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I’m
not there
Überall und nirgendwo: Bob Dylan, wohin man
sieht. Aber Dylan ist nicht Dylan, das Biopic ist kein Biopic, stattdessen die
wundersamste Darsteller- und Namensvermehrung. Dylan ist Marcus Carl Franklin
ist Woody Guthrie ist Robbie Clark ist Heath Ledger ist Jude Quinn ist Cate
Blanchett ist Richard Gere ist Billy the Kid. Dylan ist Ben Wishaw ist Arthur
Rimbaud. Dylan ist jung ist alt ist schwarz ist weiß ist männlich
ist weiblich. Dylan ist immer ein anderer, Todd Haynes, der Regisseur mit dem
Queer- und Gender-Studies-Examen hat ein Leben, eine Identität, einen Superstar
gründlich in seine Einzelteile zerlegt. Dazu läuft im Hintergrund
Dylan-Musik.
Dylan ist omnipräsent in "I'm not there",
aber er ist, nicht nur als Name, sondern auch im Bild abwesend, nur ein paar
Sekunden Echt-Dylan gibt es am Ende, ein fading
out in die Schwarzblende, dann folgt
der Abspann und der ist ellenlang. Todd Haynes betreibt die filmische Lebensbeschreibung
als multiplikatives Verfahren, aus einer geradezu unendlichen Vielzahl von Dylan-Fakten
und Dylan-Anekdoten und Dylan-Mythen und Dylan-Imaginationen filtert er eine
Dylan-Essenz. Aber diese Essenz hat mit einer Substanz, einem Kern, einer Identität
nichts zu tun. Die Dylan-Essenz ist die ständige Transformation oder, um
der Sache den angemessen mythischen Namen zu geben: das Shapeshifting.
Shapeshifter sind Figuren in den Fabeln der Völker,
von denen man nie weiß, in welcher Gestalt sie erscheinen. Sie sind unheimlich,
weil sie wiederkehren, aber mal in dieser, mal in jener Form. So versteht dieser
Film den Musiker Dylan, der seit Jahrzehnten ja nun auch auf seiner neverending tour
nichts anderes tut, als seine totgesungenen Songs zu zersingen, sie jedesmal
so zu singen, als sänge er sie - die jeder kennt, die man kaum mehr erkennt
- das erste Mal. "I'm not there" ist darum der Versuch einer Anverwandlung,
auf vielen Ebenen. Einer Anverwandlung, die den Ehrgeiz hat, mit ihrem ungenannten,
aus dem Hintergrund aber immerzu in den Film hineinsingenden Gegenstand auf
Augenhöhe zu bleiben.
Auch Todd Haynes ist ein Meister des Shapeshifting.
In "Far
From Heaven" hat er zum Beispiel
Douglas Sirk nachgespielt, nicht täuschend echt, denn es gibt, so die tiefe
dekonstruktive Überzeugung von Haynes, kein wahres Leben im täuschend
Echten des Kinos. Die Wahrheit liegt in der Künstlichkeit und darum ist
nichts wahrer als ein künstlicher, ein multiplizierter Dylan, dessen Gestaltwandlungen
der Film sich nun, versessen auf lustvolle Künstlichkeit, selbst anverwandelt.
Darum hat "I'm not there" keinen einheitlichen Stil. Darum ist er
mal in Farbe, mal in Schwarz-Weiß gedreht, mal ein Fake-Documentary, in
dem Julianne Moore als Alice Fabian, die Joan Baez ist und auch nicht, auftritt
und sich erinnert, mal eine leicht surreale Western-Reimagination mit Pat Garrett
und Billy the Kid und Vietnambildern zwischendurch, mal eine David Lyncheske
Zirkusfreaknummer, mal eher Fellini. Du musst immer ein anderer werden, um der
zu sein, der du bist. So versteht Todd Haynes seinen Dylan und wahrscheinlich
versteht er ihn gar nicht falsch. "I'm not there" jedenfalls beweist:
Da haben sich zwei gefunden, die die Erwartungen nur erfüllen, indem sie
sich ihnen immer wieder entziehen.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
I'm
not there
USA
2007 - Regie: Todd Haynes - Darsteller: Christian Bale, Cate Blanchett, Heath
Ledger, Richard Gere, Julianne Moore, Michelle Williams, Ben Whishaw, Charlotte
Gainsbourg, Marcus Carl Franklin, David Cross - FSK: ab 12 - Länge: 135
min. - Start: 28.2.2008
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