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Jazzclub
- Der frühe Vogel fängt den Wurm
Ein
eigenartig schöner, intelligent inszenierter Film von - kein Geblödel
jetzt - philosophischer Tiefe, mit beeindruckender Akkuratesse auf den Punkt
gebracht: Keine Minute oder nur Sekunde zu lang, alles - verdammt viel - ist
erzählt nach einer Stunde. Abspann.
Wie
jemand für die Leidenschaft lebt, in einer Welt, die dafür nicht geschaffen
ist. Zwei Jobs und der Nebenjob reiben auf, attackieren noch den Schlaf. Wind
und Wetter torpedieren den Leidenschaftlichen beim Zeitungsaustragen. Allerlei
Surreales in der Fischbude. Geschichten vorlesen im Altenheim (oder wo auch
immer). Am Abend dann: Konzert in der minderbesuchten Kneipe am Eck. Nachbarn
hinter Fenstern, zahlendes Publikum: Kaum. Groteske Figuren am Rande: Einer
hat das Tonbandgerät stets bereit stehen, in der Hoffnung, eine Interpretation
eines raren Stücks zu ergattern (die kriegt er und kommentiert es mit Zungenschlag
- einer der schönsten seltsamen Momente in diesem Film). Ein anderer verkauft
Heftpflaster zu zwei Mark pro Doppelmeter. Doch auf der Bühne spielen die
Ausgestoßenen, sie spielen mit der ganzen Seele ihrer tristen Existenz
(und wie wichtig Schneider dies ist, wird deutlich daran, dass nicht sattsam
Bekanntes über die Musik gelegt wird, sondern die Musik für sich steht
und auch das Bild kippt nie ins Groteske um): Hier, an dieser Stelle, ist Schneider
wie Sisyphos bei Camus - wir müssen ihn uns als Glücklichen vorstellen,
auch wenn der Stein jeden Moment zu kippen droht.
Überhaupt
die Musik: On- und Off-Screen-organisiert finden sich Juwelen der Klangkunst,
des Jazz. Die solo gespielte Orgel akzentuiert das Bild, trägt maßgeblich
zu den schönen Ansichten bei. Weder Klamauk noch Pfeifenrauchertum bestimmen
diese Töne: Es ist die reine Freude an ihnen selbst.
Das
Ende: Versinnbildlichter Eskapismus. Eine andere Welt, absurder, grotesker noch
als diese (die ohne Zweifel - keine Schneider'schen Verfremdung über ein
Minimum heraus - auf unsere verweist), gleichzeitig aber schöner, bunter,
musikalischer. Wie bei Sun Ra wird das Glück nicht auf Erden gesucht: Space
is the Place. Neue Räume erschließen. Das Alberne, das hier mitschwingt,
wird gebrochen durch den vorangegangenen Film selbst, der nun alles andere als
albern war, eher das melancholische Bild eines Menschen, dem die Kunst alles
ist, selbst noch in jenen kleinen Zirkeln, die eine Welt zwischen Provinznest,
Suff-Nachbarn und Fischbuletten ihr zugesteht.
Thomas
Groh
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im:
Jazzclub
- Der frühe Vogel fängt den Wurm
Deutschland
2003 - Regie: Helge Schneider - Darsteller: Helge Schneider, Jimmy Woode, Pete
York, Susanne Bredehöft, Horst Mendroch, Andreas Kunze, Norbert Losch,
Tana Schanzara, Eddy Kante - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge:
84 min. - Start: 1.4.2004
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