zur startseite
zum archiv
Joe Strummer - The future is unwritten
Permanente
Postkarte
Joe Strummer war ein toller
Poser. Julien Temple hat über ihn einen unpersönlichen Dokumentarfilm
gedreht
Ich bin dann mal weg – der erste
Film von Jim Jarmusch hieß »Permanent Vacation« (1980). In seinen späteren Werken hat Joe Strummer
auch mal mitgespielt. Schaut man Julien Temples neuen Dokumentarfilm über
die Person Joe Strummer, gewinnt man den Eindruck, der Leadsänger und Gitarrist
von The Clash wäre sein Leben lang auf Dauerurlaub gewesen. Mit 50 Jahren
starb Strummer 2002 an einem Herzfehler, der bis dahin niemand aufgefallen war,
schließlich war Strummer sowohl den Pariser als auch den Londoner Marathon
mitgelaufen. »Joe Strummer – The Future is unwritten« zeigt 123
Minuten lang Postkarten-Aufnahmen vom in der Regel unglaublich gut aussehenden
Strummer. Kaum eine Einstellung, in der er nicht cool an der Ecke lehnen würde,
meistens die Kippe wie James Dean im Mundwinkel, öfter auch die Tolle mit
einem Kamm glattziehend.
Temple konnte sich aus einem riesigen
Nachlaß bedienen, mit Fotos und Filmen hat Strummer sich ständig
inszeniert und dokumentiert. Dieses Material wurde von Temple klassisch MTV-artig
zusammengeschnitten. In seinen jungen Jahren ist der Diplomatensohn Strummer
auf den Super-8-Aufnahmen seiner Eltern festgehalten. Mit ihnen bereiste er,
wie man so sagt, die ganze Welt. Anschließend tat er das dann noch einmal
allein und mit Freunden. Ist alles bei Temple auf alten Aufnahmen zu sehen.
Wenn es kein Bildmaterial gibt, werden von Temple Cartoons, die Strummer auf
seinen Reisen anfertigte, zu kleinen Trickfilmen animiert. Strummer wollte ursprünglich
Comic-Zeichner werden.
Dann aber doch lieber Musiker.
Als Punk in England anfing, war er schon Ende 20 und natürlich ein Hippie,
das liebste Feindbild der neuen Bewegung. Plötzlich ließ er sich
nicht mehr »Woody«, sondern »Joe« rufen. Bürgerlich
hieß er John Graham Mellor. Im Film hört man, er war »der immer
etwas Ältere«. Er sang für die Londoner Hausbesetzer-Szene bei
den 101-ers. Die machten indifferenten PubRock mit Saxophon. 1976 spielten
die Sex Pistols das Vorprogramm – das muß eine blitzartige Kartharsis
gewesen sein. Bei Temple sieht man die Sex Pistols aus einer Tür kommen
und die Kamera mit Bier vollschütten. Im Ergebnis wird man Strummer den
»Punk Warlord« nennen. Er singt auf der ersten Single der Clash
»I wanna riot /white riot / a riot of my own«, doch man muß
sich dialektisch ziemlich anstrengen, einen »Aufstand der Weißen«
(weil man sich bei revoltierenden Schwarzen so allein fühlt) nicht rassistisch
zu finden.
Die auf Anraten des Szenetypen
und Managers Bernie Rhodes neugegründeten The Clash wurden neben den Sex
Pistols und den Dead Kennedys zur wichtigsten Punkband. Sehr linksradikal, sehr
kämpferisch und vor allem musikalisch sehr vielseitig: Rock'n'Roll plus
Reggae. Da könnte man sofort ein Dutzend Lieder aufzählen, die man
nie vergessen wird. Als 1991 »Should I stay or should I go« in der
Levis-Werbung auftauchte, war Strummer sauer; als im selben Jahr US-Piloten
»Rock The Casbah« auf ihre Bomben schrieben, die sie auf Irak abwarfen,
soll er geweint haben. Früher hatte Strummer die Auffassung vertreten,
wenn The Clash Platz eins in der englischen Hitparade erreichen, wäre der
Zeitpunkt für die Revolution gekommen. Platz eins wurde allerdings erst
durch die Levis-Werbung Wirklichkeit, da war die Band schon seit sechs Jahren
aufgelöst.
Es hat etwas Bizarres, wenn in
Temples Film Bono Vox mit seiner dämlichen Sonnenbrille nachts auf die
Meeresbrandung blickt und sagt: »The Clash, das war kein Entertainment,
das war eine Frage auf Leben und Tod.« Für eins ihrer letzten Stadionrock-Konzerte bekam die Band
500000 Dollar Gage. Temple, der unter anderem mit »The Great Rock'n'Roll
Swindle« (1980) und »The Filth and The Fury« (2000) die amtlichen
Filme über die Sex Pistols drehte, bebildert das Unbehagen von Expunks
in der Kulturindustrie mit Ausschnitten der George-Orwell-Verfilmungen »Farm
der Tiere« und »1984«. Strummer bilanziert aus dem Off, »früher«
wäre das Publikum »Teil der Bewegung« gewesen, zusammen mit
der Band hätte es ein großes »Wir«gebildet, doch dann
– Sündenfall und Teufelsschwefel – wäre die Band auf einmal zum Gegenteil
mutiert. Auf den großen Raves der Neunziger verspürte Strummer wieder
größere Kollektivität. Man sieht ihn vor dem Wohnwagen mit Hotzenplotz-Hut
irgendwas am Lagerfeuer brutzeln. Nach Temple waren Lagerfeuer Strummers größte
Leidenschaft, weshalb er dort diverse Zeitzeugen versammelt und ihre Gesichter
auf kitschige Art durch den Flammenschein filmt. Das soll eine Intimität
und Intensität suggerieren, die seinem ungeheuer aufwendig inszenierten
Dokfilm komplett abgeht.
Über den permanent posenden
Strummer erfährt man kaum etwas Persönliches, als wäre er niemals
ängstlich oder traurig gewesen. Statt dessen möchte Temple
einen glauben machen, Strummers stinklangweiliges Spätwerk mit den Mescaleros
wäre seiner Weisheit letzter Schluß gewesen. In Temples »The
Filth and The Fury« sieht man den als Chefnervensäge bekannten John
Lyndon wegen Sid Vicious heulen, im Joe-Strummer-Film rühren einzig die
Clash-Backstage-Aufnahmen, auf denen die Bandmitglieder Drogen nehmen. Dann
macht sogar Joe Strummer Urlaub vom Ich und wirkt etwas unsicher.
Christof Meueler
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: Junge Welt
Joe
Strummer - The future is unwritten
Großbritannien
/ Irland 2007 - Regie:
zur startseite
zum archiv