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Iwan
der Schreckliche
„Iwan grosny“,
zu Deutsch „Iwan der Schreckliche“ war Sergej Eisensteins letztes Werk und es
blieb durch den Tod des Regisseurs unvollendet. Eisenstein plante eine Trilogie,
konnte aber nur die ersten beiden Teile fertigstellen. Nur der 1. Teil wurde
1945 aufgeführt, der 2. Teil fand keine Gnade in Stalins Augen und verschwand
in den Archiven, obwohl Eisenstein Selbstkritik übte und Änderungen
vornehmen wollte. Zu deutliche Parallelen fand der Diktator zu seinem eigenen
Regime. Erst 1958, in der Tauwetterperiode unter Chrustschow, wurde der Film
der Öffentlichkeit vorgestellt.
Eisenstein plante
das Leben Iwans IV zu verfilmen, jenes Zaren, der im 16. Jahrhundert von Moskau
aus mit der Einigung und Expansion Russlands begann. Der Film will jedoch nicht
dokumentarisch sein. Eisenstein ging im Gegenteil sehr frei mit den historischen
Fakten um und stilisierte sein Bild Iwans heraus, eines Iwan, der allein die
Verantwortung für die historische Mission Russlands tragen muss. Das Schicksal
des ganzen Landes ist ihm aufgebürdet. Dies war die Parallele, die Stalin
erwartete. Doch zur Erfüllung seiner Mission muss Iwan sich über die
Tradition und über das Leben seiner Untertanen hinwegsetzen. Das Ziel ist
nur mit Terror zu erreichen. Trotz aller Propaganda, die das Werk enthält,
wird hier die Fratze einer Staatsräson sichtbar, die für Stalins Selbstverständnis
zu ungeschminkt war.
Der erste Teil
des Films beginnt damit, dass Iwan (Nikolai Tscherkassow) sich selbst zum Zaren
krönt. Der Zuschauer sieht ihn zuerst nur von hinten, dann nur die Krone
und endlich Iwan selbst, ein starres maskenhaftes Gesicht. Iwan ist von Anfang
an von Feinden umgeben, das macht Eisenstein uns deutlich. Er zeigt uns die
lauernden und finsteren Gesichter der russischen Adligen, der sogenannten Bojaren
und der europäischen Gesandten in Großaufnahmen. Ihnen setzt Iwan
eine programmatische Rede entgegen: Er will die Vorrechte der Bojaren abschaffen,
die Kirche zu Abgaben zwingen und die russische Erde den Okkupanten wieder entreißen.
Die Entfaltung dieses Programms ist der Inhalt des Films. Die Trilogie sollte
damit enden, dass in den letzten Bildern der Zugang Russlands zum Meer gefeiert
würde. Diese Apotheose war als Rechtfertigung aller Opfer geplant.
Der Film hat eine
ganz eigene Bildsprache, die nichts mehr gemein hat mit jenem Meister der Montage,
als der Eisenstein in die Filmgeschichte eingegangen ist. In „Iwan der Schreckliche“
ist alles stilisiert. Es gibt keine spontane Bewegung nicht einmal einen spontanen
Blick. Im Gegenteil sind es gerade die Gesichter, die einen großen Teil
zu der pathetischen Atmosphäre des Films beitragen. Weit aufgerissene Augen,
in die Ferne gerichtete Blicke, höhnisch verzogene Mundwinkel, theatralische
Gesten - die Figuren stellen in jedem Augenblick ihre Emotionen und Absichten
mit dem ganzen Körper dar. Unterstützt wird dies durch den meisterhaften
aber exzessiven Einsatz von Licht und Schatten. Gerade Iwans Auftreten wird
oft von seinem überlebensgroßen Schatten eingeleitet. Es ist die
Ästhetik des Stummfilms in vollendeter Form, die Eisenstein hier verwendet.
Doch „Iwan der Schreckliche“ ist kein Stummfilm. Die Rede oder besser Deklamation
spielt eine entscheidende Rolle. Es ist diese Mischung aus Stummfilm-Ästhetik
und pathetischer Rede, die dem Film seinen eigenartigen Charakter verleiht.
Die Musik Prokofjews trägt das Ihre dazu bei.
Vieles in diesem
Film wirkt bühnenhaft, nur dass der Vorhang durch den Schatten ersetzt
ist. Personen treten auf, wie im Theater, sie stehen bei Dialogen neben- oder
übereinander und blicken zum Zuschauer, wie auf der Bühne, etwa bei
den häufigen Einflüsterungsszenen. Dieser theaterhafte Eindruck verstärkt
sich noch, wenn durch eintreffende Boten von auswärtigen Ereignissen berichtet
wird. Wie auf der Bühne nimmt Iwan von verlorenen Schlachten Kenntnis.
Der Film handelt bis auf wenige Szenen in den Gemäuern des Kremls. Die
Architektur spiegelt die bedrohliche Handlung. Es gibt höhlenartige Gänge
und Hallen, erleuchtet von Kerzen und Fackeln, Türöffnungen sind so
niedrig, dass man sich bücken muss. Jeder Augenblick des Films ist seiner
Botschaft untergeordnet. Keine Figur ist einfach ein Mensch, sondern jede hat
eine Funktion, ist Repräsentant einer Klasse oder einer Idee. Die Bojaren
sind eine gleichförmige Masse, gleich gekleidet, mit den gleichen Bärten.
Einzig ihre Wortführerin, Iwans Tante Jewrosinja (Serafima Birman) ragt
als Intrigantin heraus. Ihr einziges Ziel ist es, Iwan durch ihren schwachsinnigen
Sohn Wladimir (Pawel Kodotschnikow) auf dem Zarenthron zu ersetzen. Dieser Wladimir
steht als einziger ganz unbedarft zwischen allen Intrigen und Kämpfen,
er ist der reine Tor und damit auch ein Gegenbild zu Iwan, der sein ganzes Leben
seinem Ziel unterordnet.
Alle Vertreter
des Adels sind stilisiert, sie bewegen sich verhalten, ihre Gesichter gleichen
Masken. In deutlichem Kontrast dazu steht das einfache Volk, hier sehen wir
lebendige Bewegungen und lachende Gesichter. Das Volk ist die Basis für
Iwans Pläne. Wie ein Lenin steht er inmitten der Menge und hält eine
Rede. Iwan sieht sich als Verkörperung der Einheit des Volkes, nur einen
Willen kann es geben und dieser Wille ist Iwan. Das Volk ist begeistert und
stimmt ihm zu. Doch sobald die Vertreter des Volkes in Iwans Bereich eintreten,
erstarren auch sie zu Masken.
Der 1. Teil des
Films zeigt den Aufstieg und die Krise Iwans. Er führt einen siegreichen
Krieg gegen die Tartaren von Kasan, doch im Inneren ist er nur von Feinden umgeben.
Selbst seines einzigen Freundes Kurbski (Michail Naswanow), der das Heer führt,
kann er sich nicht sicher sein. Seine Frau Anastasia (Ludmilla Zelikowskaja)
wird vergiftet und als Iwan schwer erkrankt, ist keiner der Bojaren bereit,
seinem Sohn die Treue zu schwören. Iwan verlässt Moskau, um auf den
Ruf des Volkes zu warten. Die letzte Einstellung des 1. Teils zeigt uns im Hintergrund
eine lange Prozession des Volkes, das kommt, um Iwan zurückzurufen. Doch
beherrscht wird das Bild von Iwans entschlossenem Gesicht in Großaufnahme.
Was bereits im
1. Teil angedeutet wurde, wird im 2. Teil entfaltet. Iwan findet neue Getreue
aus dem Volk, allen voran seine Helfer Maljuta (Michail Sharow) und Basmanow
(Anwrossi Butschma). „Umgib dich mit neuen Menschen, solchen die von unten kommen,
solchen, die dir alles verdanken“, raten sie ihm. Und Iwan schafft sich aus
jungen Männern aus dem Volk seine Elitetruppe, die Geheimpolizei der Opritschnina.
Es ist eine gesichtlose dämonische Truppe, gehüllt in schwarze Kutten,
die einen „eisernen Ring“ um den Zaren bildet. Diese Männer sind Iwans
Vollstrecker. Die ersten Bojaren werden verhaftet und hingerichtet. Und Iwan
verkündet mit drohender Stimme: „Von heute an werde ich so sein, wie ihr
mich nennt, schrecklich werde ich sein.“ Eisenstein zeigt auch die Kehrseite
dieser Machtfülle. Iwan hat keinen Freund mehr, er klagt, dass er einsam
und verlassen sei. Dies alles, der Terror der Opritschnina und Iwans Einsamkeit
sind der Preis für sein großes Ziel: die Einheit Russlands. Eisenstein
stellt sich in den Dienst der Propaganda, doch er zeigt zugleich die Schatten.
Aber Propaganda verträgt nur Pathos, keine Wahrheit. Das konnte Stalin
ihm nicht verzeihen.
Dramaturgisch fällt
der 2. Teil deutlich gegen den ersten ab. Motive werden geknüpft, die keine
Fortsetzung finden, Figuren werden eingeführt, um gleich wieder zu verschwinden,
so wie Iwans früherer Freund Fjodor (Andrej Abrikossow), der Priester wurde.
Dies würde sich vielleicht anders darstellen, wenn der geplante 3. Teil
noch vollendet worden wäre. In der vorliegenden Form bleibt das Werk ein
Fragment. Der Film endet mit einem rauschenden Fest, bei dem die verbliebenen
Bojaren Iwan ermorden lassen wollen. Der schwachsinnige Wladimir, der zum Nachfolger
bestimmt ist, wurde auch eingeladen und plaudert Iwan gegenüber alles aus.
Er ist der Narr, der als einziger nicht lügen kann. Iwan lässt ihm
die Zarenkleider anlegen und so wird Wladimir an seiner Stelle ermordet und
für Iwans Machtentfaltung gibt es keine Grenze mehr.
Dieses letzte Viertel
des Films, die Fest-Szene, wurde von Eisenstein in Farbe gedreht, während
der ganze übrige Film in Schwarzweiß gehalten ist. Die bei Icestorm
erschienene deutsche DVD-Ausgabe zeigt diese Szenen aber leider auch nur in
Schwarzweiß, wobei das Bild in diesen Passagen verschwommen wirkt. Das
ist umso bedauerlicher, als die entsprechenden Szenen in einer Fernsehausstrahlung
bereits in Farbe gesendet wurden. Eine Originaltonspur sucht man auch vergeblich.
Leider mangelt es hierzulande noch immer an der nötigen Achtung für
den Begriff Filmkunst.
Siegfried König
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Iwan
der Schreckliche
Iwan Grosny
UdSSR 1944 und 1958, Regie: Sergej M. Eisenstein, Buch: Sergej M. Eisenstein, Kamera: Andrej Moskwin, Edouard Tissé,
Musik: Sergej Prokofjew, Produzent: Sergej M. Eisenstein. Mit: Nikolai Tscherkassow,
Ludmilla Zelikowskaja, Serafima Birman, Michail Sharow, Pawel Kodotschnikow,
Anwrossi Butschma, Michail Kusnezow, Andrej Abrikossow, Michail Naswanow, Pawel
Kadotschnikow, Alexander Mgebrow, Michail Michailow, Wsewolod Pudowkin, Pawel
Massalski.
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