in dem solipsistischen Astronauten-Traum
des Regisseurs einen anderen Weg einzuschlagen. Die Beziehungen der Personen
gehen zu Ende, aber alle Einzelgeschichten könnten parallel weiter erzählt
werden. An die Stelle des subjektiven Scheiterns eines Paares tritt die Vereinzelung,
Parallelisierung, Analogie und Vielfältigkeit.
Diese radikalisierte Sicht des
Sinnverlustes behält aber in IDENTIFICAZIONE DI UNA DONNA die Zeichen eines
raffinierten Spiels, weil alle Sujet- und Form-Elemente in Zweier-Kombinationen,
in Komplementen und Kontrasten in Beziehung gesetzt und voneinander abgelöst
werden. So übernimmt Farra die Idee des Kindes und weicht in die Science-Fiction-Zonen
aus. Ida löst Mavi für eine kurze Phase ab, beide haben ähnliche
Züge von Androgynität, bewahren vor dem Mann Geheimnisse - Mavi: das
ihrer Herkunft und ihrer Bisexualität, Ida: das ihrer Kollektiv-Bindungen
-. Beide entscheiden sich autonom gegen den Mann und setzen den Schlußpunkt.
Beide Figuren sind symmetrisch Farra zugeordnet, aber sind nicht austauschbar,
nicht einmal vollständig zu identifizieren.
Diese Differenz zwischen dem männlichen
und weiblichen Universum beschreibt der Film nicht in Formen, die einen psychologischen
Umriß, eine Benennung der Widersprüche zwischen Innenwelt und Außenwelt
versuchen. Er sammelt Phänomene, die auf der sprachlichen Ebene das Ende
von Kommunikation offenlegen in einem Labyrinth der Worte, deren Referenz zur
Realität abhanden gekommen ist und setzt dagegen szenische und visuelle
Analogien, Zitate, Wiederholungen mit absoluter technischer Präzision,
so daß aus dem Vergleich ein Assoziationsraum entsteht über ein Mehr,
einen Überschuß an Intensität bei den Frauen, mit der der Regisseur
auf der Suche nach der Idealfrau nicht kommunizieren kann, er beutet sie aus.
Die Momente von Verführung in den Gesten und Blicken der Frauen sind der
klare Gegensatz zu seiner Sprache, mit der er wie mechanisch alle Frauen nach
ihrem Sexualleben ausfragt.
Auf der Straße ist Farra
Zeuge eines faszinierten Blickwechsels zwischen Mavi und einer Schaufensterdekorateurin,
die einer männlichen Puppe lasziv über den Slip streicht. Mavi erzählt,
wie sie das Mädchen und ihren Freund nackt in einem Auto getroffen habe.
Farra forscht nach Mavis Verschwinden dreist ein junges Mädchen nach ihrer
Bekanntschaft zu Mavi aus. Seine anzüglichen Unterstellungen werden von
ihr verschlossen gleichgültig mit der Geschichte einer lesbischen Episode
zwischen Mavi und ihr beantwortet, die genauso Wahrheit wie Fiktion, eine unverfrorene
Offenlegung seiner Eifersuchts-Phantasien sein könnte.
Die visuellen Korrespondenzen
und Kontraste sind in den Bildern am dichtesten, in denen der Film architektonische
Räume zu den Figuren in Beziehung setzt. Es gibt eine visuelle Korrespondenz
zwischen den architektonischen Räumen, die Farras Welt und die Mavis Welt
repräsentieren: die Horizontal- und Vertikallinien seiner weitläufigen,
modern eingerichteten Wohnung mit Arbeitsstudio in einer alten Villa ähneln
denen der hohen, mit Holz, Plüsch und Brokat verkleideten Räume des
alten Palazzos, in dem Mavi ihm ihre alten Freunde vorstellen will. Farras Wohnung
erscheint ruhig, leer und eher flächig in Licht- und Schattenzonen, wie
eine Projektionsebene für seine Filmideen, Phantasie-Ausflüge und
Gedächtnis-Rückblenden. Die Durchblicke in die weit nach hinten gestaffelten
Räume im Palazzo, hinter denen man noch größere Weite ahnen
kann, weil die Personen umhergehen, in den Blick kommen und wieder verschwinden,
beschreiben ein Labyrinth, wie ein Bild, in das man eintreten kann. Farra verliert
sich darin und fühlt sich einsam, während in seiner Wohnung alle Phantasien
an die Oberfläche treten und zu Bildern, - eingegrenzten Imaginationen
werden.
Zwei gegensätzliche Raumbilder
sind Mavi und Ida zugeordnet, beide beschreiben eine soghafte Dynamik, sind
Metaphern der Trennung und bewahren ein suggestives Moment, eine Sehnsucht nach
ihrer Überwindung. Farra begegnet Mavi noch einmal im Treppenhaus ihrer
neuen Adresse, einem alten Haus in Trastevere. Er sieht sie die enge steinerne
Spirale heraufkommen und zieht sich an deren oberes Ende zurück. Sie muß
warten, bis sie eingelassen wird, raucht eine Zigarette, er zieht impulsiv sein
Feuerzeug, macht eine Geste über die Distanz hinweg, aber gibt sich nicht
zu erkennen. In der Spirale eines Palazzo-Treppenhauses hatte Mavi zuvor ihren
vermeintlichen Vater getroffen, von Farra beobachtet, der aus seiner Perspektive
auf die Szene den hinter der Treppenbiegung verborgenen, sehnsüchtigen
Verfolger nicht wahrnehmen konnte.
Ein letzter Blickwechsel zwischen
Farra und Mavi beschreibt die sprachlose, endgültige Distanz. Die Kamera
sieht mit Mavi über ihre Schulter hinweg im Fensterausschnitt Farra als
winzig kleine Figur unten auf der nächtlichen Straße stehen und zeigt
im folgenden Bild ihren trauernden Ausdruck nah, für sich, nicht aus der
Perspektive Farras.
Die mit Ida verbundene, analog
zur Spirale doppelt erscheinende Raumbewegung teilt mehr Direktheit mit: zweimal
zeigt die Kamera die beiden in einer Türrahmung optisch eng aufeinander
bezogen, in Farras Hausflur und am Ende im Foyer des Hotels in Venedig. In beiden
Situationen wendet sich Farra ab von dem Mädchen. Zuerst aus gekränkter
Eitelkeit, weil er die Blumenlieferung für die abwesende Mavi als persönlichen
Affront empfindet und übersteigert von seinen Haßgefühlen spricht,
und am Ende aus gekränkter Eitelkeit, weil Idas Freude über die Schwangerschaft
plötzlich ihr von ihm unabhängiges Leben offenlegt. In beiden Szenen
ist Ida weit hinten in der Raumtiefe für sich zu sehen und beginnt, auf
ihn zuzugehen, überwindet die trennende Achse, kommt frontal auf die Kamera
mit einer Entschiedenheit zu, die dem Blick des von ihr abgekehrten Farra entgeht.
Die Abschiedszene ist ein Bekenntnis, ein Versuch, die Unterschiede ihrer Liebesgefühle
für Farra und den jüngeren Mann in Worte zu fassen. Es gibt keine
Auseinandersetzung; ihr Verständnisangebot, die andere Liebe dem von Farra
mythisch beschworenen Bild des Terroristenpaares und seiner unbedingten Zusammengehörigkeit
gleichzusetzen, wirkt monströs, abgeschnitten von jeder Plausibilität,
die das vorher Gezeigte hätte vermitteln können. Ihre Erklärung
steht für sich als intensives Einzelmoment, glaubwürdig als Gefühlsausbruch
unter Tränen, in einer Sprache also, auf die Farra nicht antworten kann.
Die Frauen haben den letzten Blick
und das letzte Wort, und beide Abschiedsszenen werden in einer genauen Umkehrung
des Verhältnisses von Worten und Blicken bei Farra und der jeweiligen Partnerin
vorher in Schlüsselszenen eingeleitet, in denen Antonioni diese abstrakteren
neuen Filmfiguren in
zweien seiner typischen alten
Szenerien zeigt, sie einer elementaren Situation aussetzt.
Mavi und Farra fahren, einem plötzlichen
Impuls folgend, nachts zu Farras Landhaus, um der Hysterie der Verfolgung in
der Stadt zu entkommen. Sie geraten in undurchdringlichen Nebel, Farra fährt
zu schnell, Mavis Angst steigert sich zur Panik. Er hält an und sie läuft
davon. Farra ist in dieser unheimlichen Szene der faszinierte, unbeteiligte
Beobachter der eigenen Desorientierung. Er sieht schemenhaft Ampelsignale, vorüberfahrende
Autos, er überhört die akustischen Signale, Mavis Schritte, und ist
überrascht, sie wieder im Auto zu finden. Ein aus dem Nebel kommender Autofahrer
fabuliert eine konfuse Katastrophengeschichte über Unfälle und Verbrechen
zusammen, die sich wie eine groteske Apokalypse hinter der Nebelwand ausnimmt.
Er behauptet, akustische Beweise zu besitzen: »Glockenläuten, Schüsse«,
die freilich nicht für Farras Gehör und in der Geräuschdimension
des Films existieren, aber denkbar sind als Horror-Phantasien. Farras Sensorium
hat keine innere Verbindung zu dieser Erfahrung.
Mit Ida dagegen fährt er
auf die Außenlagune Venedigs hinaus, wo Himmel und Wasser keine scharfe
Trennlinie haben und die Stille die Stimmen hervorhebt. Er redet viel, lamentiert
über die Einsamkeit als Berufskrankheit eines Regisseurs, führt seine
Besonderheit vor, vereinnahmt das Mädchen zynisch komisch. Er schlägt
ihr die Heirat vor, ihre Probleme miteinander würden sie dann später
lösen. Die Szene ist das Zerrbild seines Anspruchs an die Idealfrau, im
Angesicht der Natur mit ihr schweigen zu können; es ist Farra, der redet,
und erst Idas Kuß macht seinen Deklamationen ein Ende. Wenn Farra schließlich,
behaglich auf seiner Fensterbank ausgestreckt, mit geschlossenen Augen von der
Eroberung der Sonne träumt, ist sein imaginäres Publikum ein Kind:
er erzählt sein Astronautenmärchen dem kleinen Lucio, erklärt,
daß man in der Science-Fiction nie wüßte, was wahrscheinlich
sei. Lucios letzte Frage zum Abendsonnen-Orange und der synthetischen Musik
verbindet den Film über Farras erfahrungsarme Abenteuer mit dem Phantasie-Projekt,
- die Eroberung ist ein Programm, das Ziel ist benennbar, alles andere offen.
Das Kind fragt: Und dann?
Claudia
Lenssen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: * Michelangelo Antonioni; Band 31 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek
von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien
1987.
Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung der Autorin Claudia Lenssen und des Carl Hanser Verlags.
Identifikation
einer Frau
IDENTIFICAZIONE DI UNA DONNA / IDENTIDENTICATION D'UNE FEMME.
Regie: Michelangelo Antonioni. - Sujet: Michelangelo Antonioni. -
Buch: Michelangelo Antonioni, Gerard Brach. - Mitarbeit: Tonino Guerra. - Kamera:
Carlo Di Palma. - Kamera-Führung: Massimo Di Venanzo, Michele Picciaredda.
- Schnitt: Michelangelo Antonioni. - Ton: Mario Bramonti. - Ton-Schnitt: Michael
Billingsley. - Ton-Mischung: Fausto Ancillai. - Ton-Effekte: Alvaro Gramigna.
- Musik: John Fox; Musikalische Beratung: Dante Maiorana, Lia Scarpa; Songs,
Interpreten: »The Fire Inside«, Palm Trees (Love Guitar) »Music
of the Trees« (Steve Hillage); »Stanlow«, »Souvenir«
(Orchestral Manceuvres in the Dark); »This Day« (Peter Bauman);
»Tangram«, »Ricochet« (Tangerine Dream); »Ten
Feet Tall« (XTC); »Sons of Pioneers« (Japan); »Come
un treno«, »Vieni ragazzo« (Gianna Nannini); »White
Tornado«, «Arc
en ciel« (The Mercenaries); »Soavesito« (Mario Casadei, Henghel
Gualdi); »Ossessione 70«, »Crepuscolo«, »Identikit«,
»Romantic Waltz« (Fausto Cigliano); »L'isola che non c'e«
(Edoardo Bennato); »Garage-Clips« (Dante Maiorana); außerdem
Auszüge aus Edvard Griegs »Calm in the Forest« gespielt von
Antonio Pirolli. - Darsteller: Tomas Milian (Niccolò Farra), Daniela
Silverio (Mavi), Christine Boisson (Ida), Sandra Monteleoni (Mavis Schwester),
Giampaolo Saccarola (Fremder), Alessandro
Ruspoli (Mavis Vater), Lara Wendel (Mädchen am Swimming Pool), Veronica
Lazar (Carla Farra), Enrica Fico (Nadia), Marcel Bozzuffi (Mario), Arianna de
Rosa (Mavis Freund), Sergio Tardioli (Schlachter), Itaco Nardulli (Lucio), Paola
Dominguin (Mädchen im Geschäftsfenster), Pierfrancesco Aiello (Junger
Mann an der Rezeption), Carlos Valles (1. Mann), Giada Gerini (Landlady), Luisa
della Noce (Mavis Mutter), Maria Stefania D'Amario (Freundin der Landlady).
- Produktion: Iter Film,
Rom/Gaumont, Paris, in Zusammenarbeit mit RAI-TV, Kanal 2. - Ausführender Produzent: Alessandro von Normann.
- Produzenten: Giorgio Nocella, Antonio Macri. - Produktionsleitung: Franco
Ballati. - Gedreht in Rom und Venedig. - Unterstützung von der L'Accademia
Americana di Roma; Atlantic College, Cardiff. - Format: 35 mm (Technovision),
Farbe (Technicolor). –
Original-Länge: 131 min. – Deutsche Version: 128 min. - Uraufführung:
23.5.1982, Filmfestival Cannes. –
Deutsche Erstaufführung: 18.2. 1983. - Verleih: Concorde (35 mm).
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