Im Lauf der Zeit
Daß man hier ein Stück Film-Kunst vor sich hat, daran läßt dieser
Schwarz-Weiß-Film von Anfang an, als Ort (zwischen Hamburg und Hof) und
Zeit (zwischen April und Oktober 1975) des Film-Drehs sowie Angaben zum
verwendeten Breitwandformat eingeblendet werden, keinen Zweifel. Ähnlich
künstlich und stilisiert wirkt auch das Zusammenspiel der Darsteller und
die illusionshemmende Montage (Schwarz- und Schiebeblenden). Diese
Erzählweise ist höchstens im etwas zu lang(-weilig) geratenen Mittelteil,
in dem die beiden Aussteigertypen noch einmal kurz nach Hause zurückkehren
(für ein Road Movie selten genug), bevor sie sich wirklich frei fühlen,
etwas bemüht. Die auf Stimmungs-Bilder angelegte Inszenierung der
Einführungspassagen läßt sich eben nur schwer in konkrete Handlungsmuster
überführen.
Deutlich wird eingangs die Unbekümmertheit der beiden Hauptfiguren
gezeigt, die für bürgerliche Sittenvorstellungen untauglich erscheint.
Eben diese Spontaneität ist es auch, die die beiden hinter einer
Kinoleinwand ein Slapstick-Schattenspiel für eine Schulklasse als Ersatz
für den erwarteten Film improvisieren läßt. Denn Wim Wenders sechster Film
läßt sich nebenbei auch als Kommentar zur damaligen Situation des Kinos
lesen: Die eigentliche Geschichte ist eingerahmt von authentisch wirkenden
Aussagen erfahrener Filmvorführer über die Filme der "guten alten
(Stummfilm-)Zeit" im Vergleich zu den stupiden Massenproduktionen von
heute - eine Problematik, die nicht nur dem Jungen Deutschen Film auf der
Seele lag, sondern auch im Zeitalter der Multiplex-Theater noch (wieder?)
aktuell ist.
Das Eindrucksvollste an „Im Lauf der Zeit“ sind aber die starken, aber
nie aufdringlichen filmischen Bilder, die die Stimmung des Unterwegsseins
nicht nur durch lange Parallelfahrten auf der Bundesstraße (interessant
hier die oft evozierte Analogie zwischen Auto- und Zugfahrt) oder die
eingestreuten Panoramaaufnahmen der Landschaft auf einzigartige Weise
rüberbringen und lange erklärende Dialoge ersetzen. Selbiges gilt auch für
die wunderschön eingepaßte Filmmusik von "Improved Sound Limited" unter
Axel Linstädt, die mit einem Anklang von Country- und Psychedelic Music
die leichte Melancholie des Films wiedergibt, ohne sie zu überhöhen. Gut
gewählt ist auch das Niemandsland des deutsch-deutschen Grenzgebiets, das
es Wenders ermöglicht, seine beiden Helden am Ende ihrer Erfahrungsreise
ganz sinnfällig an eine Grenze stoßen zu lassen. Doch auch dieser Rahmen
läßt noch genügend Platz für den einen oder anderen "running gag", so daß
auch die für so eine Art Film eigentlich zu anstrengenden 3 Stunden
Spielzeit erträglich werden.
Johann Georg Mannsperger
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
Im Lauf der Zeit
R: Wim Wenders GER 1975 D: Rüdiger Vogler, Hanns Zischler