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Jedes Zimmer hinter einer Tür
We
are Family
Alles stimmt, aber auch das
Gegenteil. - Kurt
Schwitters
Der Ton kommt vom Film, das Bild
von Zuhause. 25 zwischengeschlechtliche, ins Deutsche synchronisierte, vom originalen
Filmbild entkoppelte, Dialoge der Filmgeschichte hat sich die Berliner Künstlerin
Petra Lottje ausgesucht, um den männlichen Part ins optische Off zu schicken
und im akustischen On zu belassen, aber den weiblichen Part nachzugestalten,
das heißt, vor der Kamera mit synchronen Lippenbewegungen mitzusprechen
und – mit wachsender Intensität und offenbar auch Begeisterung – neu zu
inszenieren.
25 mal Petra Lottje. Oder: 25
mal die Frau im Film, was heißt: die
einsame Femme Fatale, die Emanzipierte mit Kinderwunsch, die schlampige Hausfrau,
usw. und sofort und da capo. Der Film ist als Loop konzipiert, hat also weder
Anfang noch Ende, könnte also am Sankt Nimmerleinstag noch laufen, ohne
dass wer was begriffen hat und vielleicht geht’s genau darum: nichts zu begreifen,
aber alles zu merken.
Die Multi Media-Künstlerin
(Zeichnungen, Rauminstallionen, Video-Installationen) Petra Lottje probiert
in ihrem 19-minütigen Film Jedes Zimmer hinter einer Tür 25 Film-Frauen-Rollen aus, oder besser Frauen-Rollen-Splitter
aus Filmszenen-Splittern, manche nur aus Sekunden bestehend. Sie zieht sie sich
an, so wie man sich Kleider anlegt, ist für jede Sequenz anders geschminkt
und kostümiert, hat jede Sequenz in anderem Stil inszeniert, ruhig, heiß,
fahrig, betrunken, verstaubt, kühl, verrucht, streng, verspielt.
Indem Lottje den (zumeist Hollywood-)Filmen
die weibliche Dialog-Hälfte entreißt, stellt sie witzige, verfremdende,
neue und doch vertraute Bezüge zwischen Film und Zuschauer her (bzw. zeigt
die alten nur auf), gesellt sich zum Film-Dialog der Dialog mit der Rezipientin,
und eine Entfremdung des Materials stellt sich ein - auch für den, der
meint, sich in der Filmgeschichte auszukennen: Viele Dialoge hatte ich schon
mal gehört, nur einen konnte ich tatsächlich einem Film zuordnen:
„Vom Winde verweht“.
Gender Studies am eigenen Leib
gewissermaßen, oder besser: Gender goes Hollywood goes Wohnzimmer goes
mein eigenes Bewusstsein-Studies. Denn das ist das Geniale. Lottje zeigt uns
Kinoverstehern, was das Kino dauernd mit uns macht, es infiltriert unsere Selbstkonstruktionen,
löscht unsere Pseudo-Autonomie und ersetzt sie mit Fremdbiografien, so
lange, bis wir nicht mehr wissen, ob wir noch eigene Frau sind oder immer schon
80 Jahre Tonfilm waren. Jedes
Zimmer hinter einer Tür ist zwar auch ein dezidierter Frauenfilm - wenn es das wirklich
gibt - weil er die Frau und ihre unauflösbaren Widersprüche in der
Männerwelt porträtiert (Es gibt ja keine undurchschaubaren Frauen,
nur Männer, die keinen Durchblick haben), indem er den zu Filmgeschichte,
in Paar-Dramen-Inszenierungen zwischen Soap, Psycho-Thriller und Melodram, geronnenen
Katastrophenschauplatz Frau und Mann fokussiert, aber zugleich ist er auch ein
postmodernes Anschauungsstück für und über den multimedialen
Menschen, über die multi-receiving- und -tasking-Frau („I’ve got all my
sisters in me“), ein Exempel für die Ersetzbarkeit von Autor/Autorin und
das Ende von Authentizität. Ein Exkurs darüber, wie sich Fiktionen
der kollektiven Erinnerung und der subjektiven Biografie bemächtigt haben.
Die „totale Inszenierung der Realität“ sagt Petra Lottje dazu...
Der Film wird im Rahmen des 24.
Kasseler Dokumentar- & Videofestes am Mittwoch, den 14.11.2007 in Kassel
im Gloria-Kino welturaufgeführt.
Andreas Thomas
Jedes Zimmer hinter einer Tür
Deutschland 2006
Idee, Buch, Regie, Schnitt, Darstellerin: Petra Lottje
Kamera: Thilo Droste, Petra Lottje
Länge: 19 Minuten
Weltpremiere: Mittwoch, den 14.11.2007, Kassel, Gloria-Kino
http://www.filmladen.de/dokfest/
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