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Interstella
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One
More Time!
Gute
Pop-Platten erzählen eine Geschichte. Bestenfalls erzählen sie diese
sogar nicht im begrifflichen Sinne, lassen vielmehr den geneigten Zuhörer
vor dem geistigen Auge eine solche abstrahieren. Sie nehmen einen bei der Hand,
verdichten die eigene emotionale Welt zu einem Traumuniversum, das - allein
durchs Auflegen der Platte - beliebig abrufbar, verfügbar scheint. Diese
Affinität zum Traum, dieses Glücksversprechen macht die große
Anziehungskraft des Pop aus: Pop ist melancholische Sehnsucht nach der anderen,
der besseren Welt. "Nieder mit den Umständen", sang man dereinst
in Hamburg. Umso ernüchternder der Moment, wenn die Plattennadel sich vom
Vinyl hebt, der Laser des CD-Players das letzte Bit ausgelesen hat. Pop ist
Illusion, scheitert letztendlich an den "Grenzen unserer Physik" (wie
wenig später Kante sangen).
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ist das Produkt wie aber auch die ästhetisch manifeste Umsetzung eines
solchen Poptraums: Eine kohärente Verschmelzung, aber auch Forterzählung
der Musikvideos von Daft Punk zu "One More Time", "Aerodynamic",
"Digital Love" und "Harder, Better, Faster, Stronger". Die
nunmehr miteinander verbundenen und um wesentliche Storyelemente ergänzten
Kurzfilme erzählen in einem retro-futuristisch angehauchten Ambiente die
Geschichte der Band "Crescendolls" in einem parallelen Universum,
das mit unserem nur durch eine zweidimensionale, durchs All gleitende silbrige
Scheibe zu erreichen ist. Dort, in diesem buchstäblichen Popuniversum ist
die Musik bestimmender Faktor des Lebens, wie uns in der Exposition mit nur
wenigen Einstellungen gezeigt wird: Ein Konzert unserer Band scheint das gesellschaftliche
Ereignis! Freudig hypnotisiert blickt man allenorten auf Großbildübertragungsschirme,
selbst die exekutiven Kräfte dieser Pop-Gesellschaft träumen, mit
fatalen Folgen, zu den süßlichen Klängen vor sich hin: Eine
Invasion bleibt so im Anfangsstadium unbemerkt und ist später nicht mehr
abzuwenden. Ziel des Angriffs sind die Musiker selbst, die betäubt und
arglistig in unsere Welt entführt werden, um dort von einem skrupellosen
"Mad Scientist Manager", ihrer Identität beraubt, als willenlose
Sklaven seiner Machenschaften zur berühmtesten Band unserer Erde gemacht
zu werden. Ein melancholischer Held macht sich indes aus der ursprünglichen
Welt der Entführungsopfer auf, die Popidole zurückzuholen, sie aus
den Klauen der gnadenlosen Welt des Kommerzes und der Ausbeutung von Kunst und
Kultur zurück in den sicheren Hafen reinster Popwelten zurückzuholen.
Dabei
wird kein einziges Wort gesprochen, die Diegese verweigert sich, mit sehr wenigen,
pointierten Ausnahmen, den Geräuschen des Bildkaders. Einzig und allein
die farbenfrohen Bilder und der nicht minder in Retrosoundwelten schwelgende
Soundtrack von Daft Punk - in der Tat wird das gesamte Discovery-Album durchgespielt
- vermitteln die Implikationen der Geschichte. Eigentlich ein Stummfilm also,
der hier kunterbunt im Pop-Sci-Fi-Look der 70er Jahre - unter anderem ruft das
Ambiente auch Erinnerungen an die aufwändige Covergestaltung des "Out
of the Blue"-Albums des Electric Light Orchestra wach - präsentiert
wird.
Der
"Old School"-Look der Animationen mit seinen stellenweise arg kantigen
Bewegungsabläufen von Design-Altmeister Leiji Matsumoto sorgt zu Beginn,
in Verbindung mit dem recht eigenen Konzept, für Irritation und Skepsis,
vielleicht auch für etwas unsichere Heiterkeit. Lässt man sich aber
von den knalligen Bildern entführen, fortreiben, lässt man sich einfach,
analog zu unseren Helden, durch die Weiten des Popuniversums treiben, entwickelt
Interstella
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einen ganz eigenen Flair, der Assoziationen zu längst im Unterbewusstsein
vergrabenen Kindheitserinnerungen an Captain Future (dem der Held aus dem Paralleluniversum
zudem ganz frappierend ähnelt) weckt. So ist dieser Anime letztendlich
mehr als nur ein normaler Erzählfilm, sondern darüber hinaus ein Kinoexperiment,
das den dunklen Kinosaal einmal mehr als "Traummaschine" konnotiert.
Ein im besten Sinne des Wortes meditativer, wenn nicht gar halluzinogener Film
durch Retro-Popwelten, auf den man sich gewiss einlassen können muss. Ist
dies möglich, belohnt Interstella
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einem entspannten Kinoerlebnis jenseits des herrschenden Betriebs.
Ab
4. September im Kino.
Thomas
Groh
Diese Kritik erschien zuerst auf der Website der Zeitschrift: F.LM - Texte zum Film
Interstella
5555 - The 5tory of the 5ecret 5tar 5ystem
(Japan/Frankreich
2003)
Regie:
Kazuhisa Takenouchi
Buch:
Thomas Bangalter, Guy-Manuel De Homem-Christo, Cédric Hervet
Design:
Leiji Matsumoto
Musik:
Daft Punk
Darsteller:
-
Verleih:
Rapid Eye Movies, Länge: 62 Minuten
Internet-Moviedatabase
http://us.imdb.com/title/tt0368667/combined
Website
des Verleihs (mit Trailer)
http://www.rapideyemovies.de/movies/interstella-5555/bilder.php
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