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Das
jüngste Gewitter
Melancholische
Miniaturen
Nicht die Film-Bilder sind ausgelaugt
und ausgebleicht, die Menschen selbst sind es. In „You, the Living“, dem fünften
Spielfilm des Schweden Roy Andersson in vier Jahrzehnten, fristet eine saft-
und farblose Menschheit in zahnsteinfarbenen Küchen, Sälen, Treppenhäusern,
ein Dasein, dessen Charakter vielleicht am ehesten jene Miniatur wiedergibt,
in der ein Mann eine freudlose Familienfeier aufzuheitern versucht: Das Leben
ist so aussichtslos wie sein Tischtuchtrick an einer viel zu langen viel zu
vollen Tafel: Beim Versuch es zu meistern, geht alles zu Bruch. Und für
dieses unausweichliche Versagen verurteilt einen ein absurdes Gericht aus biertrinkenden
Richtern auch noch zum Tode.
Es gibt nicht einen einzigen glücklichen
Ausgang in Anderssons Mosaik der Vergeblichkeiten, auf Resignation folgt Enttäuschung,
auf Unglück Traurigkeit, auf Einsamkeit Solitüde. Der Regisseur setzt
ein grotesk-deprimierendes Bild hinter das andere, und immer sind es die Gefängnisse
kalter und moderner Gebäude, worin der Mensch sich mit falschen Mitteln
und Prämissen an sich selbst vorbei zu Grunde experimentiert.
Optisch überaus erlesen und geradezu
lustvoll ist die Ästhetik dieses bleichen langen Lebewohls. Diese Bild
für Bild wie strenge Malerei komponierte, unwirkliche, hermetische Ästhetik
von Anderssons Film muss sich nicht hinter der etwa eines „Playtime“ von Jacques Tati verstecken. Der Humor,
aufflackernd im Moment der absurdesten Verzweiflung, korrespondiert mit dem
des Co-Skandinaviers Aki Kaurismäki, aber auch Beckett liebt der Regisseur,
der sich zwischen seinen Filmen mit Werbung finanziert. Vielleicht rührt
daher die Routine inszenatorischer Einzelideen: Showeinlagen als Würze
der reichlich apodiktischen Grundthese des Films: Der Mensch: Keiner versteht
ihn und keinen versteht er. Das Leben: Der Mensch ist es nicht wert.
Diese komisch-traurige Oper ohne Anfang
oder Mitte aber mit einem konsequenten Ende ist ein optischer und auch akustischer
(wer nicht glaubt, dass ausgerechnet Dixieland-Jazz das pure Antidot gegen die
Welt ist, sollte sich hier überzeugen) Sinnenschmaus für Liebhaber
des Suizids - und andere, denen es zu viele Lebens-Lügen in Welt und Kino
gibt. Dass „You, The Living“ keinen inneren Widerstand gegen seinen eigenen
Fatalismus entwickelt, macht ihn vielleicht streckenweise überraschungsarm.
Doch seine moralische Dreingabe praktiziert dieser mental so widerstandslose
Film mit einem unglaublich akribischen Kunstwillen, der ihn nicht nur für
den humorbegabten Misanthropen sehenswert macht.
Andreas Thomas
Dieser Text ist zuerst erschienen
im: Applaus, München
Zu diesem Film gibt es im
archiv der
filmzentrale mehrere texte
Das
jüngste Gewitter
Schweden
2007 - Originaltitel: Du Levande - Regie: Roy Andersson - Darsteller: Håkan
Angser, Björn Englund, Eric Bäckman, Elisabeth Helander, Gunnar Ivarsson,
Lennart Eriksson, Patrik Anders Edgren, Pär Fredriksson - FSK: ab 6 - Länge:
94 min. - Start: 20.3.2008
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