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Johan – Eine Liebe
in Paris im Sommer 1975
Quicklebendiger
Fremdkörper
Mit zweiunddreißig Jahren Verspätung
ist der charmant avantgardistische Schwulenfilm "Johan - Eine Liebe in
Paris im Sommer 1975" bei uns zu sehen: eine schöne Entdeckung.
Es ist Sommer, es ist das Paris des Jahres 1975 und
Philippe Vallois dreht mit Freunden einen Film darüber, dass ein Regisseur,
der Philippe heißt, einen Film drehen will über seinen Liebhaber
Johan. Johan aber, ein ums andere Mal von Philippe aus dem Off adressiert, ist
und bleibt abwesend. Johan mit dem Tattoo auf der Stirn ist im Gefängnis,
immerhin bekommt man seinen Zwillingsbruder zu sehen, der in der Sauna sitzt
und sagt, er habe Sex am liebsten mit seinem Zwilling, also quasi, das gibt
er zu, mit sich selbst. Was man auch sieht, sind Probeaufnahmen für den
Film im Film, ein Darsteller nach dem anderen schlüpft in die Rolle des
Johan. Keinen kann Philippe akzeptieren. Oder vielleicht will er auch einfach
nur den Aufschub, der es möglich macht, an kein Ende zu kommen.
Es ist Sommer, es ist das Jahr 1975 und Philippe
Vallois, der im Film sich selbst spielt und im Film im Film und in seinen Imaginationen
sich von anderen Darstellern spielen lässt, dreht einen Film über
das schwule Paris. Über das Cruisen, über Sex in öffentlichen
Toiletten und privaten Wohnungen, über das Suchen und Finden von Partnern
für den Sex und Darstellern für den Film. Diese ganze Film-im-Film-Konstruktion
ist eher verwirrend, muss man sagen, als komplex und dient vor allem dazu, die
Grenzen ins Fließen zu bringen zwischen dokumentarischem Wirklichkeitsstil
und Fantasie. Der Film wechselt von schwarz-weiß zu Farbe und wieder zurück,
von der Handkamera zu eher klassisch gefilmten Momenten. Man sieht Männer,
die explizit Sex haben und was so auch noch ins Fließen gerät, ist
die Grenze zwischen Experimentalfilm und Pornografie.
"Johan - Eine Liebe in Paris im Sommer 1975"
ist spontan, ist durcheinander, hat - etwa im Gespräch Philippes mit seiner
Mutter, in den detaillierten Schilderungen eines Sadisten - sogar Momente, in
denen er aussieht wie ein schwuler Aufklärungsfilm. Dann aber wieder Alltagsfantasien:
Das Leben Philippes mit seinem kubanischen Freund Manolo in New York, nur kommt
da etwas nicht ganz zur Deckung: Es ist vom Empire State Building die Rede und
wir sehen den Eiffelturm. Das Auftauchen des schönen Schwarzen Walter (Walter
Maney), mit dem Philippe erst Sex hat, bevor Walter dann tanzend Schokoladenkuchen
zubereitet. Dazwischen Christine (Patrice Pascal), die einzige Frau, die lacht
und lacht und lacht.
"Johan" ist ein zielloser, lustvoller,
ziemlich wirrer, etwas naiver, aber auch ins eigene Durcheinander aufs Charmanteste
verliebter Film, der sich immer wieder selbst über den Haufen wirft. Er
ist ein Film, der sich selbst gar nicht in Kategorien des formalen "Gelingens"
betrachtet, der einfach seinen Ideen folgt, die oft ein wenig unausgegoren sind,
aber es macht nichts. Er ist ein Zeitporträt im besten Sinn, ein später
Ausläufer der Nouvelle Vague ins schwule Milieu. Ein Sommerfilm, über
den nur im Blick von heute aus der Schatten von AIDS fällt, der Krankheit,
die den Sommern der siebziger Jahre und Filmen wie "Johan" den Garaus
gemacht hat. Und weil nicht nur Bücher, sondern auch Filme ihre Schicksale
haben, können wir jetzt, in diesem Frühling mehr als dreißig
Jahre später, in ein paar Kinos in Deutschland diesen Film kennenlernen,
der aus einer fernen Zeit in die unsere fällt: ein quicklebendiger Fremdkörper,
ein Film, der sich was traut, aus einer Zeit, in der manches möglich schien.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.perlentaucher.de
Johan
- Eine Liebe in Paris im Sommer 1975
Frankreich
1976 - Originaltitel: Johan - Regie: Philippe Vallois - Darsteller: Jean-Paul
Doux, Philippe Vallois, Jean-Lou Duc, Patrice Pascal, Georges Barber, Manolo
Gonzales, Alexandre Grecq, Walter Maney - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 90
min. - Start: 13.3.2008
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