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Jenseits
der Weißen Linie
Ein
schlicht gestrickter, aber sich moralisch peinigender Rauschgiftkrimi. Der Undercoveragent
(Fishburne) wird zurückgepfiffen, als er Politikern einer befreundeten
Macht auf die Spur kommt. Frustriert zieht er sich eine weiße Linie in
die Nase, obwohl die Vorgesetzten ihn und damit auch uns ausführlich auf
die Gefahren des Drogenmißbrauchs hingewiesen hatten. Ja, der verdeckte
Ermittler hat eine kriminelle Ader: Er ist schwarz, und sein Vater war Ladenräuber,
wie man an Hand einer Rückblende ins weihnachtliche Cleveland von 1972
sieht. Wie würden Sie entscheiden? Cincinnati 1992: was setzt sich durch?
Die kriminelle Erblast? Die Pflicht und Moral eines Beamten aus dem Drogendezernat?
Mal hierhin, mal dorthin neigt sich die Waage, und dann steht es fest: jede
Antwort ist richtig, denn unser Held dealt jetzt selbst im großen Maßstab
(25-Millionen-Dollar-Geschäft), andererseits geht es um eine neue und daher
legale (?) Droge. Zwar ist unser Polizeibeamter völlig ins kriminelle Milieu
abgetaucht (Originaltitel: DEEP COVER), andererseits verhaftet er seinen neuen
Freund, nachdem dieser, was zu weit geht, den alten Polizeikollegen erschossen
hatte. Und dann wird sowohl in aller Öffentlichkeit der Politiker der befreundeten
Macht als Drogenboß enttarnt als auch der Besitz an den 25 Millionen gewahrt.
Strahlend sitzt unser Held nicht zwischen, sondern auf zwei Stühlen.
Die
Geschichte schreit nach komödiantischer Darstellung. Aber selbst Jeff Goldblum
spielt zur größten Überraschung und Enttäuschung die Klischee-
und Nebenrolle eines Anwalts bierernst, eindimensional und ziemlich lustlos
herunter. Zwar ist es richtig, daß der Film sich bemüht, das Milieu
zu studieren. Dann zeigt er in einer schön geschnittenen Straßensequenz
die gemeinsame Arbeitsweise von Kriminellen, Polizisten und Prostituierten:
es ist der Blickkontakt mit potentiellen Kunden (Opfern, Tätern, Freiern).
Auch ist nicht zu leugnen, daß der Film sich bei den genreüblichen
körperlichen Auseinandersetzungen der modischen Attribute bedient. Der
Haarzopf (Dealer/Zuhälter) dient dazu, den Kopf runterzuziehen und die
Kehle freizulegen. Der Ohrring (verdeckter Ermittler) ist dazu da, in Großaufnahme
herausgerissen zu werden, und mannhaft unterdrückt Fishburne einen Schrei.
Und schließlich, aber dafür kann JENSEITS DER WEISSEN LINIE nichts,
ist den Freunden der Anschlußfehler die herrlichste Augenweide geboten.
Wir sehen das Ohr anschließend mal mit mal ohne Ring, auch im Kleinen
gilt das große moralische Sowohl-als-auch. Auch können wir uns bei
einer der übelsten Gewaltszenen des Films (einer schlägt den anderen
mit einer Queue tot) daran erfreuen, daß ein sich im Vordergrund über
die volle Breite des Bildes erstreckender Tisch mal gedeckt, mal abgeräumt
ist.
Der
Blick ist frei, im Bild herumzuschweifen, Kontakt zu diesem oder jenem zu suchen,
weil der Film sich darauf konzentriert, ein lässiges Sowohl-als-auch-Gefühl
zu vermitteln. Die Jazz-, Hip-Hop-, Soul-Musik treibt unbestimmt dahin (Michel
Colombier), der Zuhörer/-schauer bestimmt die Richtung. Genau wie dieser
Film könnte eine Klaviatur der Fernbedienung aussehen. Dann erscheinen
jeweils zwei Köpfe entweder mit Räucherstäbchen (Sex!) oder mit
Eßstäbchen (Chinesenkomplott!) oder mit Boxhandschuh (Deal beim Training!)
oder mit Grabstein (Vater & Sohn beim Muttergrab) oder selbstredend Faustfeuerwaffe
(ein Täter wird niemals festgenommen, er wird immer gekillt).
Die
Motive, die Klischees killen den Spielfilm des Regisseurs Bill Duke. Freilich
hatte dieser für etliche Folgen einschaltträchtiger Fernsehserien
verantwortlich gezeichnet. Nach „Dallas" und „Miami Vice" profitiert
also jetzt das Kino von den Millionen Einschaltzahlen. Oder nicht?
Dietrich
Kuhlbrodt
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd film
11/92
Jenseits
der Weißen Linie
DEEP
COVER
USA
1991. R: Bill Duke. B: Michael Tolkin, Henry Bean. P:
Pierre David. K:
Bojan Bazelli. Sch: John Carter. M: Michel Colombier. T:
Tony Smyles. Ba:
Pam Warner. A:
Daniel W. Bickel. Sp: Fexco CorporationlFrank Ceglia. Pg:
New Line Cinema. V: UIP. L: 112 Min. St: 5.11.1992. D: Larry Fishburne (John
Q. HuII/Russel Stevens jr), Jeff Goldblum (David Jason), Victoria Dillard (Betty
McCutcheon), Charles Martin Smith (Carver), Sydney Lassick (Gopher), Clarence
Williams III (Taft), Gregory Sierra (Barbosa), Roger Guenveur Smith (Eddie).
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