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Intimitäten
und Bildskandal. Zu Patrice Chéreaus INTIMACY
Erste
Intimität.
Eine Frau betritt hastig das Haus eines Mannes, der ihr die Tür geöffnet
hat. Im Chaos eines von Einsamkeit bewohnten Zimmers reißen sie sich gegenseitig
die Kleider vom Leib. Der nahe Kamerazoom verdichtet die nackten Körper,
die miteinander schlafen. Klebt schonungslos an der porigen Haut. Das Stöhnen
von Jay und Claire, bis sie voneinander lassen. Sich dann anziehen. Claire,
die das Haus verläßt. Ein unsicherer Blick zum Abschied und schnelle
Schritte, die die Straße hinuntereilen. Es gibt nur den Moment der Begegnung,
kein Vorher, kein Nachher.
Zweite Intimität. „And next wednesday, is that a wednesday, too?“ Die
Verletzbarkeit liegt nicht in der Nacktheit von Jay und Claire. Die Verletzbarkeit
liegt in der Offenlegung, in der Preisgabe der eigenen Emotionalität. Die
Unsicherheit, das Nachfragen nach der nächsten Zusammenkunft entlarvt,
daß sich das Denken eingeschlichen hat in den Körper, daß Emotionen
jenseits des Triebes entstanden sind, eine Nähe gesucht wird, die nicht
mehr in der bloßen Zusammenkunft zweier Körper besteht. Die Offenlegung
des immer verschwiegenen, im Stillschweigen jedoch verläßlichen Prinzips
„Mittwoch“ leitet das Ende der Gesetzlichkeit ein. Die Zusammenkunft wird reflektiert
und schiebt Distanz zwischen die Körper. Triebhaftigkeit war nur möglich
unter der Maske des Nichterkanntseins. Jetzt, wo dem Zeitpunkt der Zusammenkunft
die Anonymität genommen wurde, zeigt sich, wie notwendig die Schweigsamkeit
für die Nacktheit war. Ein Bruch, ein Riß ist entstanden. Die Frau
wird gehen, der Mann sie verfolgen. Aber nicht mehr Nähe, sondern Distanz
wird die Beziehung zwischen ihnen bestimmen. Das bereitwillige Zeigen des Körpers
wird dem Voyeurismus weichen, der die andere Person heimlich sucht. Der nicht
mit den Augen die Nacktheit des Körpers bedrängt, sondern, indem er
die Existenz des anderen befragt, in dessen Sein einbricht. Und damit die größte
Intimitätsverletzung herbeiführt, die zwischen zwei Menschen überhaupt
denkbar ist.
Ende
der Intimität. Patrice
Chéreau hat mit INTIMACY die diffizile Grenze spürbar gemacht, ab
der Intimität beginnt. Ist Sex allein schon Intimität? Kann sich der
Körper nicht viel leichter öffnen als sich das Leben einem anderen
Menschen? Steckt Intimität nicht in dem, was man zu schützen bereit
ist, was man vor dem anderen verbirgt und ihm nur vielleicht, und unter bestimmten
Voraussetzungen zeigen wird? INTIMACY zeigt die Abwesenheit von Intimität
inmitten des bedingungslosen fleischlichen Begehrens. Erst wenn der andere erkannt
ist, ist die Nacktheit vollkommen und Intimität erreicht. Aber dann verliert
das Begehren den Respekt vor dem anderen, das Aushalten der Distanz. Das Begehren,
das die Nachstellung von Claire durch Jay begleitet, ist das eines Stalkers.
Der Versuch einer besitzergreifenden Vereinnahmung, gegen das Wissen und den
Willen des anderen. Dort, wo Intimität zurückgehalten wird, sich der
Zusammenkunft der nackten Körper entzieht, aber gewaltsam gesucht wird,
scheitert sie. Verantwortlich für das Scheitern der Intimität ist
das Sprechen, das Aufkommen der Sprache als Vermittlerin zwischen den Existenzen
von Claire und Jay. Begann der Film in kompletter Wortlosigkeit, in der die
einzige Diskursivität im tastenden Blick der Kamera bestand, wird die Beziehung
zwischen Claire und Jay am Ende des Films durch das Wort ausgetragen und ausgetrieben.
Das Wort kann die Existenz des anderen nicht vermitteln. Erst wenn zum Schweigen
zurückgekehrt wird, kann wieder die Intimität der Körper stattfinden,
die das Gegenteil von intimer Nähe bedeutet.
Dritte
Intimität.
Das Intime zeigt sich dort, wo die Existenz im Alleinsein erfahren wird, und
wo sie in gefährliche Nähe zu einem anderen Menschen gerät. Das
gilt nicht nur für das Leben im Allgemeinen, das zeigt sich vor allem in
der Erfahrung des Körperlichen. Man sieht Jay in seinem früheren Leben.
Seine Frau will nicht mehr mit ihm schlafen. Jay geht ins Badezimmer. Masturbiert
und kommt über der Kloschüssel. Gerade als er seinen Schwanz wieder
in die Pyjamahose packt, geht die Tür auf. Sein Sohn steht vor ihm. Er
hat ins Bett gepinkelt. Sein Vater tröstet und trocknet ihn. Die Intimität
wird spürbar in dem Fasterkanntwerden des Vaters und in der Offenheit des
Kindes. Beide Male wird die empfindliche Grenze körperlicher Verborgenheit
touchiert.
Letzte
Intimität. Die
Nacktheit zwischen Claire und Jay bedeutet nicht eigentlich auf der Ebene des
Plots Intimität, sondern erst auf jener transfiktionalen Ebene, die sich
zwischen Zuschauer und Leinwand aufspannt. Das Skandalon, das das nackte Intimsein
begleitet, welches sich bereitwillig dem (anonymen) Publikum zeigt, ist nicht
der erigierte Schwanz, der die triebhafte Geilheit von Jay anschaulich macht.
An sie sollte der Betrachter allmählich gewöhnt sein nach dem Bildersturm,
der den menschlichen Sexus aus der Pornographie befreit hat, durch Filmemacher
wie Despentes, Breillat und von Trier. Das lustverwandelte menschliche Geschlecht
im Bild ist heute jedes Skandalverdachts enthoben, eine allenfalls forcierte
Darstellung von Körperlichkeit. Das, was in INTIMACY die Nacktheit so intim
und auf der Leinwand aufsehenerregend macht, steckt im Körper von Claire,
in der Verkörperung durch Kerry Fox. Sie erscheint älter als Jay (Mark
Rylance), und ihr Körper zeigt nicht mehr jene Konturen, die in den gesellschaftlich
produzierten Bildern die Ikonen der Begehrlichkeit umfassen. Busen, Bauch und
Schenkel statten Kerry Fox mit einer Nacktheit aus, die keine öffentliche
Abbildung erfährt, die in der Intimsphäre des privaten Schlafzimmers
zurückgehalten wird. Kerry Fox zeigt mit ihrem Körper eine Frau, die
gesellschaftlich im erotischen Abseits steht, der Körperlichkeit und Begehrlichkeit
abgesprochen wird, und die hier, im Film, ganz ihre Lustbarkeit auslebt. Chéreau
zeigt den verborgenen und öffentlich verachteten Körper in Bildern,
die das bedingungslose Begehren inszenieren. Die Befreiung der Bilder aus dem
Korsett gesellschaftlicher Verschämung ist, was INTIMACY zum ästhetischen
Politikum macht.
Dunja
Bialas
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
artechock : FILM- UND KUNSTMAGAZIN
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
INTIMACY
F/GB/D/E 2000
- 120 Minuten
Regie: Patrice
Chéreau
Kamera: Eric
Gautier
Drehbuch: Patrice
Chéreau, Hanif
Kureishi, Anne-Louise
Trividic
Besetzung: Mark
Rylance, Kerry
Fox, Timothy
Spall, Marianne
Faithful u.a.
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