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Jeffrey
Das
gleichnamige Broadwaystück hat es erfolgreich geschafft, das Thema schwule
Liebe und Aids als klassische Boulevardkomödie zu inszenieren: boy loves
boy, boy looses boy, boy gets boy. Gelacht wird darüber, daß auch
bei dieser Variante gelacht werden darf; Wortwitz ist Wortwitz. Das ist schon
Trost genug, aber dann wird es, wie im Mainstream üblich, pädagogisch
explizit: „Hasse Aids, nicht das Leben! Es ist immer noch unsere Party!"
- Erfreulicherweise avisiert die Verfilmung nicht das bürgerliche Theaterpublikum,
inszeniert wird on
location
- eine Einstellung zeigt programmatisch den Zeitschriftentitel „Photographer
Outdoors", und Manhattan wird zum öffentlichen Spielplatz (wie es
schon Bühne für Larry Clarks KIDS gewesen ist). Als Ort der Handlung
ist New York gepflegt und appetitlich hergerichtet: Die Stadt beglaubigt jetzt
eine romantische Komödie.
Der
hübsche neurotische Jeffrey (Steven Weber) kommt zur Einsicht, daß
No-Sex sicherer ist als Safer-Sex. Doch hat er Schwierigkeiten, dem Vorsatz
entsprechend zu handeln. Denn er ist verliebt in Steve (Michael T. Weiss), seinen
Traumprinzen, der freilich HIV-positiv ist. Verzweifelt besucht er die „No more
sex"-Kurse einer New-Age-Missionarin (Sigourney Weaver). Doch auch die
Game-Show „It's just Sex" vermag ihn nicht zu trösten. Immer absurder
werden die Ratschläge. Der Priester („Ich bin so geil") schlägt
einen Quickie vor, die Mutter Telefonsex, der Vater Masturbationsclubs. Doch
der Aids-Tod des schönen „Cats"-Tänzers (Bryan Batt) macht unseren
Helden schließlich empfänglich für die Botschaft des alten Freundes
(Patrick Stewart): Die Liebe ist es, die alle Antworten gibt. Und das ist das
Happy-End, Mutter Teresa zündet sich eine Zigarette an, setzt sich ans
Klavier und spielt Gershwin.
Wie
man sieht, hält sich der Witz, den der Plot hergibt, in Grenzen. Was gut
funktioniert, ist das Unternehmen, mit der schwulkomischen Liebesgeschichte
in den vertrauten Bildern herumzuspazieren, die wir uns von der Welt gemacht
haben, und das ist bekanntlich die flottierende Realität von Fernsehen
und Kino. Regisseur Christopher Ashley spielt mit unseren (falschen) Medienerfahrungen.
Düpiert sind wir selbst, wenn wir darüber lachen, wie der Kuß
zweier Männer als Boulevardnormalität inszeniert wird; uns wird bedeutet,
wie wir, die wir uns amüsieren, noch weit weg davon sind, die Normalität
der Szene zu akzeptieren. Zum Beweis dessen schneidet der Film direkt nach der
großen Kußszene auf das normale Kinopublikum (realistischerweise
sind es sehr jugendliche Hiphop-Typen mit großen Popcorntüten), die
sich kräftig entrüsten. In JEFFREY ist die Rezeption der Szene gleich
mitinszeniert, wie denn die Szene selbst nichts anderes als die Wiedergabe (und
Fortführung) medial vermittelter Seh-Erfahrung ist. Noch überraschend,
aber nur einen kleinen Schritt weiter, und der Filmschauspieler ist sein eigener
Moderator, der mit großer Autorität direkt in die Kamera spricht,
zu uns, die wir ihm daraufhin Glauben schenken müssen: Was ist die „most
correct answer"? Wir dürfen nach dem gewohnten Muster der TV Game-Show
in diesem Film herumraten, und wenn ein Zwischentitel „When Harry met Harry"
meldet, dann können wir uns in den ganzen langen Film HARRY UND SALLY reinklicken,
der jetzt sicherlich anders aussehen wird, wenn der Held dem Sex (jedenfalls
mit anderen) zu entsagen versucht.
Immer
wieder animiert JEFFREY zum interaktiven Spiel. Während einer dramatischen
Outdoor-Liebesszene greifen Straßenpassanten ein und applaudieren auf
offener Straße zum „Ja", das unser neurotischer Held endlich dem
schwulen Schönen gibt. Die Grenzen unserer Bilderwelten werden durchlässig,
das Standardrezeptionsgut vermengt sich und geht überraschende und einwandfrei
unnormale Beziehungen ein. Mutter Teresa ist neu zu definieren als trostreiche
Schutzgöttin aidsgefährdeter schwuler Liebe. Der „Cats"-Held
Bryan Batt (er spielt die Rolle nicht, er ist die Rolle) spricht dem Helden
gar aus dem Jenseits, wo man weißes statt schwarzem Leder trägt,
Mut zu. Befreiend auch die Straßenszene, die unversehens in ein kitschiges
Studiomusical entgleitet. Es ist kein Halten. Und da Farce und Tragödie
angenehm verschmelzen, scheint es wie eine Normalität, daß eine Calvin-Klein-Reklame
als Dekoration der Intensivstation dient. Der ALIEN-Film von 1979 wird von Sigourney
Weaver ein- und weitergeführt. STAR-TREK-Captain Jean-Luc Picard übernimmt
in Gestalt des originalen Patrick Stewart für den JEFFREY -Film das Kommando
und führt mit Bravour das Happy-End herbei.
Der
Film selbst ist die aktive Korrespondenz aller Ecken und Enden populärer
Medienkulturen: eine Art Internet-Gespräch, unsere Beteiligung deutlich
suggerierend, mindestens aber Forum und öffentlicher Raum. Also eine realistische
Spielstätte, auf der Jeffrey, der Autor, der Regisseur und der Zuschauer
unter der Annahme, daß alle Situationen untereinander verbunden sind,
den plötzlichen Augenblick abgewartet haben, der die an sich sinnwidrigsten
Aktionen zu sinnvollen, weil rechtzeitig unternommenen Handlungen umdefiniert.
Kairos, der Augenblick der rechten Wahl. Ich behänge den armen JEFFREY
mit philosophischen Bleigewichten, dem Boulevard-Plot völlig unangemessen.
Das ist mein subjektives Mit-Spiel. Und das macht mir genau den Spaß,
den mir der ganze Film gemacht hat, weswegen auch diese Rezension ihr glückliches
Ende findet.
Dietrich
Kuhlbrodt
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd film
6/96
JEFFREY
USA
1995. R: Christopher Ashley. B: Paul Rudnick. P: Mark Balsam, Mitchell Maxwell,
Victoria Maxwell. K:
Jeffrey Tufano. Sch: Cara Silvermann. M:
Stephen Endelman. T:
Matthew Price. A: Michael Johnston. I(o:
David C. Woolard. Pg:
Workin' Man Films/Booking Office. V: Kinowelt. L: 92 Min. St: 6.6.1996. D: Steven
Weber (Jeffrey), Michael T. Weiss (Steve), Irma St. Paule (Mutter Teresa), Patrick
Stewart (Sterling), Bryan Batt (Darius), Sigourney Weaver (Debra Moorhouse),
Olympia Dukakis (Mrs. Marcangelo), Robert Mein (Skip Winkley), Christine Baranski
(Arm), Nathan Lane (Vater Dan).
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