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Izo
Die
zeitlose Spirale der Gewalt
Aufnahmen
eines alten Aufklärungsfilms: Pollution, Befruchtung, Geburt. Das Bild
eines Neugeborenen geht in einer Parallelmontage über in eine Szene im
Japan des 19. Jahrhunderts. Ein Herzschlag bestimmt den Rhythmus der Schnitte.
Die Kamera nähert sich aus einer Totalen einem Mann der an ein Kreuz gebunden
ist und bleibt schließlich in der Halbnahen auf seinem Gesicht stehen.
Der Mann öffnet die Augen, der Herzschlag verstummt. Der Gekreuzigte wird
von zwei Männern mit Lanzen zu Tode gefoltert. Nun sehen wir einen erschreckenden
Bilderbogen historischer Aufnahmen: Soldaten und Opfer des zweiten Weltkriegs
in Japan, Hitler und Stalin, dazwischen ein groteskes 50er-Jahre-Rummelplatz-Idyll,
die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und schließlich eine Straßenszene
in strahlendem Rot. Dazu hört man ein rückwärts laufendes Gitarrenstück,
das den schnell aneinandergereihten Bildern einen geradezu hypnotischen Sog
verleiht. Die Motive dieser Pre-title-Sequenz, Geburt und gewaltsamer Tod, werden
sich von nun an, anstatt einer linearen Handlung, in ewiger Wiederholung durch
den Film ziehen. Auch die völlige Diskontinuität von Zeit und Raum
die Izo bestimmen wird, deutet sich hier bereits an. Schließlich werden
wir auch dem Gitarrenspieler wieder begegnen, mit seinen klagenden Balladen
wird er, mal aus dem Off, mal auf der Szene anwesend, das Geschehen kommentieren.
Die
Titelfigur, Izo, wurde als Anhänger einer rebellischen Bewegung im 19.
Jahrhundert hingerichtet und ersteht nun als Rachegeist zwischen den Müllbergen
einer heruntergekommenen Gasse wieder auf. Sofort zeigt sich seine Isolation,
wie ein schwarzer Fleck wandelt er in Ledermontur und Henkermaske durch das
ewige, flackernde und blinkende Lichtermeer der Großstadtstraßen.
Von
nun an wird er immer wieder neu geboren werden. Durch einen endlosen Geburtskanal
wird er in sich in einer tropfsteinhöhlenartigen Grotte mit einer mysteriösen
Urmutter selbst zeugen. Er wird durch Zeit und Raum gespült werden, mal
durch Fluten von Fruchtwasser, mal wie von Geisterhand oder durch eines der
allgegenwärtigen Zeitlöcher. Und immer wird er an Orten erwachen,
an die er nicht gehört. In einer endlosen Abfolge von Schwertkämpfen
wird er Soldaten, Samurais, Gangster, Schulklassen, Vampire, Priester, Herrschereliten,
u.v.a. vernichten. Die verschiedenen Zeitebenen verschwimmen dabei immer wieder,
so kämpft er auf einer nächtlichen Autobahn gegen zwei Samurais und
bringt in einem archaischen Dorf aus Bambushütten ein SWAT-Team zur Strecke.
Wie
schon in früheren Filmen Miikes stellt sich die Gewalt als letzter, verzweifelter
Hilferuf eines Ausgestoßenen dar. Ob in einem hemmungslos sadistischen
Mädchen, dass eine Familie vernichtet (in Audition) oder
einem verstörten Antisuperhelden der sich durch ganze Yakuzaarmeen metzelt
(in Ichi
- The Killer),
in seinen Figuren sieht der Regisseur immer vor allem ein mit seiner grenzenlosen
Angst allein gelassenes Kind, das mit Hilfe der Gewalt vergeblich versucht,
seiner grenzenlosen seelischen Isolation zu entfliehen. Stereotype, psychoanalytische
Erklärungsmuster werden dabei oft nur scheinbar bedient, um schließlich
im Sand zu verlaufen. In Izo wird
der unbesiegbare Krieger zum ewigen Verlierer im Kampf gegen seine eigene Einsamkeit.
Im
Unterschied zu früheren Filmen wird hier allerdings sowohl auf eine stringente
Erzählung als auch auf eine Charakterzeichnung der Figuren verzichtet.
Dies wirkt allerdings nicht innovativ, sondern verstärkt zunächst
nur den Nummernrevuecharakter, der Splatter- und Samuraifilmen tendenziell innewohnt.
Auch Genre- und Miikefans dürften sich von der Monotonie der Kampfszenen
in Izo irgendwann
gelangweilt zeigen. Mit philosophischen Einlagen und einer poetischen Bildsprache
wird versucht dies wettzumachen, was allerdings durch die substanzielle Banalität
seiner Aussage wiederum fehlschlägt. Izo erzählt,
unter der schillernden Oberfläche im Prinzip nichts weiter, als dass Gewalt
nur neue Gewalt erzeugt. Ausgehend von der Kreuzigung zu Beginn des Films, in
der die phallische Qualität der Lanze hervorgehoben und der Akt des Tötens
als Penetration, als Zeugungsakt, inszeniert wird, entsteht eine end- und zeitlose
Spirale der Gewalt. Das moderne Japan, das hier z.B. durch eine bigotte und
zynische Herrscherkaste, bestehend aus Militär, Kirche, Wissenschaft und
Justiz oder ein paar Versicherungsvertretern, die sich als Vampire herausstellen,
repräsentiert wird, wird als Produkt der Weltkriegsgräuel gezeigt.
Betrachtet man Filme von Peckinpah oder Fukasaku aus den 70er Jahren fällt
auf, dass das alles nicht sonderlich neu ist.
Wo
Miike in früheren Filmen durch den systematischen Einsatz von Tabubrüchen
durchaus über Genreregeln und Sehgewohnheiten zu reflektieren und immer
wieder mit diesen zu brechen vermochte, bleibt Izo, bei
aller überschwellenden Symbolik und visuellen Extravaganz, letztendlich
erstaunlich flach und konventionell.
Nicolai
Bühnemann
Diese
Kritik ist nur erschienen in der filmzentrale
Izo
Japan,
2004, 128 Min., Verleih: Excellent Film
Regie:
Takashi MIIKE
Drehbuch:
Shigenori TAKECHI
Kamera:
Nobuyuki FUKAZAWA
Darsteller:
Kazuya NAKAYAMA, Kaori MOMOI, Ryuhei MATSUDA, Ryosuke MIKI, Yuya UCHIDA
Ken
OGATA, Hiroki MATSUKATA, Tsurutaro KATAOKA, Takeshi KITANO, Boba Sapp
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