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Jonas
Anfang
und Ende am Fernsehturm
Ottomar Domnicks Film "Jonas"
(1957) ist von der Moderne fasziniert, auch wenn er sich im Off-Kommentar kulturkritisch
gibt
Ottomar Domnick war als Nervenarzt
Leiter einer Klinik, er war Kunstsammler und Veranstalter von Cello-Konzerten,
außerdem Autofahrer mit Rennleidenschaft und alles in allem ein bestens
situierter Großbürger mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein. Das
Außergewöhnliche ist nur: Ottomar Domnick war in all seinen Leidenschaften
und Tätigkeiten ein bedingungsloser Anhänger der Nachkriegsmoderne.
Er sammelte seit den Fünfzigerjahren Kunst von Willi Baumeister und Wolf
Vostell, er lud große Cellospieler zu Konzerten zeitgenössischer
Musik in seine fast fensterlose Betonvilla mit Skulpturenpark, die er sich 1967
hatte mitten ins Grüne auf der Schwäbischen Alb bauen lassen.
Domnick suchte, kurz gesagt, vom
ersten Nachkriegsjahrzehnt an auf allen Gebieten der Kunst den vom Nationalsozialismus
brutal abgeschnittenen Anschluss an die internationalen Avantgarden; in Kunst
und Musik fand und pflegte er diese Anschlüsse und im Film, wo es in Deutschland
dergleichen so gut wie gar nicht gab, stellte er sie dann eben eigenhändig
her. Ein eindrucksvolles Zeugnis dieser Do-it-yourself-Avantgarde ist der Film
"Jonas", den Domnick im Jahr 1957 auf der Berlinale vorstellte. Als
Filmemacher war Domnick Autodidakt, ließ sich allerdings von Herbert Vesely
beraten. Der hatte immerhin ein paar recht experimentelle Kurzfilme gedreht
und gehörte später mit der in Cannes gezeigten Böll-Verfilmung
"Das Brot der frühen Jahre" zu den Begründern des "Neuen
Deutschen Films".
Domnicks primäres Interesse
gilt nicht der erzählten Geschichte - sie ist recht schlicht und das Element,
das am wenigsten aus der Verhaftung in einer vergangenen Zeit zu retten ist.
Jonas (gespielt von Robert Graf, dem Vater des Regisseurs Dominik Graf), die
völlig durchschnittliche Titelfigur ohne Nachnamen, kauft einen Hut, der
ihm bald darauf gestohlen wird. Daraufhin stiehlt Jonas einen Hut und wird in
der Folge von Schuldgefühlen geplagt, die sich zu Verfolgungs-, gar Lagerfantasien
steigern. Herbert Vesely hat später geschimpft, das Ganze sei so, "wie
ein Spießer sich Kafka vorstellt", und er hat, was diese Hutgeschichte
betrifft, nicht ganz Unrecht damit. Das eigentlich Problematische daran sind
allerdings die aus dem Off an Jonas gerichteten Texte. Die Textcollagen schneiden
arg forciert pathetische Existenzialismen und Bibelzitate und betont nüchterne
Werbe- und Sachtexte gegeneinander. Verfasst hat sie übrigens der junge
Hans Magnus Enzensberger, damals Redakteur beim Süddeutschen Rundfunk in
Stuttgart.
Was zählt und das eigentlich
Interessante ist an Domnicks Film, ist sehr viel eher der Impetus, alle filmerzählerische
Konvention in der Darstellung der Fünfzigerjahregegenwart hinter sich zu
lassen. In seinen Schnitten, Montagen und Bildern zeigt sich "Jonas"
von genau jener Moderne fasziniert, die im Pathos der Offstimme mit kulturkritischen
Schlagwortgemeinplätzen immer wieder attackiert wird. Es ist kein Zufall,
dass der Film mit Aufnahmen des Stuttgarter Fernsehturms beginnt und endet,
der im selben Jahr wie der Film fertiggestellt wurde und den neuesten Stand
der Architektur wie der Medientechnik verkörperte. Vorzugsweise rücken
Jonas und sein Kameramann Andor von Barsy Nachkriegsbauten, kahle Gänge,
Straßenbahnstromkabel, Maschinen und Autos ins Bild, nicht selten zum
anonymen Eindrucksstakkato geschnitten. Die Kamera folgt in ihren Bewegungen
abstrakten Linien, präferiert Totalen und Schrägen von oben.
Der unbedingte Wille zum Experiment
führt manchmal zu Widersprüchen zwischen neusachlicher Nüchternheit
und Hell-dunkel-Expressionismen. Das Ergebnis ist dennoch verblüffend:
Stuttgart entspricht in seinem Auftritt so gar nicht den Filmbildklischees der
deutschen Fünfzigerjahre.
Ihr Übriges tut die Musik,
die teils von Duke Ellington stammt, teils ein vom Neutöner Winfried Zillig
komponierter Originalsoundtrack ist, und die wie der Film insgesamt das Dissonante
des Großstadtlebens herausstreicht. Ottomar Domnick hat nach dem damals
viel beachteten "Jonas" eine Reihe weiterer Filme gedreht, die derzeit
nicht auf DVD greifbar sind. Dafür gibt es als Bonus auf der DVD die bei
aller Eitelkeit faszinierende Selbstbefragung "Domnick über Domnick"
aus dem Jahr 1979, die zu sehen unbedingt lohnt.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist
zuerst erschienen in der: taz vom 13.9.2007
Jonas
BR Deutschland - 1957 - 84 min. – schwarzweiß - Verleih:
Pallas - Erstaufführung: 10.10.1957/14.10.1967 ZDF - Produktionsfirma:
Domnick - Produktion: Ottomar Domnick
Regie: Ottomar Domnick
Buch: Ottomar Domnick
Kamera: Andor von Barsy
Musik: Duke Ellington, Winfried Zillig
Schnitt: Gertrud Petermann, Ottomar Domnick
Darsteller:
Robert Graf (Jonas)
Elisabeth Bohaty (Nanni)
Heinz-Dieter Eppler (M.S.)
Willy Reichmann (Der fremde Herr)
Die DVD ist für 19,90 € z. B. über www.filmgalerie451.de zu beziehen
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