zur
startseite
zum
archiv
Die
Jönsson-Bande - Charles Ingvars neuer Plan
Lönneberga
wird Twin Peaks werden
Keine
anarchische Kacke, keine Regressionswürstchen: Der zweite Film um die "Jönsson-Bande"
trainiert den Kinonachwuchs für Almodóvar und Co.
Mit
der Kinderkultur ist das so eine Sache und mit dem Kinderfilm sowieso. Ist mal
nicht der pure Kommerz am Werk, dann ärgern die pädagogischen Absichten,
haut man da ein bisschen auf die anarchische Kacke, wird dort auch schon wieder
ein Regressionswürstchen daraus. Die Pokémon-Lösung (Ich will
ein Kind sein! Kreisch!) oder die Spielberg/Disney-Lösung (Treffen wir
uns doch alle, erwachsene Kinder und kindische Erwachsene, in einem medialen
Zwischenreich) generieren am Ende auch nicht wenig Unbehagen. Hey, wie fein
ist da der "kultivierte" Harry-Potter-Boom, und wie wohltuend altmodisch
ist eine schwedische Filmserie um Kinderbanden, doofe Schurken und blödsinnige
Eltern: Diese Mischung aus Geborgenheit, Abenteuerlust und kindlichem Eigensinn
ist wohl doch nicht totzukriegen.
Die
Filme der höchst erfolgreichen "Jönsson-Bande"-Serie spielen
in den Fünfzigerjahren in einer kleinen schwedischen Stadt, also einem
Paradies für Kinder, einer Hölle für Jugendliche und einem sozialen
Totenhaus danach. Kein Wunder, dass jeder Kind sein möchte. Und so ist
diese schwedische Provinzkindheit ein Exportschlager geworden, neben Ikea, Volvo
und dem Ruin der Sozialdemokratie. Wichtig zu wissen ist, dass die Kinderfilmserie
ein Ableger und also "Prequel" zu der gemäßigten Slapstick-Serie
mit der erwachsenen "Jönsson-Bande" ist, deren Filme ihrerseits
zu einem Rückhalt schwedischer Selbstvergewisserung geworden sind.
Die
Jönssons sind so etwas wie ein nationales Herdfeuer. Und es kann einem
ja auch warm werden, wenn man sieht, wie viel Blödsinn man in so beschränkten
sozialen Beziehungen anstellen kann, ohne irgendjemandem wirklich weh zu tun.
Von so einer Spießerkultur mit Platz für individuelle Narretei haben
auch wir geträumt, damals in den Fünfzigerjahren. Und das ist schon
einmal ein Rezept für den Erfolg der "Jönsson-Bande": Filme
für die Großen und die Kleinen.
Aber
gemach. So konventionell oder nostalgisch die Geschichte auch sein mag, so zeitgemäß
ist die Gestaltung dieses zweiten Films der Serie um die Dreierbande ("Professor",
Frechdachs, Träumer). In kräftigen Farben, höchst stilisierten
Kostümen und Bauten entwickelt er Action, Komik und seine Krimi-Geschichte
um den Kunstraub beim reichen und fiesen Wall-Enberg, begangen von drei Artisten
eines Wanderzirkus (Clown, Messerwerferin, menschliche Kanonenkugel). Da wären
zunächst die gekonnt inszenierten komischen Standardsituationen des Genres:
die Messerwerferin, die beim Werfen die Augen zumacht, der Trick, wie man eine
Katze dazu bringt, sich selbst k.o. zu schlagen, ein reichlich grotesker Talentwettbewerb
(mit Fackel-Furzen à la Jim Carrey, um auch mal die Grenzen des guten
Geschmacks zu streifen) und am Ende eine Leichtversion von "After Hours".
Nein, es wird nichts ausgelassen, woraus sich cineastisches Vergnügen schlagen
lässt.
Wenn
man genauer hinschaut indes, hat dieser Film einen seltsamen formalen Ehrgeiz,
der allein schon in der Lage wäre, das Genre zu sprengen. Oft benutzt er
ungewöhnliche Einstellungen, planimetrische Bildkompositionen wie aus den
Tagen der Nouvelle Vague, öffnet die Räume durch extreme Obersichten,
spielt mit abstrakten Bildkompositionen, mit hyperrealen Farb-Entsprechungen,
als gelte es, die Nachwuchskinogänger nicht so sehr auf das Kino von Zemeckis,
Dante und Hughes, sondern auf das von Almodóvar, Greenaway oder von Trier
vorzubereiten.
Und
diese verrückte, bunte Kleinstadt-Sauberkeit, die bizarren Macken seiner
Bewohner, die komischen Kommunikationsstörungen und unkontrollierbaren
Bösartigkeiten - in seinen Bildern handelt dieser Film nicht von einem
Paradies der Kindheit, sondern davon, dass Lönneberga, wenn es etwas größer
geworden ist, verdammte Ähnlichkeit mit Twin
Peaks
hat. Und davon, dass man im Kino nicht bloß blöde Geschichten erzählt
bekommt, sondern auch etwas und etwas anderes sehen kann. Ist doch schon was.
Georg
Seeßlen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in der: (taz)
"Die
Jönsson-Bande - Charles Ingvars neuer Plan". Regie: Christjan Wegner.
Mit: Kalle Eriksson, Jonathan Flumée, Fredrik Glimskär u. a. Schweden
1997, 100 Min.
zur
startseite
zum
archiv