zur
startseite
zum
archiv
Irrtum
im Jenseits
Inhalt:
Als
der britische Kampfpilot Peter Carter mit seinem Flugzeug nach einem Einsatz
über Deutschland abzustürzen droht, entscheidet er sich (ohne Hoffnung,
auf irgendeine Weise lebend aus seiner Maschine steigen zu können), ohne
einen Fallschirm aus seinem Flugzeug zu springen. Seine letzten Worte übermittelt
er per Funk der jungen Amerikanerin June, die sich in seine Stimme verliebt.
Doch wie durch ein Wunder stirbt Peter nicht, als er sich aus dem Flieger stürzt,
sondern findet sich auf der Erde wieder, wo ihm wie durch einen seltsamen Zufall
ausgerechnet June begegnet. Als sich beide ineinander verlieben, taucht ein
Bote des Himmels auf und berichtet von einem etwas peinlichen Irrtum, da Peter
eigentlich für "tot" vorgesehen war. Als Peter sich weigert,
dem Boten in den Himmel zu folgen, wird ein gigantischer Gerichtsprozess im
Jenseits aufgerollt, der entscheiden soll, ob Peter noch 50 Jahre Erdenleben
vergönnt sein sollen.
Kritik:
Binnen
von nur fünf Tagen kamen um die Weihnachtszeit des Jahres 1946 zwei der
besten Filme dieses Jahr in die New Yorker Kinos. Frank Capras It's
A Wonderful Life
(Ist
das Leben nicht schön?)
und Michael Powells und Emeric Pressburgers A
Matter Of Life And Death
sind in den vergangenen über 50 Jahren zu unsterblichen Klassikern des
populären Kinos geworden, konnten auf der ganzen Welt ihr Publikum rühren
und haben nicht nur in ihren nahe beieinander liegenden Veröffentlichungsdaten
manchen gemeinsamen Nenner. Beide Filme entstanden als die ersten großen
Meisterwerke ihres jeweiligen Landes nach dem Zweiten Weltkrieg, beide behandeln
das dunkelste Kapitel der Menschheit gleichermaßen beiläufig und
beide ordnen ihm - und darin liegt vielleicht ihre größte Ähnlichkeit
- ein Ereignis über, das verheerend irrelevant erscheint, gegenüber
dem Massentod während des Krieges. Der eine Film, eine klassische Geschichte
von der Tragikomik des "kleinen Mannes" und dem Traum von der großen
Welt, ist eine ganz typisch amerikanische Erzählung vom größten
Naiven des Kinos; der andere, geprägt von funkelndem britischen Charme
und latenter Schwarzhumorigkeit, berichtet darüber, wie die Liebe jede
Grenze sprengt und am Ende selbst die Urfesten des Universums erschüttert.
Beide Filme verleihen ihrer erzählerischen "Kleinigkeit" wie
durch einen gewaltigen Paukenschlag Belang durch die Einbringung einer "himmlischen
Intervention" - während jedoch Clarence den lebensmüden George
Bailey möglichst mit beiden Beinen auf der Erde belassen möchte, so
ist der mit französischem Akzent sprechende Himmelsbote aus A
Matter Of Life And Death
eher gegenteilig darum bedacht, Peter Carter so schnell wie möglich in
eine "bessere Welt" zu schaffen. Denn Peter Carter hat das im wahrsten
Sinne des Wortes göttliche System völlig durcheinander gebracht; hat
einen Fehler provoziert, der es ihm erlaubt, zu leben, obwohl er eigentlich
mausetot sein müsste. Beide Charaktere widersetzen sich den Ratschlägen
ihrer himmlischen Gäste und am Ende behält - zum Glück - doch
nur einer von ihnen die Oberhand. Hieraus ziehen beide Filme ihren immens lebensbejahenden
Charakter: It's
A Wonderful Life
und A
Matter Of Life And Death
repräsentieren all jenes, dessen die USA und Großbritannien als Heilmittel
für den Trübsinn der Nachkriegszeit bedurften - ein Kino der Leichtigkeit,
dessen Charaktere ähnliches durchlebten, wie sie selbst, und deren (filmisches)
Ende ihnen dennoch wieder einen Weg aufzeigt, auf dem nicht auch noch der letzte
Pfad dunkel ist.
A
Matter Of Life And Death
war die sechste Zusammenarbeit des legendären Regieduos Michael Powell
und Emeric Pressburger, unter deren Händen brillante Werke wie - einer
meiner Lieblingsfilme - The
Red Shoes
(Die
Roten Schuhe,
1948) oder The
Tales Of Hoffmann
(Hoffmanns
Erzählungen,
1951), die wohl herausragendste aller Opernverfilmungen, entstanden. Die Filme
der beiden Briten (wobei gesagt sein sollte, dass Pressburger eigentlich ein
gebürtiger Ungar war, dessen vorzügliche Kenntnis typisch britischer
Eigenschaften ihn schnell zum Freund und engsten Partner Powells machte), die
sie zumeist auch gemeinsam unter dem Label "The Archers" produzierten,
zählten zu den innovativsten und schönsten der 40er- und 50er-Jahre
und erweiterten stetig die Grenzen des technisch Machbaren. In ihren besten
Momenten gelangen ihnen und ihrem fast immer mit ihnen arbeitenden DoP (Director
Of Photography) Jack Cardiff Augenblicke, in denen die Zeit stillzustehen scheint;
in denen das Kino die Leinwand verlässt, und beginnt, um sich zu greifen.
Der Zenit dieser magischen Momente mag die atemberaubende, über fast zwanzig
Minuten ununterbrochen laufende Tanzszene Moira Shearers in The
Red Shoes
sein, in der P&P (so die häufig in Texten über sie verwandte Bezeichnung
für die beiden Regisseure) alle filmischen Mittel ausnutzten, um ein Konzert
für die Sinne zu bilden, in dem sämtliche "Instrumente"
des Filmemachens (von der Kameraführung, der Beleuchtung, der Kostüm-
und Requisitengestaltung bis hin zum Schnitt) einen der seltenen Fälle
von schier gänzlicher Harmonie erreichen. Powell und Pressburger waren
zwei Filmemacher, für die Douglas Sirks Zitat von Licht und Kamerawinkel
als den "lyrischen Werkzeugen" des Regisseurs in jeder Hinsicht von
Belang war. Ihre Filme bestehen ganz in sich selbst, in jener Welt, die nur
die Möglichkeiten des Kinos für uns auftun kann.
Die
Geschichte vom Piloten Peter Carter nun und seiner irdischen Liebe zur amerikanischen
Funkerin June, die durch eine Einmischung der himmlischen Kräfte nicht
geringfügig behindert wird, setzt schon in der Prämisse ein gewisses
Maß an Vorstellungskraft und die Aufgeschlossenheit gegenüber filmtechnischer
Grenzenlosigkeit (bedingt durch die fraglose "Wucht" des Themas) voraus.
Der Film beginnt denn auch, fast wie zu erwarten war, mit einer Einstellung
von monumentaler Größe: Die Kamera bahnt sich ihren Weg durch das
Weltall, Galaxien ziehen an uns vorbei; Sternenbilder, strahlend in den fast
übersättigten Schwarz- und Blautönen des schönsten Technicolor.
Der Sprecher aus dem Off erklärt uns, was wir sehen und als unsere Fahrt
auf die Erde zusteuert, wird er aufgeregter, erwähnt eine brennende deutsche
Stadt, die wir am rechten Bildrand erkennen können - klein und, im Kontext
der Gigantomie des Weltalls betrachtet, unbedeutend erscheint uns dieses Indiz
für den Krieg, der noch kurz vor der Fertigstellung von A
Matter Of Life And Death
tatsächlich tobte. Jedoch setzt sich unsere Reise aus den endlosen Weiten
fort, hinein in die klaustrophobischen Zustände eines britischen Bombers,
der, schwer getroffen und brennend, dem sicheren Absturz entgegentrudelt. Am
Steuer des Fliegers sitzt Peter Carter, gezeichnet von der Schwere des Einsatzes
und Gefechts. Seinen toten Partner neben sich liegen sehend spricht er ins Funkgerät
und seine Nachrichten dringen vor bis zu der Amerikanerin June. Als er ihr berichtet,
dass er sich aus seinem Flugzeug stürzen wird, weil er ohnehin dem Tod
geweiht sei, entbrennt zwischen beiden ein kurzes Gespräch von schmerzlicher
Tragik, das dennoch geprägt ist, von einem ganz subtilen, fast wehmütig
und dennoch lakonisch erscheinenden, britischen Humor: Wenn Peter June fragt,
wo sie geboren sei, setzt er verschmitzt hinterher, dass er sie dort sicherlich
einmal als Geist besuchen werde, und erkundigt sich leicht besorgt klingend
danach, ob sie auch sicher keine Angst vor Geistern habe. Es ist ein wundervoller
Dialog, weil sich in die Ausweglosigkeit der Situation eine bittere Schönheit
mischt, die dadurch zustande kommt, dass beide Figuren sich einander völlig
offenbaren, weil es das erste und zugleich letzte Mal sein wird, dass sie miteinander
sprechen können. Welche Rolle spielt es noch, was Peter einer ihm gänzlich
unbekannten Amerikanerin anvertraut, wenn er sowieso in wenigen Minuten nicht
mehr am Leben sein wird, und was kann man falsch daran machen, einem mit seinem
Tod konfrontierten, fremden Menschen völlig frei zu erzählen, wer,
wie und was man ist? Die wunderbare Offenheit des Gesprächs stilisiert
sich hoch bis hin zu eiligen Liebesgeständnissen in dem Moment, in dem
Peter sein Leben lassen soll: "I love you, June. You're life, and I'm leaving
it", ruft Peter noch die vielleicht bewegendste Zeile des Films in sein
Funkgerät und - stürzt sich hinaus.
"Flügel
oder Propeller?", diese während seines Sturzes immer wieder aus dem
Off eingesprochene Frage wird zum "Sein oder Nichtsein" für Peter
Carter, wenn er sich plötzlich an einem Strand wieder findet; in voller
Ausrüstung und lediglich entsprechend durchnässt. Und in der Tat scheint
eine Antwort auf diese Frage über einige Zeit eine etwas diffizile Angelegenheit
zu sein. Denn Peter wandelt für einige Minuten durch Natur belassene Sanddünen
und trifft letztlich auf einen unbekleideten, Flöte spielenden Jungen,
der mit einem Fingerzeig auf eine Frau deutet, die in einiger Distanz Fahrrad
fährt. Als Peter ihr näher kommt und sie anspricht, erkennt er sehr
schnell, dass es sich - wie durch einen tatsächlich "himmlischen"
Zufall bedingt - um June handelt. Natürlich setzt sich ihre Verliebtheit
in die Stimme des anderen auf allen anderen Ebenen fort und ihr Glück scheint
vollkommen, bis plötzlich und wie aus dem Nichts ein namenloser Bote des
Himmels vor Peter steht und ihm keck unterbreitet, dass ihnen "da oben"
ein Fehler unterlaufen sei, und Peter eigentlich gar nicht hier sein dürfe.
Der Bote ist augenscheinlich ein Franzose, gekleidet in den typischen Trachten
zur Zeit der französischen Revolution (während der er - wie wir etwas
früher im Film bereits erfahren haben - seinen Kopf verloren hat) und voller
Unverfrorenheit und gewiefter Hinterlistigkeit. Nichts lässt er unversucht,
um Peter, der zu seiner Verteidigung vorbringt, dass es bestimmt nicht seine
Schuld sei, wenn im Jenseits ein Irrtum unterläuft, und er deshalb absolut
das Recht habe, noch mindestens 50 Jahre auf Erden zu weilen, mit sich zu nehmen
und somit wieder auszugleichen, was erheblich schief gelaufen ist: Vom Angebot
einer Partie Schach (natürlich um Peters Leben) bis hin zum unter falschen
Vorzeichen stattfindenden Locken auf die "Rolltreppe zum Himmel" reicht
sein Repertoire und macht häufig einige der reizvollsten Momente des Filmes
aus.
Diese
Interaktion an den Grenzen zwischen Himmel und Erde gehört stets zu den
vor allem technisch beeindruckendsten Momenten von A
Matter Of Life And Death:
Denn während der Himmel, dessen Ratschlüsse und Entscheidungen wir
verfolgen können, in Schwarzweiß gefilmt ist (vielleicht ein kleiner,
farbtechnischer Verweis auf die rigorosen Spaltungen der Menschheit beim Jüngsten
Gericht?), erfährt die Erde eine Behandlung im leuchtendsten Technicolor,
für das die Filme von Powell und Pressburger ihrer Zeit - und auch heute
noch - eine immense Berühmtheit erfuhren. Wie gemalt wirken diese Einstellungen
auf der Erde; jede Farbe ist unverwachsen, klar und so intensiv, dass sie oftmals
beinahe überbetont wirkt. In der lustigsten Szene des Films, die wie ein
augenzwinkernder, kleiner Geltungsdrang seitens Powell und Pressburger wirkt,
beschwert sich der französische Himmelsbote kurz wörtlich (!) darüber,
warum es im Himmel denn nun kein Technicolor gebe. Wenn man A
Matter Of Life And Death
sieht, empfindet man diese Frage unweigerlich als berechtigt, denn wie könnte
der Himmel nur schöner sein, als in Technicolor?
Den
Höhepunkt in seiner technischen Entwicklung erreicht A
Matter Of Life And Death
dann aber ausgerechnet nicht in einer der irdischen Technicolor-Szenen, sondern
in jener Sequenz, in der Peter, ständig wandelnd zwischen Himmel und Erde,
in einem gewaltigen Amphitheater im Himmel der Prozess über Leben und Tod
gemacht werden soll. In dieser berühmten Szene bekommt der Film eine humoristisch
angehauchte Politebene zugedacht: Denn ausgerechnet der erste von einer britischen
Kugel getötete Amerikaner führt die Anklage gegen Peter, welcher sich
durch einen britischen, ihn hinsichtlich seines Nervenleidens (Peter hält
seine Himmelsbegegnungen den ganzen Film über für Halluzinationen
und es wird nie wirklich klar, ob er damit vielleicht sogar recht hatte) behandelnden
Arzt, der bei einem Unfall verstorben ist, vertreten lässt. Dieser Konflikt,
der auf einer herrlich polemischen Ebene im Film ausgetragen wird (der Amerikaner
spielt eine Radioaufzeichnung eines Cricketspiels ab, der Arzt die einer amerikanischen
Big Band), war seiner Zeit nicht von ungefähr: Das britisch-amerikanische
Verhältnis war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg etwas angespannt, und A
Matter Of Life And Death
intendierte ganz offenkundig, diese Spannungen zumindest in der Kunst zu lindern,
denn bei diesem fabelhaften Prozess kann man durchaus beiden Seiten Sympathien
abgewinnen und Powell und Pressburger vermieden es klugerweise, auch nur im
Entferntesten Stellung zu beziehen, und sich eindeutig einer der beiden Seiten
politisch zuzuordnen. Filme wurden bei Powell und Pressburger nie zu einem "Statement"
benutzt; sie verblieben ganz in ihrem "Zuständigkeitsbereich".
Dass dieser Zuständigkeitsbereich allerdings geradezu astronomisch ist,
zeigt uns A
Matter Of Life And Death
am Beginn seines Schlussviertels, kurz vor Anfang des Tribunals: In einer sterbensschönen
Szene fängt der Himmelsbote mit einer Rosenblüte eine Träne von
Peters Freundin June ein, während diese, wie alle, die nicht unmittelbar
mit dem Himmelsreich in Berührung stehen, während seiner Intervention
quasi "versteinert", als sie am Fenster zu jenem Operationssaal, in
dem Peter seines Nervenleidens wegen einer schwierigen Gehirnoperation unterzogen
wird, bangend wartet. Powell und Pressburger ziehen hierin so etwas wie einen
dialektischen Kreis mit dem Anfang: Unsere Reise aus dem Makro- in den Mikrokosmos
(vom Weltall, in die Erdatmosphäre, in Peters Flugzeug und damit quasi
hinein in das kleine Einzelschicksal) findet hier, in diesem traumhaften Augenblick
ihr Ende, denn nun scheint das ganze Universum in dieser einen Liebesträne
zu liegen, wie sie hineinfließt, in die Rosenblüte des Boten. Wir
wissen, dass diese Träne jener Schutzschild ist, der uns durch das Ende
des Films geleiten wird. Wir wissen auch, dass wir hierauf bauen können,
und dass nun in genau dieser einen Träne alle Kraft liegt, die die Geschichte
braucht, um jenes Ende zu erhalten, das wir ihr wünschen. Warum wir das
wissen, ist das Mysterium des Kinos und seiner größten Vertreter.
Janis
El-Bira
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Irrtum
im Jenseits
(A
Matter of Life and Death, 1946)
Regie:
Michael Powell & Emeric Pressburger
Premiere:
01. November 1946 (UK)
Drehbuch:
Michael Powell & Emeric Pressburger
Land:
UK
Länge:
104 min
Darsteller:
David
Niven (Peter Carter), Kim Hunter (June), Robert Coote (Bob), Kathleen Byron
(Ein Engel), Richard Attenborough (Ein englischer Pilot), Bonar Colleano (Ein
amerikanischer Pilot), Joan Maude (Protokollführer), Marius Goring (Himmelsführer),
Roger Livesey (Dr. Reeves), Robert Atkins (Der Vicar), Bob Roberts (Dr. Gaertler),
Edwin Max (Dr. McEwen), Betty Potter (Mrs. Tucker), Abraham Sofaer (Der Richter),
Raymmond Massey (Abraham Farlan)
zur
startseite
zum
archiv