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Iklimler
- Jahreszeiten
Dann
schaut sie auf den Flug der Vögel
"Iklimler - Jahreszeiten",
der vierte Spielfilm des türkischen Regisseurs Nuri Bilge Ceylan, ist ein
stilles Drama um eine langsam ausglühende Liebe - und zugleich, paradoxerweise,
eine Liebeserklärung
Schon die ersten Minuten von "Jahreszeiten"
nehmen das Ende vorweg. Ein Mann (Nuri Bilge Ceylan) fotografiert die Ruinen
und die Umgebung einer alten Tempelanlage. Eine Frau (Ebru Ceylan) lehnt an
einer Säule, Tränen laufen ihr über das Gesicht. Mal schaut sie
auf den Mann, dann wieder auf den Flug der Vögel. Es ist heiß, die
Luft flirrt unter der Sonne. Der Mann fragt: "Ist dir langweilig?"
Sie antwortet: "Nein". Dass das offensichtlich gelogen ist, scheint
den Fragenden nicht zu interessieren. Sie geht fort, einen Hügel hinauf.
Wir sehen zu, wie eine Beziehung in Sprachlosigkeit verebbt. Wie sie nicht zerbricht,
sondern langsam erstickt.
"Jahreszeiten" besteht
aus lauter solchen Miniaturen, episodisch erzählten und präzise komponierten
Stationen eines stillen Dramas um eine erloschene Liebe. Mit jedem Schritt wird das
Paar, der Archäologe Isa und die Fernsehproduzentin Bahar, sich weiter
voneinander entfremden. Ein Abendessen bei Freunden führt zu einem ersten
offenen Streit, am nächsten Tag wird Bahar beinahe einen tödlichen
Absturz der beiden auf dem Motorrad provozieren. Das bleibt nicht der einzige
Moment plötzlicher Gewalt. Isa, der allein nach Istanbul zurückkehrt,
besucht dort seine ehemalige Geliebte Serap (Nazan Kesal). Nach einem ungelenken
Vorgeplänkel zwischen beiden reißt er ihr die Kleidung vom Leib,
zwingt sie auf den Boden. Ceylan inszeniert diese Szene weitgehend in einer
einzigen Einstellung und lässt sie in einer hilflos-brutalen Geste enden:
Isa zwingt Serap, eine Haselnuss, die sie zuvor aus seiner Hand abgelehnt hatte,
vom Boden zu essen.
In seinem mittlerweile vierten
Langfilm erweist sich der Filmemacher, Autor und Produzent Nuri Bilge Ceylan
erneut als ein Chronist des Zerfalls, der Gegensätze von Stadt und Provinz
und der Unfähigkeit seiner verschlossenen Männerfiguren, ihren Gefühlen
angemessenen Ausdruck zu verleihen. In "Bedrängnis im Mai" (1999)
kämpft ein alter Mann im anatolischen Hinterland verzweifelt gegen die
Abholzung seines Wäldchens, während sein Sohn, ein Regisseur auf der
Suche nach pittoresken Hintergründen für das nächste Projekt,
blind gegenüber dessen Ängsten bleibt. "Uzak",
2003 in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, handelt von
der Konfrontation eines Istanbuler Fotografen mit seinem Cousin vom Land, der
in der Stadt auf Jobsuche ist.
Immer arbeitet Ceylan mit stark
autobiografisch gefärbten Elementen. Seine defizitären Helden sind
selbst Filmemacher oder Künstler, Vertreter eines gehobenen türkischen
Bildungsschicht in einer Krise, die sich nicht artikulieren kann. Seine Filme
sind Übungen in Schweigsamkeit: Wir lügen andauernd im echten Leben,
äußerte der Filmemacher einmal im Interview, welchen Wert sollten
also Dialoge haben, wenn durch Gesten und Mimik so viel mehr ausgedrückt
werden kann. In jedem seiner Filme besetzt Ceylan Schlüsselrollen mit Mitgliedern
seiner eigenen Familie, in "Jahreszeiten" steht er erstmals selbst
vor der Kamera, gemeinsam mit seiner Frau Ebru.
Der Verlauf der Jahreszeiten strukturiert
den Gang des Films. Die Natur kennt weder Trost noch Mitleid für die Figuren,
im Sommer herrscht eine unbarmherzige, schwüle Hitze, die bei Bahar Alpträume
hervorruft, im Winter deckt der Schnee alles Lebendige zu. Man hat Ceylans eindringliche
Naturdarstellungen oft mit denen Tarkowskis verglichen; bei beiden Filmemachern
scheint die Natur, die Atmosphäre, der Wind im Gras und das Spiel des Lichts
auf den Oberflächen wie mit schweigendem Bewusstsein davon beseelt, dass
all das bleiben und sich beständig erneuern wird, während die Menschen
wie eingesperrt wirken in ihrer eigenen, endlichen Existenz.
Wie als Gegengewicht zur Krisenstimmung
der Subjekte inszeniert Ceylan jedoch deren Umgebung: etwa in der Euphorie des
frisch verliebten Taxifahrers, der Isa zu einer antiken Festungsanlage fährt;
oder in der geschäftigen Fernsehcrew, die Isas letzten Versuch, Bahar zur
Rückkehr zu überreden, immer aufs Neue unterbricht. So ist der Film
nicht ohne eigentümlichen, trockenen Humor, er folgt der introvertierten
Perspektive seines Antihelden und führt zugleich über sie hinaus.
Schließlich wohnt dem Film ein Paradox inne: Die Beziehung scheitert,
aber der Film endet, wie er begonnen hat, mit einer Großaufnahme auf das
Gesicht von Bahar/Ebru Ceylan -mit einer Liebeserklärung des Regisseurs
an seine Frau.
Dietmar Kammerer
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz vom 27.9.2007
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Iklimler
- Jahreszeiten
Türkei / Frankreich 2006 - Originaltitel: Iklimler - Climates - Regie: Nuri Bilge Ceylan - Darsteller: Ebru Ceylan, Nuri Bilge Ceylan, Nazan Kesal, Mehmet Eryilmaz, Arif Asçi, Can Özbatur - FSK: ab 16, nicht feiertagsfrei - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 97 min. - Start: 27.9.2007
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