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Inside Man
Nichts
ist falsch am Genrefilm
Weil er es kann: Mit seinem
neuen Film "Inside Man" bewegt sich Spike Lee virtuos im Genre des
Caper-Movies. Seine Bankräuber arbeiten am perfekten Coup, sein Ermittler
glänzt durch Schlagfertigkeit, und Jodie Foster ist besser denn je
Es ist eng hier. Clive Owen steht
mit dem Rücken zur Wand, sein Kopf und seine Schultern füllen das
Bild ganz aus. So flüstert er uns etwas in Auge und Ohr. Er nennt seinen
Namen, Dalton Russell, und seine Forderung. Gut aufpassen sollten wir, denn
er wähle seine Worte mit Bedacht und wiederhole sich nie: "Vor kurzem
habe ich verschiedene Abläufe geplant und in die Tat umgesetzt, um den
perfekten Bankraub zu begehen." Diese bedächtig gewählten Sätze
sprechen von einer Vergangenheit, um damit - wir haben aufgepasst - noch in
der ersten Einstellung dieses Films eine bleibende Spannung zu begründen:
Von wo aus spricht dieser Dalton Russell? Was ist das für ein Ort, ein
Raum, eine Zelle, in dem uns der Gangster in den Versuch des perfekten Verbrechens
hineinzieht?
Wie diese Frage am Ende beantwortet
wird, ist der Clou von Spike Lees "Inside Man" und soll darum hier
nicht verraten werden. Dass jedoch die finale Überraschung dieses Caper-Movies
mit einer Raumfrage zu tun hat, ist alles andere als überraschend. "Inside
Man" mag mit Stars wie Clive Owen, Denzel Washington, Jodie Foster und
Christopher Plummer aufwarten - in erster Linie spielt der Film mit Räumen.
Nach der Eröffnungsszene
findet die Kamera ihren Weg über die New Yorker Wall Street zur 1948 gegründeten
Privatbank Manhattan Trust. Hier setzen ein paar Maskierte in Overalls die Überwachungskameras
außer Gefecht, sodass allein die Filmkamera Zeuge ist, wie das Team um
Russell die Türen verschließt und Kunden, Angestellte wie Wachpersonal
in seine Gewalt bringt. Handys werden abgenommen, jeder und jede wird in einen
Kapuzen-Overall gezwungen, der es zusammen mit dem Mundschutz unmöglich
macht, zwischen Geiseln und Gangstern zu unterscheiden. Insgesamt mögen
etwa 50 Personen im Gebäude sein,
50 Inside Men. Gegenüber der Bank richtet
die Polizei in einem Mannschaftswagen die Kommandozentrale ein, Detective Keith
Frazier (Denzel Washington) führt hier das Wort. Von diesen zwei Zentralen
aus wird nun verhandelt. Projektionen, Überwachungsversuche und die Telefongespräche
zwischen Clive Owen und Denzel Washington verbinden beide Lager.
So klar diese Versuchsanordnung
ist, so unweigerlich mag das Erstaunen darüber einsetzen, wie das mit den
Erwartungen zusammengeht, die an einen "Spike Lee Joint" geknüpft
sind. "Spike Lee, der in letzter Zeit eher verquaste, um politische Botschaften
bemühte Stoffe verfilmte und damit scheiterte", kommentierte zum Beispiel
die Zeitschrift Filmdienst, versuche sich hier "an einer klassischen Genregeschichte".
Lee indes hatte schon während der Produktion betont, er begrüße
es, wenn die Hautfarbe eben nicht immer schon mit den Filmstoffen kurzgeschlossen
wird, wenn er und andere nicht allein als schwarze Filmemacher wahrgenommen
würden, sondern "as just filmmakers" mit freier Themenwahl. Gleiches
Recht für alle: "And there's nothing wrong with doing genre films."
Es hat hier in der Tat Sinn, die
Erwartungen ausnahmsweise weniger am (wie auch immer skizzierten) Image des
berühmtesten afroamerikanischen Regisseurs als eben am Genre auszurichten.
Caper-Movies handeln von der Durchführung spektakulärer Raubzüge.
Ihre Perspektive ist von "The Asphalt Jungle" (1950) über "Rififi"
(1954) bis zu "Ocean's Twelve" (2004) die der Gangster, und mit ihnen wird das Rein- und
wieder Rauskommen zur Kopf- und Herzensangelegenheit. Lagepläne wollen
studiert, Abläufe präzise geplant sein. Sicherheitsvorkehrungen müssen
überwunden, Safes oder Schlösser geknackt und der Ort des Verbrechens
möglichst spurlos wieder verlassen werden.
Wenn man so will, besteht das
Wesen der Caper-Movies also in der Studie, den Geheimnissen sowie dem Beherrschen
von Räumen, und genau das weiß "Inside Man". Seine Haltung
als Genrefilm besteht darin, dieses Wissen nun keineswegs postklassisch doppelbödig
auszuspielen, um den Schulterschluss mit allen Kennern zu suchen (und damit
die Grenzen des Genres zitaten- und gestenreich zu verlassen), sondern den Rahmen
so ernst wie möglich zu nehmen. There's nothing wrong with doing genre
films: Für "Inside Man" wird so das Genre selbst ein Raum, in
dem er sich bestens auskennt, um sich elegant und souverän darin zu bewegen.
Das Zentrum aller Aufmerksamkeit
ist die Manhattan Trust Bank, die für uns und Denzel Washington ein Raum
der Geheimnisse bleibt. Wie wollen Russel und die Seinen, die auch wir nur anhand
ihrer Waffen von den Geiseln unterscheiden können, "den perfekten
Bankraub" beenden? Ihre Forderung nach einem voll getankten Jumbo-Jet mitsamt
Piloten dürfte kaum die Lösung sein, und angesichts der Ruhe, mit
der die Geiselnehmer ihre Ultimaten ausweiten, vertieft sich diese Frage. "Das
ist doch kein Banküberfall", hält Detective Frazier seinem Gegenüber
entgegen: "Was haben Sie vor?!"
Die eigentliche Vertiefung in
die Bedingungen des Genres geschieht jedoch mit Christopher Plummer und Jodie
Foster. Als Arthur Case, Gründer und Boss von Manhattan Trust, verengt
Plummer das Interesse am Inneren der Bank zusätzlich auf das Schließfach
329. Um jeden Preis will Case den Inhalt seiner Security Deposit Box vor Gangstern,
Behörden oder sonst wem schützen, und so beauftragt er eine gewisse
Madeline White - "jemanden mit sehr speziellen Fähigkeiten und absoluter
Diskretion" - sich in Detective Fraziers Verhandlungen einzuschalten. Die
Raumfrage verdichtet sich buchstäblich, der Film konzentriert sich. Jodie
Foster, kalt und selbstsicher wie nie zuvor in ihrer Karriere, trägt ihr
elegantes Designerkostüm wie eine Wall-Street-Nahkampfausrüstung,
als sie klarstellt: "Hören Sie, Detective, worum es hier geht, das
sind Dinge, die ihre Besoldungsstufe überschreiten."
"Worum es hier geht",
ist natürlich mehr als ein Banküberfall - in dem Sinne, dass das Gelingen
des perfekten Raubzugs schließlich auf "arisiertes" Kapital
aus Nazideutschland abzielt. Doch auch jenseits dieser Plotentwicklung offeriert
das Debüt von Drehbuchautor Russel Gewirtz Sinnangebote. Neben den direkten
Anspielungen auf die momentane Terror-Hysterie und damit verbundenen Stigmatisierungen
(eine der freigelassenen Geiseln hat das Pech, als Sikh einen Bart und Turban
zu tragen. Die Polizisten drehen durch: "Scheiße, ein Araber!")
wird hier der Kniff Dalton Russels interessant, Gangster und Geiseln als identisch
erscheinen zu lassen. Die daraus resultierende Panik der Behörden nach
der Geiselnahme, jeden der Overallträger unter Verdacht zu stellen, ja
stellen zu müssen, lässt sich leicht als Karikatur der gegenwärtigen
Verhältnisse lesen. In diesem Sinne wäre die Geiselnahme in der Manhattan
Trust Bank tatsächlich, wie Detective Frazier sagt, "kein Banküberfall".
Dass überdies die Technik des Urmisstrauens, die konkrete Paranoia von
Frazier & Co, am Ende gar nichts bringt, spricht ebenso für sich.
Keine von diesen Deutungen drängt
sich auf. Sie haben nichts mit den etwaigen Klagen über "um politische
Botschaften bemühte Stoffe" zu tun, sondern ergeben sich wie in etlichen
klassischen Genrefilmen von Regisseuren wie Don Siegel oder Sidney Lumet wie
nebenbei. Sie sind Teilprodukte, Begleitumstände der Arbeit im Rahmen,
auch darin Hollywood-Oldschool. So gibt es, wenn wir am Ende von "Inside
Man" in den ominösen Raum zurückkehren, in dem Dalton Russell
uns in die Geschichte eingeführt hatte, sogar noch die Chance, nachträglich
Spike Lee als Autor im Film zu platzieren. Auf die rhetorische Frage nach seinem
Grund für den Bankraub hatte Russell zu Beginn geantwortet: "Weil
ich es kann!" Genau das könnten die Freunde der Autorentheorie nun
auch als Spike Lees Antwort gelten lassen. Weshalb er sich "einer klassischen
Genregeschichte" angenommen habe? Weil ich es kann, spricht aus dem Genre
der Inside Man.
Jan Distelmeyer
Dieser Text
ist zuerst erschienen ihn der: taz
Zu diesem Film
gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Inside Man
USA 2006 - Regie: Spike Lee - Darsteller: Denzel Washington, Clive
Owen, Jodie Foster, Willem Dafoe, Chiwetel Ejiofor, Christopher Plummer, Peter
Gerety, Peter Frechette - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
129 min. - Start: 23.3.2006
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