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Inland Empire
Sublimer
Schmarrn
David Lynchs Filme liefern sich,
je rätselhafter sie scheinen, den tiefsinnigsten Deutungen umso schutzloser
aus. Sie sind ein gefundenes Fressen für Virtuosen des Sinns und des Findens
von Bedeutungen, die sich auf zweite und dritte Blicke erst erschließen.
Der slowenische Lacanianer Slavoj Zizek etwa sieht die Sorte psychoanalytischer
Theorie, mit der er die Welt überzieht, in Lynchs Werk an allen Ecken und
Enden bestätigt und präfiguriert. Der Verdacht, der sich so einstellt,
dass nämlich, wer Lynch verstehen will, immer auch finden wird, was er
sucht, bekommt dem Werk nicht unbedingt gut. Vor allem verpasst die Wut des
Verstehens an Lynchs Alpträumereien in der Linie von "Eraserhead" über "Twin
Peaks"
und "Lost Highway" zu "Mulholland Drive" und jetzt "Inland Empire" das bei entspannter
Betrachtung unübersehbare Faktum ihrer beträchtlichen Komik. Gerade
in den Bewegungen des Entzugs klarer und eindeutiger Bedeutungen erfüllt
der von Lynch produzierte sublime Schmarrn eine der berühmteren Definitionen
des Komischen, nämlich des Zergehens einer gespannten Erwartung in nichts
- der Abwechslung halber bei Lynch auch: in Musik - ein ums andere Mal. Auch
an lachhaftem Nebeneinander des Gegensätzlichen fehlt es, je radikaler
alle lineare Narration sich auflöst, desto weniger.
"Inland Empire", das
dreistündige magnum opus Lynchianischer Narrationsdispersion, ist darum
auch ein großer komischer Wurf. Schon der vom deutschen Verleih der lakonischen
Inhaltszusammenfassung des
wie stets selbstdeutungsfeindlichen Regisseurs entnommene Untertitel "Eine Frau in Schwierigkeiten" macht das hinreichend
klar. Denn gewiss ist die Handlung, vielmehr die Situation, die der Film in
ein vielverzweigtes Gestrüpp von Handlungsantäuschungen und Figurenverschiebungen
und -verschachtelungen entfaltet, völlig zutreffend, wenn auch in heilloser
Unterkomplexität benannt: Laura Dern, die Heldin des Films, gerät
von einer Schwierigkeit in die nächste. Es beginnt - mehr oder weniger,
denn anderes geht voraus - mit dem Besuch eines finsteren Orakels in der Villa,
in der sie auf der ersten Ebene des Films als Schauspielerin mit ihrem Ehemann
lebt. Das Orakel spricht, wie Orakel tun, Dinge, die sich zunächst nicht
erschließen. Es prophezeit, was geschehen wird. Und mit einem Rutsch in
der Zeit, einem Rutsch von einer Realität zur nächsten, erfüllt
sich, was sie sagt. Dabei ist, was sie sagt, nicht weiter wichtig. Was zählt,
ist der Rutsch, ist das Gleiten von einer Situation in die nächste, denn
was Lynch hier betreibt, ist ontologischer Slapstick in Perfektion. Wie auf
einer Bananenschale rutscht und gleitet der Sinn des Gezeigten und gleitet auch
das Verstehenwollen des Betrachters immer wieder aus und landet, ehe es sich
versieht, in der nächsten absurden Unklarheit. In einer Kaninchen-Sitcom
zum Beispiel. Ein Zimmer mit einer Couch, darauf zwei Menschen in Kaninchengröße,
im Hintergrund ein Bügelbrett, es bügelt daran eine Kaninchenfrau.
Zu höchst banalen Dialogen hört man hysterisches Sitcom-Lachen vom
Band.
Von den Kaninchen kehrt man zurück
zur Geschichte der Frau in Schwierigkeiten. Freilich ist die Rückkehr nicht
- und in diesem Film eben: nie - punktgenau. Eine Tür öffnet sich
und dahinter liegt nie, was zu vermuten war. Verschiebungen finden statt, von
einem Schnitt zum anderen, von einer Tür zur nächsten. Und auch Geschichte
ist nicht unbedingt das richtige Wort, insofern es nämlich einen Zusammenhang
suggeriert, um dessen Auflösung "Inland Empire" mit beträchtlichem
Erfolg gerade ringt. Das "innere Reich" des Films ist, könnte
man sagen, gerade und sehr genau an jener Stelle gelegen, an der das bloße
Nacheinander der Bilder mit einer nachvollziehbaren Logik der Narration nicht
mehr in eins fällt. So entstehen Lücken, die von der Lynchdeutungsindustrie
gerne als Abgründe begriffen werden. Und Lynch selbst leistet solchen Abgrundvermutungen
durchaus Vorschub, durch die von ihm selbst entworfenen düster-industriellen
Soundscapes vor allem. Wenn etwas dem fortwährenden Rutschen und Gleiten
von Bild zu Bild Widerstand leistet, dann sind es die rumorenden Klänge,
die den Bildern regelmäßig eine Orientierung in Richtung des Unheimlichen
geben. Und wenn etwas Lynchs Filmen immer wieder auch den Charakter virtuos
montierter, aber ebenso manipulativer wie letztlich banaler Geisterbahnfahrten
verleiht, dann ist es die Stimmungsmache ihrer Soundtracks. Diesmal aber fällt
Lynch sich auch auf dieser Ebene ein ums andere Mal - und mit komischem Effekt
- ins Wort bzw. ins Geräusch und unterbricht das Rumoren durch abstrus
fröhlichen Song and Dance, etwa in einer Einlage, bei der ein Zimmer voll
Prostituierter zu "The Locomotion" zu tanzen beginnt.
Wer will, kann natürlich
Rekonstruktionsarbeit leisten. Es ließe sich dann womöglich erzählen,
nacherzählen, vom jeweils Folgenden her erzählen, dass Laura Dern
als Schauspielerin in einem Film mitspielt, von dessen Entstehung wiederum "Inland
Empire" erzählt. Man sieht die ersten Proben mit dem Regisseur (Jeremy
Irons), man kann, wenn man will, den Film-im-Film vom Film unterscheiden. Sogar
"Inland Empire" selbst scheint am Ende darum bemüht, etwas wie
eine logische Ordnung und Struktur durch bloße, etwas hektisch zusammenraffende
Versammlung der übers Vorangegangene verstreuten Elemente herzustellen.
Kurz vor Schluss gibt es eine große Geste der Unterscheidung, ein sehr
bewusstes und geradezu aufreizendes Wieder-Einziehen der Grenze zwischen Innen
und Außen in den Film selbst. Die bewegende Szene des Todes von Laura
Dern entpuppt sich als gespielte Todesszene und durch die klare Setzung der
Grenze ("es war nur ein Film") ist das, was man dann sieht, kein Auferstehungswunder,
sondern die Normalität der Dreharbeiten: Wer zu Boden sinkt, steht wieder
auf. In Wahrheit sind solche Selbstreflexivitätsfiguren und überhaupt
alle Versuche des Films, die Bilder- und Erzählfluchten des Films in einer
letzten Anstrengung doch noch zur Deckung zu bringen, die reine Verdeckungsarbeit,
die die zuvor so offen zutage liegende und offensiv gesuchte Ungereimtheit der
Bilderschichten in einer letzten, verzweifelten Geste wieder unsichtbar machen
will.
Ekkehard Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: Perlentaucher
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
USA/Polen/Frankreich 2006. R, B, Sch, T: David Lynch.
P: Mary Sweeney, David Lynch. K: Odd-Geir Sæther.
A: Christine Wilson, Wojciech Wolniak. Ko: Karen Baird,
Heidi Bivens. Pg: StudioCanal/Camerimage 2/Asymmetrical/Inland Empire. V: Concorde.
L: 172 Min. Da: Laura Dern (Nikki Grace/Sue), Jeremy Irons (Kingsley), Justin
Theroux (Devon Berk/Billy Side), Harry Dean Stanton (Freddie), Julia Ormond
(Doris Side), Peter J. Lucas (Piotrek Krol), Terryn Westbrook (Chelsi), Diane
Ladd (Marilyn), Ian Abercrombie (Henry).
Start: 26.4.2007 (D, CH), 4.5.2007 (A)
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