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Inside
Deep Throat
Der
gute alte Schnauzbart-Sex
Der
Dokumentarfilm »Inside Deep Throat« erzählt vom erfolgreichsten
Porno aller Zeiten und verklärt die Vergangenheit der Sex-Branche
Irgendwann
im Laufe dieses atemlos rasanten Dokumentarfilms erhalten wir überraschend
die Gelegenheit, einer Zeitzeugin etwas länger zuhören zu dürfen.
Es ist die beste Freundin der legendären Pornodarstellerin Linda Lovelace,
und sie erinnert sich, wie der Kontakt Ende der Sechziger langsam abbrach. Linda
sei nach New York gegangen. Sie drehe Filme, hätte sie geschrieben, »Dokumentarfilme«,
schmunzelt die Zeitzeugin in die Kamera. Tja, wir wissen ja alle, was für
eine Sorte Dokumentarfilme das waren, höhöhö, so nannte man das
also damals. Dokumentarfilme.
Die beiden Filmemacher Fenton Bailey und Randy Barbato müssen
prustend auf den digitalen Schneidetisch niedergesunken sein, als sie an dieser
Stelle saßen und für einen Moment die Finger von den Filtern und
Färbetools ließen. Dabei hatte Linda Boreman alias Lovelace ihre
Freundin gar nicht so dumm angelogen. Im Gegensatz zu anderen Sexfilmen, von
den Wegen zu Kraft und Schönheit der Weimarer Republik bis zu den nudies der amerikanischen Fünfziger und Sechziger, ist das Besondere
am Pornofilm, dass er Belege für die Echtheit des Gezeigten liefert: Erektionen und Cum-Shots belegen, dass die Sexakte "real"
sind. Was die gezielte Dehnung des Dokumentarfilmbegriffs betrifft,
hat die Praxis des Regie-Duos Bailey/Barbato, das sich zuletzt mit Hitlers Homosexualität
beschäftigt hat, mit dem Porno-Genre einiges gemein.
Der
Porno Deep
Throat
kam 1972 in Mainstream-Kinos und spielte seine Produktionskosten um einen derart
astronomischen Faktor wieder ein, dass keine Hollywood-Produktion je wieder
mithalten konnte. Der Hardcore-Film löste auch in den metropolitanen Mittelschichten
einen Porno-Chic aus. Dabei interessiert unser Dokumentaristen-Duo die Idee
einer guten alten Zeit des Pornos und ihr cooles Koteletten-Kolorit. Während
Zeugen dieses Schnauzbart-Sex-Zeitalters, meist die einschlägigen 70-jährigen
Swinger wie Hugh Hefner, Norman Mailer und Gore Vidal, allgemein bekannte Fakten
durch Prominenz adeln sollen, prasselt ein tropischer Dauerregen von coolen
Siebziger-Clips auf uns nieder, im Tempo von drei Bildern pro Mailer-Silbe:
TV-Shows, Automodelle, Schuhmoden, Politikergesichter, Filmausschnitte, Schokoriegelwerbung.
Alle, auch die an den Haaren herbeigezogenen Bilder sind genau ausgesucht aus
einem irre funky Siebziger-Kultmaterialfundus mit sagenhaftem Sammlerwert. Derweil
redet ein Sex-Rentner rüstig weiter, und ein cooler Tarantino-geprüfter
Seventies-Hit umspielt dessen Sätze mit Bläsersätzen und groovy
Schlaghosen-Beats.
Das
Pornokino der frühen Siebziger ist interessant, schon weil hier mit wenig
Geld richtige Filme gemacht wurden. Wie jede superkommerzielle Bund C-Sektion
der Kulturindustrie bringt auch die frühe Pornobranche ungesehene Effekte
und spannende filmische Lösungen für Probleme hervor, die niedrige
Budgets eigentlich gar nicht lösen können. So gesehen ist der Deep
Throat-Regisseur
Gerard Damiano auch ein Nachfolger grandios-hemmungsloser Exploitation-Filmer
der Fünfziger und Sechziger. Seine Taxi-Driver-Paraphrase
Waterpower etwa
– ein einsamer Außenseiter will das verderbte New York durch Klistiere
buchstäblich reinigen – gehört zu den Momenten, wo die alte These,
dass der B-Film die treffendste Kritik des A-Films sei, fast wahr wird. Doch
die Konzentration auf die filmische Seite des Siebziger-Porno-Geschäfts
bleibt in Inside
Deep Throat
Versprechen.
Deep
Throat
wurde von der christlichen Rechten verfolgt, mit Nixons Unterstützung jagten
sich die Musterprozesse. Die Parallele zu heutigen Kulturkämpfen ist der
inhaltliche Einsatz des Filmes: Ist es nicht wie heute? Bigotte Christen wollen
uns unseren Porno kaputt machen! Obwohl weder die Einmischung der Mafia verschwiegen
wird noch, dass Linda Lovelace von ihrem Ehemann zu den Dreharbeiten geprügelt
wurde, erscheint Porno in Inside
Deep Throat
als eine Sache der Freiheit und des Erfolges der politischen Sixties und der
Linken. Als habe die schöne Pornowelt ihre Unschuld verloren, als sei die
heutige Pornoindustrie nur eine spätere Verirrung. Die amerikanisch blindliberale
Argumentation gegen Regeln und für Freiheit, gegen Staat und für Deregulierung
und hier sogar für Porno und gegen Politik hat noch nie gefragt, um wessen
Freiheit, wessen Regeln und wessen Politik es sich eigentlich handelt. Im Namen
dieses Liberalismus verdrückt Inside
Deep Throat
eine Träne für lustige Klitschen mit beseelten, verrückten Männern
und wilden Frauen, die darauf schwören, dass im Gesicht verriebenes Sperma
gut für die Haut sei.
Die
feministische Kritik an der Pornokultur, zu der nicht zuletzt Lovelace selbst
mit ihrem im Film mehrfach zitierten Satz – »Wann immer Sie diesen Film
sehen, sehen Sie, wie ich vergewaltigt werde« – beigetragen hat, wird
zwar erwähnt, bleibt aber folgenlos. Die Filmwissenschaftlerin Linda Williams
darf kurz über die Schwierigkeit reden, einen weiblichen Orgasmus visuell
zu dokumentieren. Erica Jong inszeniert eher sich selbst als Argumente. Und
die vom Presseheft »Frauenrechtlerin« genannte Camille Paglia ist
dies nur in einer Welt, in der man Peter Sloterdijk als Menschenrechtler vorstellen
würde. Lovelace selber wird als opportunistisches Dummchen lächerlich
gemacht: In einem alten Interview weiß sie nicht, was Anarchie bedeutet,
und außerdem hätte sie sich, kurz vor ihrem Tod, noch mal für
ein Herrenmagazin ausgezogen.
Dass
Deep
Throat
auch Porno-immanent für den Beginn einer neuen Epoche steht, interessiert
die Autoren nur am Rande. Denn seit damals laufen auch Hetero-Männer nicht
mehr in Sexfilme, um einen Blick auf entkleidete Frauen werfen zu können,
sondern um große erigierte Schwänze zu bewundern, die wahren Helden
des Penetrationstheaters und vor allem der Fellatio-Show. Dass der Blow-Job
nun als die allerhöchste sexuelle Praktik gilt, verdankt die in manchen
US-Staaten bis heute verbotene Technik, so die These auch einiger Zeitzeugen
in diesem Film, ihrer Inszenierung in Deep
Throat.
Dass Männer aber eine in Bildern narzisstisch genossene, phallische Macht
über Frauen als Lizenz zur Vergewaltigung empfinden, ist eines der entscheidenderen
feministischen Argumente aus der antipornografischen Bewegung der späten
Siebziger.
Auch
in dieser Bewegung gab es manch gloriose Simplifizierung, aber ihre wesentlichen
Positionen – Versklavung und Erniedrigung der Sex-Arbeiterin, Verbreitung eines
dehumanisierten Frauenbildes und Verdinglichung von Sexualität, schließlich
aktive Beleidigung von Frauen in der Öffentlichkeit – werden hier gar nicht
entwickelt. Erst recht nicht die aktuelle feministische Diskussion eines Sex-Business,
das ja längst auch seine Gegenbewegung in schwul-lesbischer, aber auch
in meist zwiespältiger Heteropornografie gefunden hat. Die Autoren bedauern
nur, dass die Industrie zu groß und zu lieblos geworden ist, und fragen
aktuelle Pornodarstellerinnen mit kugelrunden Silikonbusen, ob sie noch wissen,
was Deep
Throat
war. Natürlich haben die Girls nicht die erwünschte historische Bildung.
Schuld
an dieser Selbstvergessenheit des Genres hat immer wieder die alte christlich
rechte Linie Nixon-Reagan-Bush. Das nach diesem Film Allernaheliegendste können
seine Autoren aber nicht sehen: dass christlicher Fundamentalismus und industrielle
Pornokultur zwei Symptome des gleichen Defekts sind. Nur wo der family-values-Terror
sein Regime errichtet, gibt es die Idee der Hure und das Bedürfnis nach
Bildern solcher Huren, die man wiederum dafür bestrafen und erniedrigen
muss, dass sie einen erregen. Der Film ist allerdings offen, materialreich und
unterkommentiert genug, um diesen Umstand auch gegen seine Absicht zu zeigen:
nicht als Dokumentarfilm, aber als Dokument.
Diedrich
Diederichsen
Dieser
Text ist - in ähnlicher Form - zuerst erschienen in: „Die Zeit“
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte
Inside
Deep Throat
USA
2005 - Regie: Fenton Bailey, Randy Barbato - Darsteller: Gerard Damiano, Harry
Reems, Alan Dershowitz, Norman Mailer, Gore Vidal, Erica Jong, John Waters,
Camille Paglia, Ron Wertheim, Hugh Hefner, Larry Flynt - FSK: ab 16 - Länge:
90 min. - Start: 11.8.2005
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