zur startseite
zum archiv
Indiana Jones und der letzte Kreuzzug
Einfach war das wohl nicht, den
Effektorgien der Comic-strip-Reisen in den beiden ersten INDIANA JONES-Filmen
etwas folgen zu lassen, das zugleich verläßlich den von den Fans
erwarteten Stoff liefert, noch ein bißchen mehr von allem, wenn's geht,
und doch auch ein bißchen anders ist. Lucas und Spielberg haben sich dafür
einige Tricks einfallen lassen, von denen manche mehr als bloße Tricks
sind. Es ist ihnen gelungen. Dabei scheint der dritte Teil der Trilogie zunächst
nicht viel mehr zu bieten als eine mit enormem technischem Aufwand und, zugegeben,
inszenatorischer Verve vorgenommene Neufassung der trivialen Wonnen aus dem
golden age der amerikanischen popular culture. Comics, Pulp Magazines, Serials,
B-Movies: Quer durch die Genres, mit einer schier unglaublichen Anhäufung
von Attraktionen, Gefahren und Gadgets liefern die INDIANA JONES-Filme Phantastik,
Liebe, Komik, Technik, Magie, Nostalgie, Sentiment und Sinnentaumel und das
unter einem Begriff, der selber vom nostalgischen Glanz vergangener Welterfahrung
zeugt: Abenteuer.
Die INDIANA JONES-Filme sind der
vorläufige Endpunkt in der ökonomischen Entwicklung der Traumfabrik:
Filme, die tatsächlich dazu tendieren, alle anderen Filme überflüssig
zu machen. Wenn also der dritte Teil in seiner heißen Verwertungsphase
sozusagen die Hälfte aller Kinobesucher in den USA anzieht, ist er nicht
nur Ausdruck der wirtschaftlichen Möglichkeiten Hollywoods, sondern auch
seiner Krankheit. Immer weniger Filme spielen immer mehr Geld ein und produzieren
dabei immer mehr Flops. Und weil in einem INDIANA JONES soviel Kino steckt wie
in zwanzig anderen Filmen, zieht er auch soviel „Kinoleidenschaft" an sich,
entwertet er soviel an „Filmsprache" und Mythos, daß er indirekt
das Kino selber angreift. Auf dem Weg zum semiotischen Monopol ruiniert unser
Held sein Medium.
Wenn man INDIANA JONES AND THE
LAST CRUSADE als „besten" Film der Trilogie bezeichnet, darf man nicht
vergessen, daß dieses Urteil zugleich etwas Positives und etwas Negatives
bedeutet. Und wenn ich mich nicht irre, so hat zumindest Spielberg die Gefahr
wenigstens erahnt, die seine Perfektion für sein Medium bedeutet: In diesem
Film scheint er stets vor den sich abzeichnenden „endgültigen" Effekten
zurückzuschrecken, er scheint jenem Hexenmeister zu gleichen, der durch
seine Tricks dem Publikum mitteilt: „Ich könnte, wenn ich wollte ...",
und er scheint zu erkennen, daß es auch beim gegenwärtigen Stand
der Kommunikationsmittel einen Punkt geben muß, an dem die Technik allein
imstande ist, die Naivität aufzufressen. So mußte er sich retten,
und er tat es auf die ihm eigene Weise, indem er zur Feier des ewigen amerikanischen
Kindmannes nun indirekter, auf Umwegen, über Brechungen gelangt.
In INDIANA JONES AND THE LAST
CRUSADF findet Spielberg drei Fluchtpunkte: Er injiziert noch mehr Ironie als
vordem, er exploriert seine Figur ein wenig (ohne sie wirklich zu „erklären"),
und er entmischt die ästhetischen Zutaten: Statt immer alles in einem liefert
er nun ein Nach-und-nach, so daß der Zuschauer zu erkennen weiß,
wann man sich in einem Western befindet, wann in einem Kriegsfilm, wann in einem
Kolonial- und wann in einem Märchenfilm. Wie Spielberg selber, so ist nun
auch der Zuschauer in der Lage, souveräner über das Material zu verfügen.
Auch jetzt ist immer was los (und immer sehr viel mehr als nur eine Sache),
ja, die Ineinanderschachtelung von Gefahrenmornenten ist vielleicht noch überdrehter
als in den ersten beiden Teilen, aber der Zuschauer ist nun sehr viel mehr Komplize
als Opfer. Und er beginnt, sich mehr für die Person von Dr. Jones zu interessieren
als für die technische Seite seiner Schatzsuche. Diese neue Anteilnahme
baut Spielberg langsam und sicher auf (sie ist nicht weniger synthetisch als
alle anderen Elemente der Filme): Im ersten Teil sehen wir River Phoenix als
kindlichen Indiana Jones, der bereits mit seinen ewigen Widersachern um die
archäologischen Schätze kämpft. Beiläufig erfahren wir dabei
etwas über die Herkunft von Indiana Jones' Hut, seiner Peitsche, seiner
Angst vor Schlangen und seinem Namen. Und dann lernen wir seinen Vater kennen,
einen introvertierten Wissenschaftler, der offensichtlich nicht allzu großes
Interesse an den Abenteuern seines Sohnes hat. Seine ganze Leidenschaft gilt
dem Heiligen Gral, und die Suche nach diesem Schatz aller Schätze (der
obendrein ewige Jugend verspricht) wird Vater und Sohn wieder zusammenführen.
Daß man für die Rolle des Vaters Sean Connery ausgewählt hat,
war ein genialer Schachzug: Einmal abgesehen davon, daß dieser Schauspieler
ja schon immer Selbstironie ins Spiel zu bringen wußte, ohne seine Helden
wirklich preiszugeben, daß sein Spiel die Aura des Films merklich vom
Comic Strip absetzt, begegnen sich hier auch zwei Heldenkonzeptionen: die souveräne
Lakonie der siebziger Jahre und die hyperaktive Zielstrebigkeit der achtziger
Jahre.
Freilich wäre dieser Film
nicht von Spielberg, wenn die Vater Sohn-Geschichte nicht auch tief in die amerikanische
Seele reichen würde. Harrison Ford scheint zunächst der typische amerikanische
Junge, der seinem Vater vorwirft, nicht genug mit ihm gesprochen, ihn nicht
genügend beachtet zu haben. Die Umkehrung des Klischees (das natürlich
mehr ist als ein Klischee) beginnt, als in der Kabine des Zeppelins Vater und
Sohn endlich zu einem Gespräch kommen. Jetzt könne er ja reden, wenn
er etwas auf dem Herzen habe, meint Jones sr., und dem „Junior", der regelmäßig
aus der Haut fährt, wenn der Vater ihn so nennt, fällt nichts ein.
Diese Vater/Sohn-Beziehung, von deren Mangel die amerikanische Popularkultur
so angelegentlich phantasiert, erweist sich als Schimäre: der Vater hat
Indy statt dessen die Freiheit als Geschenk gemacht. Aber natürlich glaubt
Spielberg an diese einfache Tröstung selber nicht, und so muß, bevor im letzten Drittel der Kampf
gegen die Nazis und die übernatürlichen Kräfte des Heiligen Grals
aufgenommen wird, der Vater doch noch einen Akt moralischer Erziehung vollführen.
Daß Jones sr. und Jones jr. mit derselben Frau geschlafen haben (und beide
von ihr getäuscht werden), ist wiederum Anlaß der Erkenntnis der
jeweiligen Souveränität. In INDIANA JONES UND DER LETZTE KREUZZUG
hat unser Held, mehr oder minder endgültig, Ödipus besiegt.
Indem er eine Familiengeschichte
konstruiert und die Entwicklung seines Helden wenigstens andeutet, führt
Spielberg ein Element ein, das in den beiden ersten Teilen fehlte: Epik. Spielberg
gibt nun, von den üblichen Villains einmal abgesehen, auch Nebenfiguren
Gelegenheit zur Profilierung; Denholm Elliott als Kurator und Kollege von Indiana
Jones gibt die dritte, komische Variante der Wissenschaftlers als Abenteurer,
nur Alison Doody, zuerst Heldin, dann Widersacherin Jones', bleibt ein Papier-Charakter.
(Überhaupt ist ja dieser INDIANA JONES näher an ROGER RABBIT als am
klassischen Abenteuerfilm.)
Aber im Grunde genommen geht es
doch vor allem wieder um Indys Kampf gegen alles, was Angst macht: Ratten, Schlangen,
Nazischergen, Abgründe, Geschwindigkeiten, Panzer, Messer, Fallen und Höhlen.
Und es geht um Schauplätze: Venedig, Wien, Monument Valley, die Wüste
von New Mexico. So perfekt hat Spielberg nie vordem Komik, Phantastik und Aktion
miteinander und mit den Schauwerten seiner Produktion verknüpft; er beeindruckt
uns, um uns im Augenblick darauf über diese Beeindruckung grinsen zu lassen,
und so wie die Topographie der INDIANA JONES-Filme ganz und gar einer Jahrmarktswelt
entspricht, welche die Angstlust in der Aufhebung „normaler" Beziehungen
zwischen Geschwindigkeit, Entfernungen, Bewegungsrichtungen und Größenverhältnissen
erleben läßt, so schickt er uns auch emotional auf eine Art Achterbahn
mit gewaltigen, schnellen Berg- und Talfahrten. Aber er will uns keinen Augenblick
weismachen, daß es irgendeinen Bezugspunkt außerhalb des Jahrmarkts/Kinos
gibt.
Unter tausend Gefahren hat Indy,
während in Berlin die Flammen der Bücherverbrennung lodern, das Buch
mit den Aufzeichnungen seines Vaters seinen Gegnern abgejagt. Dann drängt
ihn, der eine Naziuniform angelegt hat, die fanatische Menge auf den Platz,
und plötzlich steht unser Held vor Hitler. Der entreißt ihm das Buch
und sieht ihn „durchdringend" an. Wird er das Buch in die Flammen werfen?
Wird er erkennen, daß sein Gegenüber des Deutschen nicht mächtig
ist? Nach gerade so viel Sekunden wie nötig, um uns in die entsprechende
Spannung zu versetzen, zückt Adolf Hitler seinen Bleistift, verewigt seinen
Namen im Buch und reicht es selbstgefällig Indy zurück. Das ist eine
sehr komische Szene, gewiß. Der dümmste Kurzschluß zwischen
Weltgeschichte, Pathologie und Showbusiness. Es ist aber auch, in der grenzenlosen
Selbstähnlichkeit des INDIANA JONES-Universums, Exemplifizierung einer
Methode. Für das Drama wird eine ungeheure Fallhöhe zur Ironie hin
konstruiert; scheinen die Gefahren noch ernst, die Befreiungen daraus sind es
nicht. Dieses strategische Mißverhältnis zwischen Konflikt und Lösung
(das es auch in der Form eines Umschlags ins Magische gibt) hat für die
Wahrnehmung einen merkwürdigen Nebeneffekt: Die Identifizierung im Augenblick
der Gefahr wird stets düpiert. Wir können und sollen unserem Helden
nicht mehr helfen, indem wir unsere Emotionen auf ihn übertragen. Wir lernen
ihn zwar ein wenig besser kennen, rnerken vor allem im Zusammenspiel mit seinem
Vater, wie gestreßt, wie vielleicht sogar unglücklich unser Held
ist. Aber die Magie zwischen ihm da oben auf der Leinwand und uns da unten im
Kino hat sich verändert. Einst folgten wir unseren Helden, bedingungslos.
Indiana Jones dagegen ist nur ein Ferment in einer Welt, die als semiotischer
Selbstbedienungsladen funktioniert. Spielberg zeigt überdeutlich, was wir
in dieser Welt sind: Konsumenten. Und, sehr amerikanisch, nimmt er uns als Konsumenten
ernst. Er gibt uns alles, was wir uns erhoffen können, läßt
uns durch prall gefüllte Regale schreiten, hier die Wunder, dort die Geheimnisse,
hier das Drama, dort die Schauplätze: Wie im Supermarkt sehen wir vor allem
die Verpackungen, die ja schließlich die „Kunst" der Ware sind. Sie
müssen stets die Balance finden zwischen der schnellen Verständlichkeit
der Zeichen und dem Versprechen einer
,.Tiefe", die unseren Blick fesseln soll.
Spielberg hat den alten Konflikt, Filme als Ware oder als Kunst, in eine neue
Dimension gebracht: Ihre Kunst besteht in der Kommentierung ihrer Warenhaftigkeit,
und diese Warenhaftigkeit besteht in nichts anderem als dem Selbst-Bewußtsein
der Kunst. Das „Neue" dabei liegt nicht daran, daß der Film eine
Ware ist (als wäre er das je nicht gewesen), sondern in der Art, wie er
die Welt so lange in Einzelteile zerlegt, bis sie alle als Ware darzustellen
sind. Jeder Schauplatz wird zugleich so reduziert und so überdramatisiert,
daß er als Werbung funktioniert. Wahrnehmung selbst muß bis zur
Warentauglichkeit jeden Blickes verändert werden, und Spielberg macht das
auf die freundlichste Art. Er zeigt, daß man sogar in einer Warenwelt
der Medien-Partikel daheim und souverän sein kann. Das ist in Ordnung so,
es muß so sein, so ist unsere Welt.
Aber es ersetzt keinen Film. Nicht
wirklich.
Georg Seeßlen
Dieser Text
ist zuerst erschienen in: epd Film 9/89
Indiana Jones und der letzte Kreuzzug
zur startseite
zum archiv