zur
startseite
zum
archiv
Invincible
Unter
Kraftmenschen
Werner
Herzog folgt mit "Invincible" seiner Sehnsucht nach Größe
„Kinski
meinte immer, ich sei wahnsinnig. Aber das stimmt natürlich nicht. Ich
bin ja klinisch gesund." Der verstorbene Klaus Kinski mag der Star in Werner
Herzogs letztem Film gewesen sein und wohl auch der Grund, warum Herzogs neunter
Dokumentarfilm in acht Jahren dem Regisseur wieder einen Kinostart und neue
Aufmerksamkeit bescherte. Der eigentliche Hauptdarsteller aber war Herzog selbst.
Als Erzähler vor und hinter der Kamera überstieg seine Präsenz
fast noch die Kinskis, und schon der Titel seines Filmporträts machte klar,
wer hier an erster Stelle kam: Mein
liebster Feind - Klaus Kinski.
Werner
Herzogs Selbstdarstellung handelt immer wieder von Vorsehung, Genialität
und (mitunter bedrohlicher) Größe. So wie "das Schicksal"
ihn und Kinski als zwei Seiten derselben Geniemedaille zusammengeführt
hat, so spürt Herzog bisweilen "die Gnade Gottes" über seiner
Arbeit ruhen. Darum ist es nicht verwunderlich, wenn er nun in Interviews zu
seiner Kraftmenschen-Saga Invincible,
dem ersten Kinospielfilm seit Schrei
aus Stein
(1991), abermals sich selbst zum Helden macht. Mein liebstes Kraftgenie: In
nur zehn Tagen habe er das Drehbuch geschrieben und die "Produktion an
mich gerissen". Hans Zimmer, "der größte lebende Filmkomponist",
hat ihm aus Dankbarkeit für Fitzcarraldo
die Musik zum Film "geschenkt", und Tim Roth, "einer der größten
Schauspieler unserer Zeit", spielt eine Hauptrolle, weil er "sein
ganzes Leben lang schon mit mir arbeiten wollte" und überhaupt nur
wegen eines Herzog-Films Schauspieler geworden sei.
Diese
Inszenierung umgibt Invincible
und baut ein seltsames Spannungsverhältnis zum Film auf. Denn die ständig
betonte "Größe" drückt sich zu keiner Zeit in den
Filmbildern aus und ist auf andere Weise, als Behauptung, dennoch beständig
spürbar. Der Beginn der Geschichte führt uns in ein ostpolnisches
Dorf im Jahr 1932. Hier lebt Zishe Breitbart (Jouko Ahola), seines Zeichens
Sohn des Schmieds und stärkster Mann weit und breit. Sein Körper erinnert
an heutige Bodybuilder, was kein Zufall ist, weil Jouko Ahola kein Schauspieler,
sondern finnischer Kraftsportler ist. Die ungewöhnliche Besetzung begründet
Werner Herzog sowohl mit seiner eigenen "größten Gabe"
- "Ich habe ein Auge dafür, welche Menschen gut auf der Leinwand rüberkommen"
- als auch mit dem Wunsch nach Authentizität: "Da darf keine Glaubwürdigkeitslücke
sein."
Genau
hier jedoch liegt das größte Problem des Films, der, obwohl er auf
einer wahren Begebenheit basiert, voll ist von "Glaubwürdigkeitslücken"
und dessen Dramaturgie wie von einer Checkliste Stereotyp um Stereotyp abhakt:
Wie stark ist Zishe Breitbart? Sehr stark. Er stemmt im Zirkus den Herkules
mitsamt Gewicht, schüchtert die Antisemiten in der örtlichen Schänke
ein, und bald winkt ein Engagement als Kraftmensch in "Hanussens Palast
des Okkulten", Berlin. Wie gut ist Zishe Breitbart? Sehr gut. Als braver
Sohn ohne Falsch, Laster und Sexualität vereint er hilfsbereite Muskelkraft
und kindliche Seelenreinheit. Seine Zugfahrkarte erster Klasse tauscht er um,
damit seine Mutter sich für das Geld ein Kleid kaufen kann.
Zu
Fuß in Berlin angekommen, geht es dann los mit den Konflikten rund um
die blonden Nazis, den starken, scheinarisierten Juden und den mysteriösen
Hanussen (Tim Roth), der unter Adolf Hitler Minister des Okkulten werden will.
Zishes Bekenntnis zu seiner Identität und seine Wandlung vom Vorzeigearier
wider Willen zum Symbol jüdischen Selbstbewusstseins wird ebenso bildlich
durchbuchstabiert wie Hanussens Spiel mit der Macht, für das Tim Roth heftig
chargieren muss. Zwischendurch schnarrt uns auch noch Max Raabe als Conférencier
sein "Säähr geäährtes Puublikum" entgegen.
1962
hatte Werner Herzog schon einmal einen Film über Kraftmenschen gedreht.
Während Herakles,
sein Debütfilm, jedoch mit ironischer und skeptischer Distanz auf die Muskelmänner
blickte und deren Körper mit Schrifttafeln zu den herakleischen Aufgaben
kommentierte ("Wird er den Augiasstall säubern?"), erweist sich
Invincible
als dessen auf Pathos und Platitude gegründetes Gegenteil. In gewisser
Weise trifft Hanussens simple Analyse der Verhältnisse von 1932, man sehne
sich nach "einem starken Mann, einem Helden, einem Führer", auf
Invincible
selbst zu. Auf dem Höhepunkt der Idealisierung muss Herzog seinen Super-Zishe
darum sogar zum Märtyrer und hellsichtigen Mahner vor dem Holocaust machen.
Dessen Vision wird dann zum Ende des filmischen Abzählreims. Wie träumt
man von Auschwitz? Eine Dampflok fährt dräuend über eine Unzahl
roter Krebse hinweg.
Jan
Distelmeyer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in der:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Invincible
(Unbesiegbar)
Deutschland
/ Irland / USA / Großbritannien 2001 - Regie: Werner Herzog - Darsteller:
Tim Roth, Jouko Ahola, Anna Gourari, Max Raabe, Jacob Wein, Gustav Peter Wöhler,
Udo Kier, Herbert Golder, Gary Bart, Hark Bohm - FSK: ab 6 - Länge: 130
min. - Start: 17.1.2002
zur
startseite
zum
archiv