zur startseite
zum archiv
Indiana
Jones und das Königreich des Kristallschädels
Rückkehr
der alten Männer
Die Literaturverfilmung "Stadt der
Blinden" eröffnete die 61. Internationalen Filmfestspiele von Cannes.
Das eigentliche Ereignis ist der vierte Teil von "Indiana Jones"
Wo auch immer man in diesen Kinozeiten
hinschaut, man kann ihnen nicht entkommen, den zornigen alten Männern am
Rande der Erschöpfung: Bruce Willis stirbt noch einmal langsam, Sylvester
Stallone steigt als Rocky abermals in den Ring, auch als John Rambo wird er
demnächst wieder seine Blutspur ziehen, vielleicht weil man ihn aus der
Ruhe seines asiatischen Walden vertrieben hat, wahrscheinlicher weil er Ruhe
sowieso nie gefunden hat. Selbst Steven Seagal und Jean-Claude Van Damme schießen
und prügeln weiter, und ihre Filme werden merkwürdigerweise umso authentischer,
je schmutziger und leerer sie werden. Nur Kurt Russell, der es verdientermaßen
zum Tarantino-Helden gebracht hat, schlägt noch aus dem Alt-und-erschöpft-Sein
die Action-Funken des rebel
hero.
Mit großem Getöse feiert nun
auch in Cannes einer der Letzten dieses ewig erzürnten Männerkinos
seine Wiederkehr: Dr. Henry Jones jr. alias Indiana Jones alias Indy. Wir wissen
fast alles über ihn. Dass er 1899 in New Jersey geboren wurde, als Sohn
von Dr. Henry Jones sr., der aussieht wie Sean Connery und durch sein kühles
Wesen dem Jungen das eine oder andere kleine Seelenproblem bescherte. Früh
ist er mit seinen Eltern auf Weltreisen gegangen, Abenteuer hat er schon als
Pfadfinder erlebt. In den dreißiger Jahren lehrte Dr. Jones Archäologie
und ging nebenbei auf Schatzsuche. Während er kultische und okkulte Dinge
suchte, den Heiligen Gral oder die Bundeslade, hatte er es mit chinesischen
Gangstern, mit Femmes fatales, Banditen, fanatischen Sekten und Nazis zu tun
– und nun, im vierten Teil, sind es russische Soldaten und urtümliche Krieger.
Wir kennen seine Markenzeichen, die Lederjacke, den Fedora-Hut und die Peitsche.
Wir wissen, dass er unter einer Schlangenphobie leidet, seit er als Junge in
einen Zirkuswagen voller Nattern fiel. Dass er mit Frauen kein Glück hat
und dass er auch beim Schatzsuchen am Ende
meistens ohne das begehrte Objekt dasteht.
Indiana Jones ist ein nostalgischer Held
mit einem Hauch von pulp
noir. Das heißt,
im Vergleich zu einer Comicfigur hat dieser Charakter, der den auf holzhaltigem
Papier (pulp) gedruckten Comics der vierziger Jahre entsprungen scheint, ein
komplizierteres Innenleben und seine dunklen Seiten. Dauernd macht er Fehler;
er wird verletzt, er gerät in Situationen, in denen er hilflos wirkt, er
bekommt seinen Zorn nicht in den Griff und manchmal auch nicht seine Gier nach
den magischen Schätzen; ohne unverschämtes Glück wäre Indiana
Jones schon lange hinüber.
Vor allem aber ist Indy einer der letzten
großen infantilen Helden, ein ewig suchendes Kind. Dr. Jones muss sich
in Indiana Jones verwandeln, weil er einerseits in seiner bürgerlichen
Existenz vor Langeweile umkommt, andererseits aber weil er unter dem Peter-Pan-Bewusstsein
seines Schöpfers Steven Spielberg leidet: Kindbleiben und Erwachsenwerden
sind gleich unmöglich. Oft bringt ihn ein infantiler Schub in eine moralische
Situation, die nur ein Erwachsener lösen kann, und umgekehrt. Auf der Tiefenebene
der Filme und ganz und gar magisch-spielbergianisch ist er wohl auf der Suche
nach einem Vater.
Die
Aufgabe: Vater werden und doch Kind bleiben
Auch Religionen spielen dabei eine Rolle;
wie seinen Papa, so sucht Indiana Jones offensichtlich auch eine religiöse
Identität, die er nicht in einer Idee oder einem Glauben, sondern in einem
»mächtigen Ding« vermutet, das Jüdische (im ersten Film:
Raiders of the Lost Ark), das Hinduistische (im zweiten Film:
Indiana Jones and the Temple
of Doom), das Christliche
(im dritten:
Indiana
Jones and the Last Crusade),
nun im vierten Film der Serie (Indiana
Jones and the Kingdom of the Crystal Skull)
eine Mayalegende oder esoterische Mystifikation. Auf jeden Fall geht es wieder
um nichts weniger, als herauszufinden, wo die Menschen herkommen, ob aus der
Macht der Götter oder aus dem Urschlamm der Geschichte. Vielleicht treibt
sich Indiana Jones im Grenzgebiet zwischen Familienroman und Kosmologie herum,
weil er genau das nicht herausgefunden hat.
Aber weil er die spirituelle Seite seiner
Suche negiert, droht Indiana Jones immer wieder Werkzeug des Bösen zu werden.
Man könnte sagen: Weil er die Erleuchtung verpasst, wird er Opfer des Fundamentalismus
jeder Religion. Let it
go ist die große
Lektion, die der Vater ihm erteilt im dritten Teil; im neuen Film erleben wir
nun einen Indiana Jones, der older and wiser geworden ist. Er selber nun muss in die
Vaterrolle hinein, nicht nur als Lehrer, sondern auch für die beiden Begleiter,
seinen vermutlichen Sohn (Shia LaBeouf), den er vor Zynismus, und Mac (Ray Winstone),
den er vor Gier bewahren muss.
Es scheint durchaus symptomatisch, dass
Indiana Jones von George Lucas als Produzent und Steven Spielberg als Regisseur
bei einem gemeinsamen Strandurlaub auf Hawaii entwickelt wurde; den Einfluss
von Hitze, Lärm und exotischen Drinks auf die universale Jungsfantasie
kann man immer noch spüren. Und auch wenn sich die beiden stets große
Drehbuchautoren für die Raffinessen der Plots holten: Die Grundlagen stammen
immer von Lucas selber, dem Mogul des neuen Hollywood, bekannt durch sein Star
Wars-Imperium und seine Firma Industrial Light & Magic, und von Spielberg,
den man auch den »Midas von Hollywood« genannt hat, obwohl nicht
wirklich alles zu Gold geworden ist, was er angefasst hat.
Indiana Jones entsteht also immer wieder
neu am Schnittpunkt zweier gewaltiger mythopoetischer Systeme, die das Hollywood-
und damit das Weltkino lange Zeit dominierten. Das Spielberg-System ist liberal,
humanistisch, familiär und neurotisch. Das Lucas-System hingegen alttestamentarisch,
heroisch, imperial und paranoisch. Dass beide Systeme nicht vollständig
ineinander aufgehen, macht vielleicht das Reizvolle der Figur aus. Beide Erzählsysteme
aber, auch das muss man sagen, nähern sich ihrem Ende. Sie sind auf mehr
oder weniger entspannte Weise auserzählt, sie wurden mehr oder weniger
selbstironisch aufgelöst. 2009, so verkündet Lucas, beginne endgültig
das Zeitalter des digitalen Kinos. Indiana
Jones and the Kingdom of the Crystal Skull
ist aber noch einmal gespielt, gebaut, verkörpert. Es ähnelt mehr
den Kulissen eines Disneylands als dem Computerspiel. Dieses Altmodische, Handgemachte,
Verschwitzte des Films ist sein stärkstes Werbeargument. Diese Art von
Kino, scheint jede Einstellung zu sagen, wird es bald nicht mehr geben.
Letztlich ist der vierte Indiana-Jones-Film
eine Erzählversammlung alter Kerle, die wissen, dass ihre Zeit bald vorbei
ist, aber noch einmal Mordsspaß haben. Darunter ist natürlich der
Star des Unternehmens, der Schauspieler Harrison Ford, Darsteller von Indy und
mürrischster Kerl Hollywoods. Oft sieht er aus wie einer, der durch die
Filmerei bei seiner Lieblingsbeschäftigung gestört wird (Fliegerei
und Umweltschutz). 2001 stand Harrison Ford als reichster Schauspieler der Welt
im Guinness Buch der Rekorde.
Erschöpfung
und Wut sind die Schlüssel zu Indiana Jones
Über sein schauspielerisches Vermögen
gehen die Meinungen auseinander. Aber er kann nicht nur mürrisch, grimmig,
sarkastisch gucken. Manchmal kann man in seinen Augen das große Staunen
eines Kindes über den Wahnsinn der Welt sehen, manchmal die (jedes Mal
schnell enttäuschte) Hoffnung auf ein großes Glück (wie auf
ein Stück Apfeltorte). Erschöpft sein, erzürnt in der Müdigkeit,
ermattet im Zorn, das sind Harrison Fords schauspielerische Schlüssel.
Wenn man Indiana Jones durch Ford statt durch Lucas und Spielberg versteht,
muss man ihn von Zorn und Erschöpfung her sehen. Vielleicht ist das ewig
suchende Kind immer auch schon der Mann, der sich selbst und die Welt knapp
verpasst hat.
Ist es nicht merkwürdig, dass dieses
Kino seine Körperlichkeit mit zynisch-zornigen alten Männern rettet,
während gleich nebenan in Filmen wie Speed
Racer der Körper
nur noch in Form des digital erträumten Rennwagen-Boliden vorkommen darf?
Wo alles möglich ist, weil es ohnehin aus dem Computer oder dem Kosmetiksalon
kommt, ist jeder noch so sensationelle Effekt und jede perfekte Erscheinung
auch irgendwie einerlei – und deshalb das, was ein echter, unperfekter, alternder
Körper trotz allem schafft, eine Sensation für sich.
Etwas Ähnliches gab es schon einmal,
in den siebziger Jahren, als wir im amerikanischen Kino par
excellence, dem Western,
alten zornigen Männern bei den Mühen zusahen, die ihnen das Besteigen
eines Pferdes machte. Auch damals waren die Jungen mehrfach verschwunden – in
einem Krieg, den nachher niemand gewollt haben mochte, in den künstlichen
Paradiesen der Popkultur und in den Fallen eines radikalen sozialen Umbaus.
Die jungen Männer im Kino von heute
sind nicht zornig, sondern allenfalls auf eine möglichst coole Art verzweifelt.
Sie sind, direkt oder indirekt, von der Stimmung nach dem 11. September, vom
Irakkrieg, von der Immobilienkrise gezeichnet, sie sind Autodiebe, Dealer, Gangster
oder Cops im Korruptions-Diskurs, sie sind Mittelständler auf der Flucht
in die Familie. Bei Tom Cruise oder Brad Pitt konnten wir dem jugendlichen Gewinnergrinsen
zuschauen. Der nächsten Generation ist das Grinsen vollkommen vergangen.
Und wo auch immer diese jungen Männer sich befinden: Verlässliche,
körperliche Wirklichkeit scheint ihnen abhandenzukommen; selbst da, wo
sie nicht schon zu Pixelmonstern mutiert sind oder in Konkurrenz mit Maschinenwesen
leben. Ihr Körper, wenn es ihn denn vor lauter Oberfläche noch gibt,
weiß nicht, wohin. Vielleicht wissen aber auch wir nicht mehr so richtig,
was Jugend ist. Das Alter bleibt hingegen immer sichtbar. Ein merkwürdiger
Trost angesichts merkwürdiger Männer-Bilder im Kino.
Indiana Jones and The Kingdom of the
Crystal Skull, diese kinematografische
Erzählversammlung alter Männer, ist vielleicht nicht gerade weltbewegendes
Kino, ungeachtet der hundertundfünfzig Millionen, die die Herren dabei
verpulvert haben. Aber, hey! Waren das nicht tolle Zeiten? Als uns ewig infantile
Vatersucher vor dem Erwachsensein retteten und die großen Aufschneidergeschichten
noch geholfen haben.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Die Zeit vom 15.05.2008
Indiana
Jones und das Königreich des Kristallschädels
USA
2008 - Originaltitel: Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull - Regie:
Steven Spielberg - Darsteller: Harrison Ford, Shia LaBeouf, Cate Blanchett,
Karen Allen, Ray Winstone, John Hurt, Jim Broadbent - FSK: ab 12 - Länge:
122 min. - Start: 22.5.2008
zur startseite
zum archiv