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Immer nie am Meer
Wie sieht ein Antikatastrophenfilm
aus und dazu noch einer mit Witz? In Österreich weiß man das. Die
Katastrophe ist da, die drei Männer im Auto wissen, was zu tun ist: gar
nicht ignorieren. Der Mercedes kam von der Straße ab, ein bisschen den
Berg runter, schon steckt er zwischen Bäumen fest, die Türen lassen
sich nicht öffnen, das Dach ebenso nicht, die Scheiben lassen sich nicht
einschlagen, alles schusssicher, gepanzert, Exdienstwagen von Bundespräsident
Waldheim. Wo pisst man rein? Den Prosecco vorher austrinken. Sich unterhalten,
sich streiten, ein bisschen weinen, aufgedreht lachen, dösen, neuer Alltag,
was geschieht, geschieht und wenns das Ende ist. Es kommt eh niemand, den Wagen
zu finden. Wer das akzeptiert, hat ausgesorgt.
Wer den Fatalisten bei ihrem Treiben
zusieht, gibt nach einem Weilchen jedwede Erwartung (Hilfe! Naht Rettung?) auf
und hält sich am Moment fest, dem äußerst unterhaltsamen Arrangement.
Unsere Männer sind die Glaubwürdigkeit in Person. So kann nur spielen,
wer er selbst ist. Wer Drehbuch und Dialoge gar selbst geschrieben hat, und
sie sind von unseren Darstellern selbst geschrieben. Der phlegmatische Dirk
Stermann und der cholerische Christoph Grissemann sind zumindest in Österreich
von der Bühne und vom Schirm her ein präsentes Paar (ORF sowie Kabarett
und Buch „Willkommen in der Ohrfeigenanstalt“), und der Dritte, Heinz Strunk
alias Mathias Halfpape, hat seinen Namen als Musiker und Komponist (Blumfeld),
als Personality bei Radio Fritz und bei Viva, als Soloshowstar („Penisverletzungen
durch Masturbation mit dem Staubsauger“) und Buchautor-mit-Viertelmillion-Auflage
(„Fleisch ist mein Gemüse“).
Wenn man diese Verdienste aufzählt,
kommt es umso besser, die drei jetzt in diesem Film zu sehen, wo sie immer nie
am Meer gewesen waren und sonstwie scheitern und nix gebacken kriegen. Regisseur
Antonin Svoboda, einer der Gründer der Wiener COOP 99-Produktion (zusammen
mit Barbara Albert und Jessica Hausner) hat einen Film gedreht, von dem man
nur hoffen kann, dass er Schule macht. Die neue Wiener Schule. Es macht mir
Spaß, mir das vorzustellen. Gedreht (fast alles) auf engstem Raum (im
eingequetschtem Waldheimauto), zu sehen kriegt man im wesentlichen Köpfe,
und doch wirkt nichts minimalistisch, reduziert, entemotionalisiert. Ganz im
Gegenteil. Die Temperamente, ihrerseits im Wagen zusammengequetscht, erhöhen
die Temperatur, Authentizität und Selbstironie verschmelzen, im Wageninnern
wird es dicht. Schon mangels hygienischer Grundversorgung ist „Immer nie am
Meer“ alles andere als steril.
Wir hier in Berlin brauchen das
Wiener Pendant. – So, nachdem das gesagt ist, der Clou. Man kann auf die drei
Lebewesen im Wagen auch einen ganz anderen Blick haben. Ein Zwölfjähriger
hat ihn. Den
Forscherblick. Ratten im Käfig, Stressexperimente,
Versuchsprotokolle. Hat er grade in der Schule gelernt. Eigentlich ein netter,
aufgeweckter Junge. Aber er hat die kalten Augen der Hanekefilme. Er sieht keine
Menschen, wohl aber humanbiologisches Versuchsmaterial. Toni (Philip Bialkowski)
ist der geborene Stressexperimentator. Um die Probanden, die Rattenmenschen,
nichts als Leere. Dass Gefühle abwesend sind, ist fachgerecht und genügt
der Versuchsanordnung. Unsere drei Nicht-Helden mit ein paar Bröckchen
zu füttern, dient ausschließlich der Verhaltensforschung.
Ein grandioser Einfall des Films,
die finale Katastrophe im Blick eines schlauen Schülers zu finden, dem
niemand gesagt oder gezeigt hat, was es heißt, Menschen wahrzunehmen geschweige
ihnen zu helfen. Mir liefen die kalten Gräsen den Rücken runter.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist
zuerst erschienen in der: taz
Immer nie am Meer
Österreich 2007 - Regie: Antonin Svoboda - Darsteller: Christoph
Grissemann, Dirk Stermann, Heinz Strunk, Philip Bialkowski, Eva Maria Neubauer,
Markus Hering, Gabriele Heckel, Marion Dimali, Christopher Schärf, Alexander
Rieder - Länge: 88 min. - Start: 4.10.2007
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