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Jesus
ist ein Palästinenser
Lodewijk
Crijns' schwarze Komödie über den Sektenwahn
Zu
den großen Erzählungen gehört sicherlich die von der bevorstehenden
Ankunft des Messias auf Erden. Aber die Kraft der zentralen Autorität ist
erlahmt, die Fragmente der göttlichen Botschaft flottieren frei im Raum,
und jeder greift sich etwas heraus. Im Alltag ist der Eso-, Öko- und Sekten-Glaube
samt Veganität und Virginität kein Wahn, sondern Lebensmotor und -inhalt
zugleich, weil er Sache des Einzelnen, der Gruppe, der Kommune geworden ist.
Jesus
ist ein Palästinenser
ist eine unverschämte, aber liebevolle Parodie, die mit dokumentarischem
Blick, aber kunstvoll verschränkt, das komische Potenzial nutzt, das das
alltägliche Leben einer mönchischen Öko- und Sektenkommune bietet.
Die Komik geht nicht auf Rechnung der Dargestellten. So, wie wir die Menschen
abgebildet sehen, die uns verwirrt, sich selbst aber erleuchtet erscheinen,
werden wir sie mitnichten in der Realität antreffen, wohl aber sind sie
zum Wiedererkennen wahr; sofort haben wir ein Déjà vu, ein wirkliches.
Der
Film beginnt in einer Öko-Mönchs-Kommune in der niederländischen
Provinz. Zum Glaubensritual gehört das umfassende Piercen. Damit werden
nicht nur seelische, sondern auch körperliche Funktionen geregelt, der
gepiercte Nabel garantiert die Funktion des Schließmuskels. Ramses hat
seinen bürgerlichen Namen Alfred abgelegt, er steht kurz vor der Priesterweihe.
Zur Initiierung wird Guru Kahn über die wohltätige Akupunktur hinaus
einen Knochen durchbohren müssen, den Unterschenkel. Ein Elektrobohrer
ist bereitgelegt. Aber dann kommt etwas dazwischen. Horribile dictu: eine Frau.
Genauer: Alfreds Schwester. Der Vater liegt im Sterben, sagt sie. Alfred muss
hinaus in die Welt.
Die
erweist sich als nicht weniger verwirrt resp. erleuchtet, wie die seine auf
dem Lande. Auf dem Dach eines Plattenbaus in Haarlem erwartet Ramses' Vater
die Ankunft Jesus, der der göttlichen Gerechtigkeit halber ein Palästinenser
ist. Wird er dem Sünder die letzte Absolution erteilen? Und wird der jungfräuliche
Ramses seinen ersten Geschlechtsverkehr ausüben?
Der
Film zeigt die Sexorgane in Aktion – eine Großaufnahme, sehr kurz, schneidend
schnell, wie einen Zwischenschnitt, wie die heiße Nadel, die in die Haut
sticht, wie eine weitergehende Funktion des Körper-Piercings selbst. –
Diese Einschnitte sind die Großstruktur des Films, eine jähe Penetration
in die narrative Dramaturgie; der Film selbst wird in diesen formalen Akten
gepierct und körperlich wahrnehmbar; das Thema findet seine ästhetische
Form, oder, weniger gewichtig gesagt, es wird fachkundig eingefädelt.
Der
Niederländer Lodewijk Crijns (Buch und Regie) hatte zuvor mit den Dokumentar-Fakes
Kutzooi
und Lap
Rouge
Erfolg gehabt; 1997 erhielt er den Jahrespreis der Filmakademie Amsterdam. Mit
dem 35-mm-Spielfilm Jesus
ist ein Palästinenser
gelang ihm das Kunststück, die Marginalisierten, die wir als die üblichen
Loser wieder erkennen, einerseits zum Gegenstand einer rabenschwarzen Komödie
zu machen, andererseits sie dadurch zu würdigen. Er kommt dadurch auch
zu einem ebenso überraschenden wie schlüssigen Ende seiner Geschichte.
Die
strukturell bedingten Einschnitte/Penetrierungen des Films binden einen Jesus,
der sich den Nagel durch die Hand treibt, in das Piercing-Modell der Mode-Sekte
ein; wem das als Splatter anmutet, wird durch die exzellente Bild/Ton-Montage
des Films wieder auf beruhigende Distanz gebracht – stets weist ein Naturgeräusch,
ein Muhen und Krähen, den unangebrachten Akt als ironisch zu nehmenden
Überschuss, eben als Wahnbild, aus.
Eso-Öko-Mönch
Alfred/Ramses wandelt als tumber Tor durch eine Welt, die sich dadurch, dass
sie sich für vernünftig hält, ihm gegenüber ins Unrecht
setzt. Auf der Großstadtparty wird unser ungelenker Held gemobbt und entwürdigt;
wir wissen, dass diese Haltung verbreitet, aber verwerflich ist. Jesus
ist ein Palästinenser
ist ein moralischer Erziehungsfilm in der Tradition der Schelmenromane.
Dietrich
Kuhlbrodt
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd film 5/2000
Jesus
ist ein Palästinenser
jesus
is een palestijn
Niederlande
1999. R und B: Lodewijk Crijns. P: Martin Lagestee. K: Menno Westendorp. Sch:
Wouter Jansen. M: Jeroen Strijbos. T: Eric Leek. A:
Ben Zuydwijk. Ko:
Desiree Aben. Pg: Lagestee Film. V: Neue Visionen. L: 89 Min. OmU. Da: Kim van
Kooten (Natascha), Hans Teeuwen (Ramses), Dijn Blom (Loneke), Peer Mascini (Vater),
Pieter Bouwman, Ruben van der Meer, Najib Amhali (Palästinenser), Anis
de Jong (Kahn Guru).
Start:
13.4.2000 (D).
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