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The
Isle
Haken
im Reich der Sinne
Wo
Ich ist, soll Stein werden: Der koreanische Filmregisseur Kim Ki-Duk schafft
mit "The Isle" schwer zu ertragende Bilder, in denen die brutale Gewalt
gegen Tiere mit totaler Vereinsamung einhergeht
Die
Landschaft liegt verletzlich da, wie in einem Vorzustand kultureller Zuschreibung.
Ein mystisches, halb reales Panorama, dessen Wattigkeit die geografischen Senken
und Erhöhungen in Unschärfe taucht. Nasskalte Nebelbänke haben
sich wie ein Schutzmantel über diese archaische Szenerie gelegt; die Berge,
der See, der Horizont scheinen sich dem Blick des Betrachters entziehen zu wollen.
Unberührt und märchenhaft wirkt der See am Ende der Zivilisation,
alle Konturen sind hinter der fleckigen Blässe der Grauschleier verschwunden.
So
unzweideutig ist dieses Stillleben perfekter Natürlichkeit, dass man unwillkürlich
versucht ist, subjektive Befindlichkeiten in eine solche Landschaft hineinzuprojizieren:
Vor uns liegt das menschliche Unterbewusstsein als präzivilisatorische
Matrix. In der fragilen Anordnung kleiner, sich aus dem matten Gewaber erhebender
Inseln wird die Symbolhaftigkeit dieser Natur augenscheinlich. Die Inseln, auf
Flößen schwimmende Hütten, über den See verteilt, ragen
als isolierte Enklaven des Begehrens aus den dichten Nebeln dieser urzuständlichen
Seelenlandschaft heraus. Doch der Blick stört sich an diesen Marken einer
Außerweltlichkeit. Und auch die Kamera beginnt gegen die landschaftliche
Überwältigung in der psychosozialen Ordnung nach den Bruchstellen
dieses eskapistischen Ortes zu suchen.
Ein
fataler Realitätsabgleich. Der Eindruck absoluter Freiheit täuscht.
Die Idylle in dem koreanischen Film "The Isle" entpuppt sich bei näherem
Hinsehen als kleine Anglersiedlung, in die sich einige handfeste Zivilisationskrankheiten
eingeschleppt haben. Der neugierige Blick in die geheimnisvolle Welt von Hee-Jin
(Suh Jung), die dieses Refugium am Ende des Nirgendwo verwaltet, offenbart nicht
die erwartete mythische Verdichtung. Es gibt keinen Fluchtpunkt mehr, nur noch
nüchternes und brutales Funktionieren. Ohne Worte bewegt sich die junge
Frau wie in einer Schneekugel durch das Terrain: Tagsüber transportiert
sie mit dem einzig vorhandenden Boot Angelutensilien, Nahrung und Prostituierte
für die ausschließlich männlichen Bewohner ihrer Siedlung; nachts
treibt es sie wieder auf den See, wo sie sich für etwas körperliche
Nähe an die Gäste verkauft.
Es
fällt nicht leicht, sich auf die Gefühlslage des koreanischen Regisseures
Kim Ki-Duks einzulassen. "The Isle", dem seit seinem ersten Festivalauftritt
der Ruf des Skandal- und Kultfilms vorauseilt, ist ein harter Brocken weitab
von den Konventionen, die man vom asiatischen Autorenkino bereits gewohnt ist.
Formal rangiert "The Isle" mit den für das asiatische Kino typischen
Ikonen eines poetischen Isolationismus durchaus in der Nähe von seriösen
Großfestivalstoffen, während seine Bilder bereits einen inhumanen
Fatalismus verinnerlicht haben, wie man es zwar gerne öfter sehen möchte,
wohl aber nicht allzu oft ertragen könnte. Da prallt eine reiche Bildermythologie,
deren westlicher Ursprung zwischen Sozialrealismus und Surrealismus noch gerade
so entschlüsselbar bleibt, auf eine regelrecht öbszöne Verstocktheit,
diese visuelle Eloquenz auch auf zwischenmenschlicher Ebene umzusetzen.
Zwischen
den Figuren herrscht hilfloses Schweigen, jeder Versuch von Kommunikation zieht
unweigerlich ein Bild der Zerstörung nach sich. Entweder weil Kommunikation
schlicht unmöglich geworden ist, oder weil sie sich nur noch als Ausdruck
dumpfer Frustrationen äußert.
Die
andere Form von Beziehungen in "The Isle" ist dagegen Ausdruck rigider
Männlichkeit. Die Lebenswelt, in der Ki-Duks Figuren angesiedelt sind,
ist eine einzige soziale Katastrophe. Fette, stinkende Managertypen, die ihren
Darminhalt in den See kacken, ficken ihre Gespielinnen unanständig wie
ein Stück Fleisch; schmierige Zuhälter treten ihre Nutten mit Füßen
zur Arbeit usw. … Permanent schlagen körperliche Annäherungsversuche
in blindwütige Eskalationsszenarien um, deren entfesselte Gewalt schockierend
ziellos bleibt.
Noch
mehr als die misogynen Unterströmungen seines Plots hat man Kim Ki-Duk
allerdings die Misshandlung von Tieren in "The Isle" vorgeworfen.
Vor allem mit diesem Tabubruch, der im Westen eine fassunglosere Abscheu erzeugt
als die sexualisierte Gewalt, scheint Ki-Duk die vage Resthoffnung auf eine
intakte Wertegemeinschaft zu verwerfen. Auf zweierlei Ebenen, denn der Tod der
Tiere im Film ist kein Special Effect: Vögel werden ersäuft, Fische
zerhackt, Frösche zerrissen. Die verschiedenen Fälle von "Tier-Snuff"
liefern in der sadistischen Gedankenlosigkeit ihres Vollzugs allerdings nur
das stimmungsvolle Vorspiel für ein eklatantes Unvermögen, zwischenmenschliche
Zuneigung zu kommunizieren.
Der
Fisch gilt in der asiatischen Kulturgeschichte als Symbol für Liebe; in
"The Isle" wird seine permanente Zerstörung zum Bild einer auch
physischen Bankrotterklärung. Ein Fisch wird gefangen, als kleiner Snack
zwischen zwei Ficks lebendig tranchiert und wieder in die Freiheit entlassen.
Mit starker Schlagseite schwimmt er davon. Später wird er erneut gefangen,
aber das Fundstück ist in seinem Todeskampf zu wirklich, zu erhaben, um
endgültig vernichtet zu werden. Wieder wandert er in hohem Bogen in den
See: Weiterleben als Bild ultimativer Grausamkeit.
Die
Eskalation des Sozialen führt bei Ki-Duk konsequenterweise in eine Region
vorrationaler Körperwelten: dem Slasher-Film. In den mythischen Sphären
von "Dont go in the Woods"-Splatterfantastereien à la "Freitag
der 13." oder "Tanz
der Teufel"
wird Hee-Jin zu "Ms. 45", der stummen Rächerin aus Abel Ferraras
gleichnamigem Selbstjustiz-Thriller, und beginnt mit trotziger Wut für
ihre Würde zu kämpfen. Schauplatz der gewalttätigen Übergriffe,
dem emotionalen und kommunikativen Scheitern, der aggressiven Selbstermächtigungen
sind immer wieder die schwimmenden Hütten, in denen das angestaute und
fehlgeleitete Begehren langsam zu vollem Wahn aufläuft. Im Mittelpunkt
steht die Insel von Hyun-Shik (Kim Yoo-Sik), einem ehemaligen Polizisten, der
nach dem Mord an seiner Frau und deren Geliebten in mönchischer Isolation
seiner Strafe entgegensieht. Als er sich umbringen will, rettet ihm Hee-Jin
mit einem Angelhaken das Leben. Sie beginnt ihn zu pflegen, und zwischen beiden
entwickelt sich eine eigentlich zarte Liebe, die bald nur noch von selbstzerstörerischen
Energien zehrt.
Doch
selbst für den Asienkino-geschulten Blick, der sich bereits an dessen japanischen
Vertretern Takeshi Kitano, Shinja Tsukamoto, Kazuyoshi Kumakiri ("Kichiku")
und Takashi Miike abgehärtet hat, liefert der drastische Irrealismus Kim
Ki-Duks nur mehr vage Interpretationsvorlagen. Die Bilder von Kim Ki-Duk evozieren
die Frage, ob es vielleicht tatsächlich so etwas wie ein spezifisch asiatisches
Bildergedächtnis geben kann, aus dem heraus ein Film wie "The Isle"
seine stilistische Dringlichkeit gewinnt. Dazu gehören Distanz, Gewalt
und eine schockgefrostete Emblematik der Vereinsamung, zu der die besagten Regisseure
keinen Bezug mehr finden außer Verachtung.
Diese
Mittel haben im asiatischen "Extreme Cinema" der letzten Jahre - wenn
man denn in einer bestimmten filmischen Form des aktuellen japanischen, koreanischen
oder thailändischen Kinos gleich einen gesamt-asiatischen Brutalismus lesen
will - immerhin die Qualität entwickelt, ästhetische Zustände
in einer kalten, aber ergreifenden Bildsprache erzählbar zu machen. Seltsame,
verstörende, abstoßende Sinnlichkeitsfragmente, die das Inhumane
und das Schöne so zwingend zur Überlagerung bringen, dass sich so
etwas wie eine "poetische Abstraktion" einstellt, wie Ki-Duk seine
filmische Praxis einer "Topografie des Psychosozialen" nennt. Wenn
Hee-Jin und Hyun-Shik im Chaos ihrer gegenseitigen Abhängigkeit irgendwann
zum Angelhaken greifen, entlädt sich die Unverhältnismäßigkeit
zwischen Psyche und Sozialkontinuum gleich kathartisch.
Hyun-Shik
unternimmt einen weiteren Selbstmordversuch, als er sich von der Polizei entdeckt
glaubt, schluckt ein Bund Angelhaken und reißt sie sich aus dem Körper.
Wieder rettet Hee-Jin ihn. Und wie beim tranchierten Fisch führt die Erhabenheit
der Agonie auch hier zu einem Akt der Gnade: der Vereinigung der Körper.
Das Hecheln der Todeskampfes geht über in lustvoll-orgiastisches Stöhnen.
Auch die Angelhaken haben etwas sehr Wirkliches in dieser schmerzvollen Isolation:
Zusammengelegt ergeben zwei ein blutiges Herz.
In
seiner visuellen Verbindlichkeit tangiert "The Isle" also immer wieder
neuralgische Problemzonen des Miteinander, die man durch die Filme von Kitano
& Co bisher als scheinbar typisch japanisch verstanden geglaubt hatte: Diese
Störung vermittelt sich bei Ki-Duk aber eben nicht primär anhand der
denunziatorischen Gewalt gegenüber Frauen - auch wenn die in seinen Filmen
fast immer Prostituierte sind. Um die Frage, in welchem Kontext die männliche
Gewalt in Ki-Duks Filmen funktionalisiert wird, zu beantworten, stößt
man zwar auf seine prägnanten Bilder. Doch die Isoliertheit der einzelnen
Sequenzen erzeugt ein taubes Klima der Ohnmacht in "The Isle". Ki-Duk
versucht kaum zwischen den Einstellungen zu vermitteln; nie stellt sich Kommunikation
über die Montage her, sodass der Film sukzessive zu einem unheilvollen
Groove findet.
Das
Ideal der Liebe wird bei Ki-Duk schließlich zum ambivalenten Bild einer
totalen Naturgläubigkeit, in dem aber auch die harte Symbolik der Eröffnungssequenz
nachhallt: als Übereinkunft von Körper, Geist und Natur. Der Mann
kann erst mit der Frau eins werden, als ihr Körper bereits mit der Landschaft
verschmolzen ist. Das Dämmern des Todes ist die letzte Zuckung des erfüllten
weiblichen Körpers.
Andreas
Busche
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in der taz
The
Isle
Korea
2000 - Originaltitel: Seom - Regie: Ki-Duk Kim - Darsteller: Suh Jung, Yoosuk
Kim, Jae Hyun Cho, Hang-Seon Jang, Sung-hee Park - FSK: ab 16 - Fassung: O.m.d.U.
- Länge: 82 min. - Start: 17.1.2002
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