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Die
Jahreszeit des Glücks
Sozial existierender Realismus
Wieviel menschliches Elend erträgt
der Durchschnittskinogeher? Diese Frage stellt der tschechische Regisseur Bohdan
Sláma („Wilde Bienen“), wenn er uns irgendwo im verregneten Niemandsland
zwischen Plattenbau, finster dampfender Fabrik und verrotteter Datscha mit einem
tendenziell frustrierten Personal postsozialistischer Perspektivenlosigkeit
bekannt macht, welches gänzlich verraten und verkauft wäre, besäße
es nicht seine schwermütig-romantische Ader. Denn Toník liebt Monika,
Monika liebt Jára und Jára liebt - ganz unromantisch - „Amerika“,
weshalb er auch gleich am Anfang den Flieger in die Staaten nimmt. Zurück
bleiben, die sich einrichten im heruntergewirtschafteten Tschechien - und im
Warten auf das Ticket raus aus alledem. Muss noch erwähnt werden, dass
Toníks Vater fies und streng ist, dass seine Tante Krebs hat und dass
Monikas Vater schwerer Alkoholiker ist? Bei soviel Widrigkeit zieht der flaumbärtige
Toník eine weinerliche Dauerflunsch und hilft Monikas Vater lieber gleich
beim Alkoholvernichten. Nur Monika, die Gute, sie ist nett, freundlich und übt
sich in Geduld.
Solch filmische Nullperspektive gehört
schnellstens durchbrochen, bevor der Kinosaal kollektiven Selbstmord verübt.
Nur gut, dass es die psychisch überforderte Dáša gibt, denn weil sie weder ihren
Alltag noch ihre zwei kleinen Jungs im Griff hat, entsteht durch ihre Zwangseinweisung
in die Psychiatrie solidarischer Handlungsbedarf, der Monika und Toník
zusammenführt und dem ungleichen Paar neue Sinngebung offeriert.
Quälte sich und uns der Film
während der kompletten ersten Dreiviertelstunde von einer menschlichen
Desolation in die nächste, geleitet er uns nun ähnlich betreten hinein
in seine „Jahreszeit des Glücks“, die filmzeittechnisch gerade mal kaum
mehr als etwa 10 Minuten überdauert: Schüchterne Sonnenstrahlen fallen
nun zart ein in den tschechischen Permanentwinter und auf den Kirschkuchen,
der neben gutem tschechischen Pils zum Kindergeburtstag draußen vor dem
halbrenovierten Häuschen zu verhaltenem Frohsinn einlädt. Doch noch
bevor das endlich lebensfreudige Kindchen die letzte Geburtstagskerze ausgepustet
hat, kommt schon ein fetter Kapitalistenschlitten mit der schon vergessenen
verrückten Kindsmutter Dáša und ihrem skrupellosen Freund
über den Schotter gefegt: Ihr habt euch lange genug in unser Leben eingemischt!
Sprichts und klaubt die plärrenden Kleinen in den Fond, braust davon und
Ruhe ist und die Sonne verzieht sich hurtig hinter Wolken und das Jahrzehnt
des Pechs kann weiter gehen.
Besitzt noch Zukunft, wem die Kinder
geraubt werden? Kann man Mensch bleiben bald zwanzig Jahre nach der Wende vom
systemisch verordneten Sozialismus hin zum systemisch verordneten Egoismus?
Macht es Sinn, durchzuhalten oder soll man emigrieren? „Die Jahreszeit des Glücks“
stellt diese Fragen mit gutem Grund, denn – und das macht ihn schließlich
auch sehenswert - er entwickelt seine Geschichte, wie wohl kaum ein tschechischer
Film zuvor, auf der Basis real existierender Verhältnisse.
Vielleicht ist das eine Problem des
Films eines der Semantik: Das Problem, das entsteht, wenn im Zeigen einer Problematik
schon ihre Klassifizierung enthalten ist. Man kann das „Problemkino“ oder „Sozialdrama“
nennen, oder einfach „Klischee“. Soziale Probleme sind soziale Probleme sind
soziale Probleme. Der Problemfilm ist so anstrengend wie er uninspirierend ist,
weil er mehr versucht zu dozieren als zu zeigen, und weil er in seinem Bemühen
um Veranschaulichung dem Zuschauer selten Eigen-Empathie zugesteht. Darin jedenfalls
ist „Die Jahreszeit des Glücks“ ein klassischer Problemfilm: Unsicher,
so als würde er dem Dilemma seiner Figuren nicht genügend glauben,
türmt er Kalamität auf Kalamität. Das Ergebnis ist Elend hoch
drei, da macht das auch wohlmeinendste Mitleiden keinen rechten Spaß mehr.
Ein anderes Problem ist, dass der
Löwenanteil der Schwierigkeiten hausgemacht, also selbstverschuldet, ist.
Dáša ist nicht nur verrückt, sie
ist auch schlicht undankbar und hassenswert, wenn sie ihre Kinder einpackt,
wie die böse Stiefmutter im Märchen. Toník ist nicht nur zu
sensibel, er ist auch einfach zu bequem. Warum er nicht in der (zugegeben: finster
nach übler Maloche ausehenden) Fabrik arbeiten will, kann sich eigentlich
nur daraus erklären, dass er einen Tick zu luschig ist. Seine Leidensmiene
ist so aber nur schwer zu ertragen. Monika wiederum leidet einen Tick zu selbstlos,
um plausibel und menschlich zu sein, schlimmer als das arme, gute Kind im Märchen.
Die Identifikationsangebote machen sich rar. „Die Jahreszeit des Glücks“
liefert viele gestanzte, wenig entwickelte, Figuren; der Plot rastet bei ihnen
ein; auch deshalb findet er selten über sie hinaus hin zu einem allgemeingültigeren
gesellschaftlichen Background - obwohl er gerade den so angestrengt zu demonstrieren
versucht. „Suche nicht nach dem Glück, das Glück wird dich schon finden“
ist dann einer der finalen Sinnsprüche, die das geplagte Gegenwartsstück
mit märchenhaftem Mirakel verzieren wollen, damit ob all der latenten menschlichen
Unvollkommenheit doch eine Chance auf Zukunft sein möge. Doch die Pointe
bleibt ähnlich vage wie die Schilderung des Problems.
Wieviel menschliches Elend erträgt
eigentlich der Durchschnittstscheche? Dass der Film trotz seiner Mängel
auf sozialen und wirtschaftlichen Realitäten beruht (und es ihm zusätzlich
gelingt, Mut und Hoffnung zu verbreiten?),- sein großer heimischer Erfolg
lässt darauf schließen. Die Methode, das Heil in der Simplizität
des Märchenhaften zu finden, hat ja nun auch tschechische Filmtradition.
Vielleicht
ist sie dort zur Zeit der erträglichste Weg einer Bestandsaufnahme schwer zu ertragender
Befunde.
Andreas Thomas
Die Jahreszeit
des Glücks
Tschechien /
Deutschland 2005 - Originaltitel: Something like Happiness / Stestí -
Regie: Bohdan Sláma - Darsteller: Pavel Liska, Tatiana Vilhelmová,
Anna Geislerová, Zuzana Kronerová, Marek Daniel - FSK: ab 12 -
Länge: 102 min. - Start: 20.4.2006
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