zur
startseite
zum
archiv
In
80 Tagen um die Welt
Die
längste Außenwette der Unterhaltungsgeschichte
Jules
Vernes Erzählung von der „Reise um die Erde in 80 Tagen“ gehört wahrscheinlich
zu der Sorte von Romanen, die zwar jeder kennt, die aber doch von niemandem
gelesen werden – oder die doch zumindest nicht mehr sehr häufig gelesen
werden.
Zu
einem gewissen Teil ist das sicherlich ein Zeichen der Zeit: Viele von Vernes
hochfliegenden Träumen, die seine zeitgenössischen Leser bestenfalls
für Science Fiction, schlimmstenfalls für Spinnerei gehalten haben
mögen, sind inzwischen längst Wirklichkeit und, mehr noch, für
uns selbstverständlich geworden. Ob Reise um die Erde oder Reise zum Mond
– beides ist uns jederzeit problemlos möglich, und keines davon dauert
auch nur annähernd 80 Tage.
Es
kann hilfreich sein sich in Erinnerung zu rufen, dass dem nicht immer so war
– und dass unsere uns so selbstverständlich erscheinende Auffassung der
allseits beschworenen Mobilität vergleichsweise jung ist. Im Erscheinungsjahr
von Mike Todds einzigem, mit 5 Oscars ausgezeichneten (ja, hier muss wirklich
ein Komma stehen) Film hatte noch keines Menschen Fuß je den Mond betreten
– und auch von der Weltenbummelei dürfte man 1956 noch etwas andere Vorstellungen
gehabt haben, als das heute der Fall ist. Es ist gut, wenn man das im Gedächtnis
behält, denn es kann durchaus zum besseren Verständnis des Films beitragen.
In gewisser Hinsicht sollte man, das ist mir kürzlich erst bewusst geworden,
„In 80 Tagen um die Welt“ vielleicht auch als die Art virtueller Urlaubsreise
in ferne Länder ansehen, die er vor knapp einem halben Jahrhundert für
manchen Zuschauer gewesen sein dürfte.
Wer
sich diese Sichtweise zu eigen macht, der wird zum Beispiel auch nachvollziehen
können, warum der Blick der Kamera für unsere Sehgewohnheiten oft
viel zu lange auf Ansichten verharrt, die eher Lokalkolorit sind, als dass sie
die Handlung wirklich vorantrieben. Ein gutes Beispiel dafür ist die Szene
in einer kleinen spanischen Bodega, in der ein Tänzer im wahrsten Wortsinn
über Tisch und Bänke geht: Wir haben solche Tanzeinlagen schon tausendfach
gesehen. Das Premierenpublikum mag das etwas anders gesehen haben – wie so vieles
im Film, der streckenweise in erster Linie ein bunter Bilderbogen ist, der nicht
zuletzt die Neugier auf Bilder aus fernen, fremden Ländern befriedigen
zu wollen scheint.
Natürlich
ist „In 80 Tagen um die Welt“ keine Dokumentation. Die Welt im Film ist, wie
es in der Textzeile eines Songs aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts
so schön heißt, „a Barnum and Bailey world“, und tatsächlich
scheint auch der Produzent Mike Todd ein schillernder Charakter gewesen zu sein,
der sich in der Zirkuswelt von Barnum & Bailey auch heimisch gefühlt
haben müsste: „Treten Sie näher“, scheint uns sein Film zuzurufen,
„sehen Sie Menschen, Tiere, Sensationen aus fremden Ländern – sehen Sie
die Wunder der Welt mit eigenen Augen – jetzt und hier!“
Mit
anderen Worten: Der von Todd produzierte Film (Regie führte Michael Anderson)
um Vernes exzentrischen Gentleman Phileas Fogg, der in buchstäblich letzter
Minute doch noch zum Wettkönig wird, war und ist im eigentlichen und besten
Wortsinne ein Spektakel.
Ich
kenne und mag den Film seit den Tagen, in denen man noch darauf vertrauen durfte,
gewisse Filme mit schöner Regelmäßigkeit als festen Baustein
im Feiertagsprogramm der öffentlich-rechtlichen TV-Sender zu entdecken:
Man durfte darauf bauen, zur Nachmittagskaffeezeit entweder Ken Annakins „Die
tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“, Blake Edwards’ „Das
große Rennen rund um die Welt“ oder eben Mike Todds „In 80 Tagen um die
Welt“ serviert zu bekommen. Das Wiedersehen war für mich stets erfreulich,
und deshalb finde ich es natürlich auch erfreulich, dass mittlerweile alle
drei Filme auf DVD erschienen sind. Im Falle von „In 80 Tagen um die Welt“ musste
ich nicht einmal auf einen Import zurückgreifen, da die deutsche Warner-Tochter
den Film kürzlich auch hier zu Lande auf einer fabelhaft ausgestatteten
Doppel-DVD veröffentlich hat.
Der
Kommentar von BBC-Radiosprecher Brian Sibley gehört dabei zum Besten, was
ich seit langer Zeit gehört habe: ohne Unterlass reiht Dampfplauderer Sibley
szenenspezifische Daten und Fakten aneinander und beantwortet, so habe ich das
jedenfalls empfunden, so manche Frage, die ich mir beim Sehen des Films gestellt
habe. Dazu gehört zum Beispiel, dass Sibley den Gesichtern auf der Leinwand
Daten und Werke zuordnet – etwas, das bei einem Film mit einer Unzahl von Cameo-Auftritten
höchst willkommen ist, zumal es Otto Normalzuschauer viel Grübelei
(„Woher kenn’ ich das Gesicht nur?“) und dem Filminteressierten das Nachschlagen
(„In welcher Reihe steht denn heute meine ‚Bibliothek des Internationalen Films’!?)
ersparen kann.
Wenn
Herr Fogg (David Niven) und Diener Passepartout (der mexikanische Komiker „Cantinflas",
eigtl.: Mario Moreno Reyes) zum Ballonflug ansetzen, merkt Sibley z.B. wie selbstverständlich
kurz ein bisschen was zur Geschichte der Ballonfahrt im Allgemeinen an, aber
auch Anekdoten, die sich unmittelbarer mit dem Film und den an seiner Entstehung
Beteiligten beschäftigen, kommen nicht zu kurz. Man merkt: der Mann hat
nicht nur seine Hausaufgaben gemacht und hat etwas zu sagen, sondern weiß
auch, wie er’s am Besten sagt: sehr unterhaltsam, sehr informativ – eben „sehr
BBC“.
Der
Rest der Ausstattung lässt sich m.E. ebenfalls sehen: durch die Vielzahl
von Standbildern und die elf der Schere zum Opfer gefallenen Szenen auf DVD
1 habe ich mich zwar noch nicht gewühlt, aber immerhin habe ich mir bereits
den Großteil des Bonusmaterials auf DVD 2 zu Gemüte geführt,
das ich, unterm Strich, als „kurios, aber nicht uninteressant“ prädikatisieren
würde. Ein weniger als eine Minute langer Wochenschau-Filmschnipsel, in
dem Elizabeth Taylor zu bewundern ist (die, das erfahren wir, zeitweilig mal
eine Mrs. Todd war), ist dabei vielleicht eher kurios als wirklich aussagekräftig.
Auch der rund dreiviertelstündige Zusammenschnitt einer Ausgabe eines TV-Boulevardmagazins
aus den 50ern (“Playhouse 90“) wirft, wie das Gros der DVD-Beigaben, wohl eher
ein Licht auf Produzent Todd als auf sein Werk – aber das ist in meinen Augen
auch insofern nicht verwerflich, als Todd wohl wirklich ein schillernder Charakter
und ein ausgemachtes Schlitzohr gewesen sein muss. Oder um es mit den Worten
eines Zeitzeugen zu sagen: „ein amerikanisches Original“, das auch im Mittelpunkt
der 50-minütigen Dokumentation „Around the world in 80days with Mike Todd“
steht.
Das
Bild des Films ist streckenweise etwas unscharf, die Farben sind hie und da
etwas flau; unterm Strich aber finde ich nichts, was ich wirklich beanstandenswert
fände. Umso weniger, da die Fassung, die ich auf der DVD zu sehen bekommen
habe, um einen Prolog erweitert worden ist, der in der mir aus dem Fernsehen
bekannten Fassung nicht zu sehen gewesen ist. Für mich ein Highlight, zumal
dieser Prolog auch George Melies’ „Reise von der Erde bis zum Mond“ umfasst:
Szenenfotos aus dem kurzen Filmchen von 1902 (die früheste Verfilmung eines
Werkes von Jules Verne) kannte ich zwar, das frühe Filmwerk selbst aber
kannte ich bislang nur in Ausschnitten.
Wenn
mich etwas gestört hat, dann ist es schon eher der miese, an mindestens
einer Stelle ungrammatikalische Ausdruck der deutschen Übersetzung des
Prologs sowie die tonlose Art, in der der deutsche Synchronsprecher seinen Text
zum Vortrag bringt: Ich weiß nicht, wo Warner Brothers Deutschland in
der letzten Zeit ihre Synchronsprecher hernehmen und wer für die Anfertigung
der Texte zuständig ist, die sie herunterleiern, aber ich ahne, dass da
mal wieder wer am falschen Ende spart. Mein Urteil: professionelle Arbeit hinterlässt
bei mir einen anderen Eindruck.
Was
mich außerdem ein bisschen enttäuscht hat, ist das Booklet zur DVD:
ein solches gibt’s nämlich nicht – und im Falle eines Films vom Kaliber
„In 80 Tagen um die Welt“ fällt mir die Fehlanzeige, ausnahmsweise einmal,
wirklich störend auf. Ansonsten finde ich aber wirklich nicht viel, das
zu bekritteln sich wirklich lohnte: Die Doppel-DVD ist manierlich geraten (der
Originalton überzeugt, wie so oft, noch sehr viel mehr als der deutsche
Ton – aber immerhin handelt es sich bei der deutschen Synchronfassung um das
deutsche, mir aus Kindertagen vertraute Original und nicht um eine der unseligen
Warner-typischen Neuvertonungen), bietet allerhand netten, guckenswerten Schnickschnack
rund um den Film und vor allem dessen Regisseur, und allein Brian Sibleys fundierter
Kommentar zum Film ist mir eine 5-Sterne-Kaufempfehlung wert (nein, deutsche
Untertitel dazu gibt’s leider nicht – aber wer über ein halbwegs präsentables
Schulenglisch verfügt, wird trotzdem keine allzu großen Verständnisschwierigkeiten
haben. Wie gesagt: Wir haben’s ja nicht mit irgendwelchem 0815-Genuschel zu
tun, sondern mit einem Vortrag in 1A-BBC-Qualität).
Wer
also das Wiedersehen mit einem liebenswert-altmodischen Komödien-Klassiker
erneuern möchte, muss jetzt nicht mehr auf den nächsten Feiertag warten,
sondern darf zur Doppel-DVD aus dem Hause Warner greifen.
Die
besticht, finde ich, im Vergleich mit so mancher TV-Ausstrahlung übrigens
noch durch ein paar andere Mehrwerte: Zum einen bietet die DVD auch das "entr'
acte" genannte musikalische Intermezzo (eine Art musikalischer Pausenfüller,
der bei Filmen mit Überlänge noch bis in die 60er Jahre hinein weit
verbreitet war), zum anderen natürlich auch den kompletten Abspann, der
hier besonders sehenswert ist, da für die Gestaltung der "End Credits"
von „In 80 Tagen um die Welt“ der legendäre Saul Bass verantwortlich zeichnete.
„Gemeinwesen“
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
In
80 Tagen um die Welt
(1956)
AROUND
THE WORLD IN 80 DAYS
USA
- 1956 - 178 (gek. 143) min. - Scope
Literaturverfilmung, Abenteuerfilm
FSK:
ab
6; feiertagsfrei
Prädikat:
besonders
wertvoll
Verleih:
United
Artists (auch 70mm)
Warner
Home (Video)
Erstaufführung:
4.10.1957/22.7.1966
Kino DDR/10./11.6.1973 ARD/8.11.1975 DFF
Produktion:
Michael
Todd
Regie:
Michael
Anderson
Buch:
S.J.
Perelman
John
Farrow (ungenannt)
James
Poe (ungenannt)
Vorlage:
nach
dem Roman von Jules Verne
Kamera:
Lionel
Lindon
Musik:
Victor
Young
Schnitt:
Gene
Ruggiero
Paul
Weatherwax
Special
Effects:
Lee
Zavitz
Darsteller:
David
Niven (Phileas Fogg)
Cantinflas
(Passepartout)
Robert
Newton (Inspektor Fix)
Shirley
MacLaine (Prinzessin Aouda)
Trevor
Howard (Falletin)
Charles
Boyer (Monsieur Gasse)
Marlene
Dietrich (Barbesitzerin)
Fernandel
(Droschkenkutscher)
Buster
Keaton (Schaffner)
Peter
Lorre (Japanischer Steward)
Frank
Sinatra (Klavierspieler)
John
Carradine (Oberst Proctor)
Red
Skelton (Betrunkener)
zur
startseite
zum
archiv