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Indien
Der
feiste, rede- und denkfaule Kleinbürger Heinzi Bösel (Josef Hader)
und der geschwätzige, zwar viel denkende, aber meist nicht zu Ergebnissen
kommende yuppiehafte Zweckoptimist Kurt Fellner (Alfred Dorfer) sind Beamte
im österreichischen Staatsdienst. Sie sind zur Zusammenarbeit verdonnert
(„Das wird ja eine schöne Dienstreise“), um in der Provinz Gaststätten
und Hotels auf deren Qualität hin zu kontrollieren. Zunächst hegen
die beiden so unterschiedlichen „Typen“ einen starken Groll gegeneinander, aber
unterwegs „on the Dienstreise-Road“ entwickelt sich eine wahre Freundschaft
zwischen ihnen.
Nach
dem gleichnamigen, u.a. mit großem Erfolg am Düsseldorfer Schauspielhaus
gezeigten Theaterstück von Alfred Dorfer und Josef Hader ist ein österreichisches
Heimat-Roadmovie entstanden, das in den Kinos leider nur in einer geschönten
OmU-Fassung gezeigt wurde, so dass dem Nicht-Österreicher wesentliche Passagen
durch die Sprachverständnis-Lappen gingen.
Heinzi
Bösel sitzt in einem alten, klapprigen, in einen Müllhaufen verwandelten
Ford und zischt sich ein „Gösser“ aus der Dose (für Austria-Verhältnisse
ganz ordentliches steirisches Bier), beißt in eine Wurstsemmel und zündet
sich, das möglichst gleichzeitig, eine Zigarette an.
Ein
feister Kerl, Typ gescheiterter Handelsvertreter und Alkoholiker. Wie sich herausstellt,
ist Heinzi Bösel in der Tat ein „Reisender“, aber in staatlichem Auftrag:
Er kontrolliert das Hotel- und Gaststättengewerbe in der niederösterreichischen
Provinz.
Zu
ihm in die Klapperkiste steigt ein adrett geschniegelter Yuppie, Kurt Fellner.
Braves Outfit mit Jackett und Krawatte, aber sonst alles andere als kleinbürgerlich:
Ein Öko-Körnerliebhaber, der als erstes den Wagen entmistet und anschließend
seinem Kollegen beizubringen versucht, die leeren Bierdosen nicht einfach aus
dem Autofenster zu werfen.
Während
Heinzi dauernd von Frauengeschichten, Fernsehsendungen und seinem Schäferhund
daheim redet, versucht Kurt verzweifelt, ihm Manieren beizubringen, auch was
dessen Ausdrucksweise betrifft. Zwecks Massierung der letzten verbliebenen grauen
Zellen nervt er Heinzi mit einem Kartenspiel, das Brockhaus-Wissen abfragt,
und zwar auch noch die unsinnigsten Fakten.
On
the road. Von
Kaff zu Kaff tingeln die beiden, immer den Fragebogen des Ministeriums unterm
Arm. Da geht es um Frischeprodukte in der Küche, um das Funktionieren von
Bad und Dusche in den Fremdenzimmnern und um irgendwelche Halterungen für
ältere Gäste in der Sauna, doch die gibt’s auf dem platten Lande gar
nicht.
Bei
der Kontrolle der Speisekarte verliert die Probe aufs kulinarische Exempel zunehmend
den (Nähr-)Wert: Heinzi stopft sich ein Wiener Schnitzel nach dem anderen
in seinen Wanst, während sich Kurt nur mit „Grünzeug“ begnügt.
Da
wird ein Blick hinter die Kulissen notwendig, und wenn sich die Wildragout-Dosen
im Abfallbehälter stapeln, dann wird die Bestechungsration an Grünem
Veltliner gleich in Zwei-Liter-Flaschen fällig. Wobei der Ford rasch zum
fahrenden Weinlager mutiert, denn von Frischeküche kann im Umland der Hauptstadt
Wien keine Rede sein. Und so wird man als staatlich bestellter Kontrolleur automatisch
zum Alkoholiker an langweiligen Abenden in verschlafenen Dorfpensionen...
In
so einer Nacht, und dies ist eine von den tollen, das Kabarettistische weit
hinter sich lassenden Szenen des Films, kommen sich die beiden so gegensätzlichen
Charaktere näher. Gekracht hat es naturgemäß schon häufiger:
Kurt kann die riskante Fahrweise von Heinzi nicht ertragen und dessen mit Fäkalwörtern
gespickten Sprüche ebenso wenig wie das Fast-Food-In-Sich-Hinein-Stopfen
im Ford.
Als
die beiden nach einer solchen „Todesfahrt“ ’mal wieder auf irgendeinem Acker
landen, platzt Kurt endgültig der Kragen und er steigt aus, droht gar mit
einem Bericht an die vorgesetzte Behörde. Ein heftiger Gewitterregen schweißt
beide jedoch wieder zusammen, der Alkohol in einer öden Gasthauspension
tut ein Übriges – es wird tränenreich Bruderschaft gefeiert.
Aber
der Anlaß dazu ist tragikomisch: Heinzi berichtet, dass er gleich sein
erstes „Verhältnis“ geheiratet hat, aus Pflichtgefühl, dabei stamme
das dann zur Welt gekommene Kind gar nicht von ihm. Und ohne den Deutschen Schäferhund
halte er das Familienleben gar nicht mehr aus.
Kurt
andererseits, der stets eine Cassette mit indischer Musik bei sich trägt
und kenntnisreich vom fernen Osten plaudert, offenbart, dass er nach der Matura
(Abitur) von der Schule gleich ins Ministerium gewechselt ist, „sein“ Indien
also nur in der Phantasie besteht.
Im
Gang vor dem einzigen Klo der Pension kommen sich die beiden auf groteske, schließlich
aber um so herzliche Weise näher: Der dicke Heinzi kann sein „Geschäft“
nicht verrichten, weil er Kurt vor der Toilettentür weiß, welchen
ein ebenso dringendes menschliches Bedürfnis aus der Gaststube getrieben
hat.
Danach
lassen sich die gemeinsamen Überlandfahrten besser ertragen. Statt im Walkman
läuft die indische Musik nun im Auto-Recorder, Kurt greift auch ’mal zum
Gösser-Sixpack wie Heinzi zur Cappi-Saftdose und beide schmieden sogar
Pläne für einen gemeinsamen Urlaub.
Da
passierts: An einem schönen Sonnenaufgangsmorgen tanzen beide auf einer
Wiese, albern herum, Heinzi scheucht Kurt auf einen Leitungsmast – und der fasst
sich schmerzverzerrt an den Unterleib. Da die Klinikärzte mit der Wahrheit
nicht herausrücken, besticht Heinzi eine Krankenschwester mit Krapfen,
schlüpft in einen Arztkittel und erfährt auf dem Personalklo des AKH
(Wiens größtes Krankenhaus), dass Kurt unheilbar an Hodenkrebs erkrankt
ist. Nur noch zwei Wochen blieben ihm zum Leben.
Auf
einen Schlag hat sich Heinzi Bösels Leben verändert. Er besucht seinen
Kumpel fast täglich in der Klinik, liest ihm jeden Wunsch von den Lippen
ab, lässt Kurt stets beim Kartenspiel gewinnen und bringt ihm die geliebte
Heimorgel ans Bett.
Heinzi,
der Kurt in dessen Todesstunde im Bett nach draußen in den Park des AKH
rollt, damit er noch einmal die Rax, den Hausberg der Wiener, erblicken kann,
ist ein anderer Mensch geworden, auch wenn er, im Gegensatz zu den Indern, nicht
an eine Wiederauferstehung nach dem Tode in einem anderen Körper glaubt...
„Indien“,
dessen märchenhaft-sentimentale Schlussvolte hier nicht verraten wird,
ist mehr als „nur“ ein österreichischer Heimatfilm im Gewand des road movie.
Es ist ein Film über eine ungewöhnliche Freundschaft zweier grundverschiedener
Männer, die Regisseur Paul Harather mit für das Austria-Kino bekannten
abgrundtief-schwarzhumorigen Szenen anreichert.
Pitt
Herrmann
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Indien
INDIEN
Österreich
- 1993 - 90 min. - Literaturverfilmung, Komödie - FSK: ab 6; feiertagsfrei
- Prädikat: wertvoll - Verleih: Sputnik, Arthaus (Video) - Erstaufführung:
26.1.1995/4.9.1995 Video - Fd-Nummer: 31157 - Produktionsfirma: DOR FILM/Österreichisches
Filminstitut/ORF
Produktion:
Milan Dor, Danny Krausz
Regie:
Paul Harather
Buch:
Paul Harather, Josef Hader
Vorlage:
nach dem gleichnamigen Theaterstück von Josef Hader und Alfred Dorfer
Kamera:
Hans Selikovsky
Musik:
Ulrich Sinn
Schnitt:
Andreas Kopriva
Darsteller:
Alfred
Dorfer (Kurt Fellner)
Josef
Hader (Heinzi Bösel)
Maria
Hofstätter (Kirchnerwirtin)
Roger
Murbach (Kirchbergwirt)
Proschat
Madani (Krankenschwester)
Ranjeet
Singh (Inder)
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