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Das
jüngste Gewitter
Die unerträgliche
Albernheit des Seins
Man denke zurück an die triste Sozialtragödie,
die Woody Allens Alter ego Sandy Bates in Stardust
Memories drehen wollte: Das grausige
Ende, das die hässlichen Figuren ziellos auf eine kalte Müllkippe
führte, wo sie dann nichtsnutzig bis zum Blackout herumstanden, wurde vom
Filmstudio, im verzweifelten Versuch, doch noch eine Komödie draus zu basteln,
mit fetzigem New Orleans-Jazz unterlegt. Das groteske Ergebnis, das der Zuschauer
leider nur wenige Sekunden zu sehen bekam, scheint Vorbild für den filmischen
Stil Roy Anderssons zu sein.
Jeder erinnert sich an seinen ersten Roy Andersson-Film:
Vielleicht war es der atemberaubend hoffnungslose Kurzfilm World
of Glory, nachts um halb zwei auf
Arte, nichts Böses ahnend. Oder die bitterkalte Sozialsatire Songs
from the Second Floor, in einem
kleinen Kino, mit Freundinnen, die danach plötzlich in Tränen ausbrechen
und sich schnell entschuldigen. Wie nach der ersten Kafka-Lektüre ist auch
nach dem ersten Andersson-Film die Welt nicht mehr die gleiche: So fremd- und
abartig seine Visionen scheinen, so schnell stellt man verstört fest, daß
sie uns in Wahrheit hinter jeder Ecke wieder begegnen: die halbgeöffneten
Türen, hinter denen feindselige Menschen lauern; die langsamen Bewegungen
von scheinbar unendlicher Mühseligkeit; die unerträgliche Albernheit
der formalisierten Gesellschaftskonventionen; die gedämpfte, unpassende
Musik, die aus dem Nebenzimmer zu kommen scheint; jene verwirrenden Momente,
in denen die Welt wie aus grauen Kulissen zusammengeleimt wirkt.
Technisch hat Andersson seinen Stil perfektioniert:
Ohne jede Kamerabewegung, mit ausgeblichenen Farben, milchigem Licht und kristallklarer
Tiefenschärfe stellt er jede Einstellung wie ein gerade entstehendes Gemälde
auf die Leinwand. Viele davon erinnern an Gregory Crewdsons kryptische Fotographien,
in denen halbbeleuchtete Menschen in unangebrachten Situationen plötzlich
weinen oder nackt sind. Aber es sind die kleinen narrativen Details, die besonders
verstören: Das ungerührte Popcornmampfen bei der öffentlichen
Hinrichtung, die Bierkrüge auf der Richterbank, das Wandbild, das ins Aquarium
plumpst. Ein Mann baut in mühseligen Bewegungen einen Stuhl auf, um mit
einem Besenstiel gegen die Decke zu klopfen. Als er nach endlosen Minuten endlich
alles fertig hergerichtet hat, bricht beim ersten Schlag sein eigener Kronleuchter
herunter. Die Welt ist scheiße und gemein, aber auf eine hinterhältige
Weise auch sehr lustig.
Den Darstellern wird in einem solchen Film alles
abverlangt. Die Legende besagt, daß der kleinwüchsige Michael J.
Anderson einst den schönen Fehler beging, David Lynch vor einer Twin Peaks-Traumsequenz zu fragen, woher die Figur denn vor
der Szene komme und wohin sie danach gehe. Lynch soll ohne Wimpernzucken geantwortet
haben, dass eine Figur außerhalb der Szene nicht existiere, nur für
diesen Moment geboren werde und direkt nach dem Schnitt stürbe. Ähnlich
muss sich das Ensemble in Das jüngste
Gewitter fühlen: Bei Aufblende
der minutenlangen Tableaus stehen, sitzen oder liegen sie bereits bleichgeschminkt
und starr auf ihren Positionen, meist mit Blick auf den Zuschauer, erklären
sich und ihr Leben oder wiederholen wie Fleisch gewordene Subtexte ein paar
absurde Phrasen lang, bis sie komisch und tragisch geworden sind, meist beides.
Der Betrachter begreift schnell, dass es mit Froschregen hier nicht getan ist
– um diese Menschen von ihren Sünden reinzuwaschen, muss schon Gottes Vergeltung
selbst vom Himmel regnen. Oder ein Bombenteppich wenigstens, wie es einer der
Figuren zu Beginn des Films vorschwebt.
Neu an Das
jüngste Gewitter ist, dass die
Charaktere ihre Hoffnungen und Träume auch schon mal singen, mit schluchzenden
Stimmen zu besagter Jazzmusik. Und zwischen all den Albträumen verstecken
sich plötzlich auch wahre Idyllen von der Hochzeit mit Rockstars, von der
sozialen Umverteilung durch Taschendiebstahl und andere tröstliche Konzepte.
Dazu schleichen sich sogar einige, wenn auch praktisch unmerkliche Zoombewegungen
in den ansonsten so starren Inszenierungsstil ein – in Anderssons Kosmos ist
das geradezu ein Zeichen von Frivolität. Überhaupt gemahnt der Film,
gerahmt vom einleitenden Goethe-Zitat und apokalyptischen Abschlussbild, an
eine trotzige Lebensfreude: Der Bombenteppich kommt bestimmt, bis dahin kann
man sich auch genausogut an dem erfreuen, was man hat. Und vielleicht ein wenig
Jazz spielen.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Zu diesem Film gibt es im
archiv der
filmzentrale mehrere texte
Das
jüngste Gewitter
Schweden
2007 - Originaltitel: Du Levande - Regie: Roy Andersson - Darsteller: Håkan
Angser, Björn Englund, Eric Bäckman, Elisabeth Helander, Gunnar Ivarsson,
Lennart Eriksson, Patrik Anders Edgren, Pär Fredriksson - FSK: ab 6 - Länge:
94 min. - Start: 20.3.2008
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