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Der
irrationale Rest
In Schönheit
scheitern
"Der irrationale Rest" von Thorsten
Trimpop (Forum) sucht Erinnerung und findet jedoch nur Schweigen. Dem Zuschauer
bleibt nur der rigorose Wille zum Stil als Trost
Reality TV meets deutschen Autorenfilm. "Konrad
Wolf"-Regisseur Thorsten Trimpop holte drei Leute vor die Kamera, zwei
Frauen und einen Mann, die 1987 eng befreundet waren, seitdem aber miteinander
kein Wort gewechselt hatten. Obwohl sie in derselben Stadt leben, Berlin. Die
Dreharbeiten: ein Menschen- und Beziehungsexperiment. Fazit: Sie haben sich
nichts zu sagen. Die Gesichter, meist in Großaufnahmen, sind nichts sagend.
Ist es auch der Film? Dann wäre mit dem Experiment auch der Film gescheitert.
Dem Zuschauer bleibt die Möglichkeit zu aktivem
Rezeptionsverhalten: in die stillen Gesichter hineinlesen, was sich an Assoziationen
anbietet. Sicherlich, die drei aus Pankow sind traumatisiert durch den Fluchtversuch,
den zwei von ihnen unternehmen. Mehrere Monate Knast sind die Folge. Der Dritten
werden von der Stasi Informationen zum Umfeld abgenötigt. Der Film seinerseits
versucht, die drei zum Reden zu bringen: Untereinander. Er begleitet sie bei
der Akteneinsicht. Auf der Spurensuche nach der Grenzanlage, dem Gefängnis,
der Schule, der Wohnung. Was wir hören, sind hilflose Statements. Das Reden
ist ihnen nicht gegeben. Oder es ist ihnen nicht danach zumute. Oder es waren
die falschen Fragen. Home Movies werden einmontiert, die Eltern ins Spiel gebracht.
Die Reaktion: zero.
Der Versuch des Regisseurs, Schicksal zu spielen,
zusammenzubringen, was zusammengehört, war wohl nichts. Aber in Schönheit
scheitern, auch das muss der aufmerksame Rezipient bedenken. Und wir bemerken:
den Willen zum rigorosen Stil. Die Kamera meidet Mobilität und übt
den Fotoblick. Am Anfang sieht man in einer langen Einstellung drei Gesichter
nebeneinander. Es wird Gelegenheit zur Einsicht gegeben, dass wir denen, die
jeder auf seine Art beherrscht blicken, nicht näher kommen werden. Nichts
lädt zur Identifikation ein. Das ist doch was. Also kann man die Probanden
Probanden sein lassen und frei im Film herumgucken.
Die Schlusstotale rückt die drei Experimentverweigerer
dann in den hintersten Hintergrund. Stecknadelgroß die Köpfe, aber
groß und nah die Holzbohlen auf dem leeren Damm in die Ostsee. Das ist
folgerichtig, das ist voll symmetrisch, das ist klasse cadriert. Das möchte
ich als Foto haben.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in der taz
Der
irrationale Rest
Deutschland
2005 - Regie: Thorsten Trimpop - Darsteller: Susanne Stochay, Susanne Lautenschläger-Leyh,
Matthias Melster - Länge: 95 min. - Start: 10.11.2005
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