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Island
of Lost Souls
Eine
entlegene Insel im Pazifik als Ort schrecklicher Experimente: Ein hervorragend
spielender Charles Laughton gibt den Dr. Moreau, der im „House of Pain“, einem
Schreckenskabinett von OP, das den Mengele bereits erahnen lässt, mit plastisch-chirurgischen
Eingriffen die Tiere sukzessive zum Menschen macht. Doch ist der Eingriff nicht
allein biologischer Natur: Auf wundersame Weise erlangen diese Bastarde der
Evolution auch Intelligenz und Artikulationsvermögen, wenn auch beides
im eingeschränkten Maße. In den umliegenden Dschungeln hausen bereits
die Ape Men in Siedlungen nach indigener Art, sie sind wild anzusehende, von
der Kamera im vollen Bewusstsein des grellen Effekts inszenierte Kreaturen,
die sich im steten Widerstreit zwischen animalischer Natur und zivilisatorischem
Befriedungsprozess befinden. An ihrer Spitze: Ein zunächst nur an seinem
bewusst eingesetzten Akzent erkennbarer (und in den Credits übergangener)
Béla Lugosi, der seine Schicksalsgenossen wiederholt zu Kultur und Ethik
aufruft, zum Ende hin aber, wenn die Wesen den Aufstand gegen ihren Herren wagen,
als Rädelsführer auftritt.
Dieses
Laborexperiment unter natürlichen Umständen mit den Mechanismen der
Evolution wird durch den Aufritt eines Fremden jäh erschüttert. Parker
ist ein Schiffbrüchiger, den es unter etwas verzwickten Umständen,
für deren Schilderung die Exposition sich zunächst lange Zeit nimmt,
auf die Insel verschlägt. Doch Moreau wittert seine große Chance:
Sein ganzer Stolz ist Luta, eine bereits ansehnlich vollendete Pantherfrau,
die er mit Parker konfrontiert, um zu sehen, ob ihre Menschwerdung bereits dahingelangt
sei, dass sich auch leidenschaftliche und nicht zuletzt sexuelle Gelüste
zur frisch beigetretenen Spezies einstellen. Und es gelingt: Zwar bleibt der
adrette und leider Gottes eben auch verlobte Parker auf Distanz – die Kopulation
und der erhoffte Nachwuchs stellen sich nicht ein –, doch ist das bemitleidenswerte
Wesen dem jungen Mann vom ersten Anblick an hoffnungslos verfallen. Unterdessen
trifft auch Parkers Verlobte samt Rettungsteam auf der Insel ein. Doch Moreaus
Pläne erweisen sich als flexibel ...
Island
of Lost Souls
ist ein in mancher Hinsicht vielleicht krude, aber höchst effektiv inszenierter
Film. Wie so oft im Horror- und Gruselkino ist auch hier der hermetisch geschlossene
Eindruck nachrangig, es zählen vor allem jene Momentinseln, die den Zuschauer
regelrecht anspringen. Momente der empfundenen Leere mögen dabei nur Wegbereiter
für die Qualität des Bruchs mit der im klassischen Kino auf innere
Geschlossenheit abzielenden Diegese darstellen. In seinem vielzitierten Aufsatz
„Kino der Attraktionen“ hat der Filmwissenschaftler Tom Gunning diese Geschlossenheit
als konstituierenden Aspekt des klassisch-narrativen Films hervorgehoben. In
Island
of Lost Souls
wird diese in schöner Regelmäßigkeit und mit viel Gewinn durchbrochen:
Seien es Dialoge zwischen Moreau und Parker, die in härtester Form des
Schuss-/Gegenschussverfahrens – in zwei direkte Gegenüberstellungen mit
dem direkten Blick in die Kamera – aufgelöst werden, oder aber das „Erstürmen
der Kamera“ durch die Ape Men am Ende des Films: In schöner Regelmäßigkeit
begeht der Film Übergriffe auf den Zuschauer, der oft genug ob der direkten
Ausrichtung der Bilder gegen ihn selbst sich in den Sessel drückt. Das
Grobe der schrecklichen Fratzen wird dabei durch die konsequent schattierende
Ausleuchtung hervorgehoben – mag Island
of Lost Souls
oft grobschlächtig wirken (vor allem auch aufgrund zahlreicher unterschlagener
Geräusche der Diegese; man war seinerzeit noch nah am Stummfilm), so erweist
sich doch gerade in dieser formalen Gestaltung das vielleicht nicht intellektuell
motivierte, aber intuitive Gespür für Effizienz.
Wie
viele andere Horrorfilme jener Zeit ist auch Island
of Lost Souls
natürlich nahe ans Melodram geschmiegt. Die These vom Gruselkino als Simulationsraum
für das Eintreten des "Anderen" ins Gefüge, das aus rein
ideologischen Gründen aus jenem wieder zu bannen sei, ist zumindest für
das frühe klassische Horrorkino in dieser rigorosen Form nicht haltbar.
Wie in Freaks, wie
in Frankenstein, ein
bisschen auch wie in King
Kong
gilt auch hier die solidarische Empathie vorrangig den Ausgestoßenen,
geradewegs romantische Wehmut löst die Mensch gewordene Pantherfrau aus,
die an ihren Zurückweisungen zugrunde geht und am Ende das Selbstopfer
wagt, nicht nur um dem Geliebten die Flucht zu ermöglichen, sondern auch,
um ihrer eigenen Tragödie zu entkommen. Gerade auch im überdeutlich
inszenierten Kontrast der ausgestellten Kolonialherren-Zivilisiertheit des Dr.
Moreau zu den anthropomorphisierten Kreaturen eröffnet der Film ein weites
Feld an weiterführenden Diskursen, die nicht allein auf das Gruselkino
beschränkt bleiben. Die Allegorie zu kommunistischen Erhebungen, zumal
in jenen politisch unsicheren Tagen, drängt sich förmlich auf und
wird von den Dialogen entschieden grundiert. Ein Plädoyer ist Island
of Lost Souls
dennoch nicht, im Gegenteil positioniert er sich zwar resignativ, doch auch
nicht konservativ. Sein Ausblick ist düster, die schlechte Kopie des Films,
die hier gezeigt wurde, unterstrich dies noch im Optischen.
Thomas
Groh
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Island
of Lost Souls
USA
1933
Länge:
71 min
Produktionsfirma:
Paramount Pictures
Regie:
Erle C. Kenton
Drehbuch:
H.G. Wells (Roman: Die Insel des Dr. Moreau); Waldemar Young, Philip Wylie
Musik:
Arthur Johnston, Sigmund Krumgold
Kamera:
Karl Struss
Künstlerische
Leitung: Hans Dreier
Maske:
Wally Westmore
Ton:
M.M. Poggi
Spezialeffekte:
Gordon Jennings
Darsteller:
Charles
Laughton .... Dr.
Moreau
Richard
Arlen .... Edward Parker
Leila
Hyams .... Ruth Thomas
Kathleen
Burke .... Lota,
die Pantherfrau
Arthur
Hohl .... Montgomery
Stanley
Fields .... Captain Davies
Paul
Hurst .... Captain Donahue
Hans
Steinke .... Ouran
Tetsu
Komai .... M'ling
George
Irving .... Amerikanischer Konsul
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