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Jesus
Christus Erlöser
Das Dokument eines quälenden Auftritts
von Klaus Kinski im Jahr 1971 ist Peter Geyers Dokumentation "Jesus Christus
Erlöser".
Klaus Kinskis Auftritt in der Berliner
Deutschlandhalle am 20.11.1971 hat seinen festen Platz in der Folklore um den
Schauspieler. Kinski, vor dem Hintergrund der Kämpfe um '68 zum Vertreter
eines anarchischen Ur-Christentums geworden, tourte mit dem Vortragsprogramm
"Jesus Christus Erlöser" und trug im Versuch, an seine erfolgreiche
Zeit als Rezitator in den 50er Jahren anzuschließen, einen selbstverfassten
Text vor, der Christus in die Nähe zeitgenössischer Auseinandersetzungen
rückte - ein Herzensprojekt.
Dass die Tournee bis dahin nicht reibungslos
verlaufen war, hatte sich herumgesprochen; nun aber herrschte blanke Konfrontation:
Zwischenrufe und Häme, Kinskis cholerische Wutanfälle, beharrlich
das Mikro einfordernde Zuschauer, nicht zuletzt Kinskis ständige Abbrüche
gestalteten den Abend zum Parforce-Ritt.
Dass er Legende wurde, verdankte sich
bislang nur vereinzelten Filmfragmenten, die lediglich zugespitzte Momente zeigen;
eine Live-CD war nur für kurze Zeit im Handel und verschwand rasch wieder
auf Grund rechtlicher Unklarheiten. Noch nicht allzu lange auf dem Markt befindet
sich ein von Peter Geyer, Kinskis Nachlassverwalter, herausgegebenes Büchlein
mit dem Vortragsskript.
Geyer nun hat nun auch aus mehreren Stunden
Filmmaterial - Kinksi hatte mehrere Kameras aufstellen lassen - mit dem Film
"Jesus Christus Erlöser" ein intensives Dokument kompiliert.
Das Material ist hochkonzentriert: Kein Kommentar, nur hier und da ein Schnitt.
Bis tief in die Nacht kommt es zu gegenseitigen Beschimpfungen und Tumulten.
Als Kinski einen Mann von der Bühne entfernen lässt, skandiert der
Saal "Kinski ist - ein Faschist", später ist Polizei anwesend,
Kinski diskutiert im Publikum wild gestikulierend. Geyer hat das Ganze auf neunzig
Minuten heruntergekürzt, doch entsteht auch so ein schmerzlicher Eindruck
der Zähigkeit des Abends. Gefühlt dauert der Film Stunden.
"Gesucht wird Jesus Christus",
immer wieder hebt Kinski mit diesen ersten Worten an. Bald schon schmerzt's.
Kinski steht die Anspannung ins Gesicht geschrieben; wir heute können das
sehen, weil wir den Vortrag durch ein Kameraauge sehen können, das unbarmherzig
jede Furche im Gesicht des Schauspielers und dessen Tränen in den Augenwinkeln
im Close-Up hervorhebt. Was Geyers Film so eindrücklich wie schlicht betont,
ist gerade die Differenz der Perspektive, wenn er vom Close-Up in die Perspektive
aus dem Publikum umschneidet, für das Kinski als ein weit entfernter, bläulich
beleuchteter Strich im Dunkeln erscheint. Ein Setting, in dem jeder ästhetische
Reiz auf halbem Wege zum Zuschauer schon verhungert ist, so dass jede Kunstpause
wie vergessener Text wirken muss; kaum verwunderlich, dass Unmut herrschte.
Die meisten Störungen aber sind verspritztes
Gift, hämische Bemerkungen, pure Provokationen, Öl ins lodernde Feuer
von Kinskis berüchtigter Rage, die hier ständig und auch nach dem
zigsten Abbruch mit ihm durchgeht. Erlösend wirkt da fast der Abspann,
nach dem indessen noch das Nachspiel dieser verbissenen Schlacht zu sehen ist:
Kinski steht da mitten im Publikum zu vorgerückter Stunde, um ihn eine
kleine Schar geduldiger Zuhörer. Keine Bühne, kein Mikro, keine Distanz
schiebt sich in diesen Moment der Intimität. Das Wunder geschieht, der
Vortrag findet statt. Kinski, nach aller Verausgabung, nach allem Kampf gegen
das Publikum, gegen den Text, ist am Ende, buchstäblich. Die Tournee wurde
abgebrochen, keine weitere folgte.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen am 14.05.2008. im www.perlentaucher.de
Jesus
Christus Erlöser
Deutschland
2008 - Regie: Peter Geyer - Darsteller: Dokumentation - FSK: ab 12 - Länge:
84 min. - Start: 15.5.2008
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